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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Trotz hoher Kriminalität Protest gegen Waffenverbot in Frankfurter Bahnhofsviertel
Seit Monaten wird in Frankfurt über eine Waffenverbotszone diskutiert. Doch weil die Grünen dagegen sind, gibt es keine Mehrheit. Aber wie denken Menschen darüber, die dort arbeiten?
Am Samstagnachmittag herrscht geschäftiges Treiben in der großen Halle des Frankfurter Hauptbahnhofs. Eigentlich wie immer. Doch etwas an diesem Wochenende ist anders. Seit Freitag, dem 16. Juni, um 15 Uhr gilt bis Sonntag um 20 Uhr eine Allgemeinverfügung der Bundespolizei, die das Mitführen von Waffen und gefährlichen Gegenständen im Hauptbahnhof verbietet.
Auf die Frage, ob das immer so sein sollte, hat die Bedienung von einem Tabakladen eine klare Antwort. "Natürlich, Waffen sind scheiße", sagt die Frau hinter der Ladentheke. Im Geschäft bekomme sie allerdings wenig von den Problemen im Bahnhof mit. Mehr könne sie dazu jetzt nicht sagen. Die Kundschaft wartet.
Auf dem Bahnhofsvorplatz geht es bei bis zu 29 Grad am Nachmittag hitzig zu. Eine Gruppe Frauen mit Kinderwagen streitet lautstark auf dem Weg Richtung Kaiserstraße. Zwei Sicherheitsleute der Deutschen Bahn bitten die Damen, die Streitigkeiten zu Hause auszutragen. Gefragt, ob das Waffenverbot etwas bringe, sagt einer der beiden Securitys, gefühlt sei es durch die Verfügung der Bundespolizei sicherer. Er empfinde diesen Samstag ruhiger als andere Tage.
CDU fordert seit September eine Waffenverbotszone
Im Bahnhofsviertel, dem Tor in die Innenstadt, gilt die Allgemeinverfügung an diesem Wochenende nicht. Die CDU-Fraktion im Rathaus will schon seit September eine permanente Waffenverbotszone im Viertel. Auch für Klappmesser und Pfefferspray. Die Römerkoalition aus Grünen, SPD, FDP und Volt hatte über den Vorschlag der Christdemokraten diskutiert. Letztlich stimmten die Grünen dagegen. Damit ist die Sache erst mal vom Tisch.
Die Begründung der Grünen ist, dass andere Städte mit Waffenverbotszonen keinen Erfolg gehabt hätten. Außerdem sei das Mitführen von Pfefferspray für viele Frauen, Obdachlose und Sexarbeiterinnen wichtig für den eigenen Schutz und das Sicherheitsgefühl. Es gebe auch Bedenken hinsichtlich der Problematik von Racial Profiling. Menschen mit Migrationsgeschichte könnten besonders oft in Kontrollen der Polizei geraten.
Dass es im Bahnhofsviertel Probleme mit Waffen und Gewalt gibt, weiß Hatice Y. nur zu gut. "Natürlich bin ich dafür", sagt sie auf das Verbot angesprochen. Seit vier Jahren arbeite sie in der Mosel Apotheke in der Münchner Straße. Oft sei sie die Erstversorgerin von Menschen, die Gewalt im Bahnhofsviertel erfahren. Es gehe um Verletzungen durch Prügeleien, Messerstechereien oder eben Pfefferspray.
Viele ihrer Kundinnen und Kunden seien nicht krankenversichert und würden deswegen keinen Arzt rufen. "Ich gebe ihnen dann ein Pflaster, eine Salbe oder Desinfektion." Das Argument, dass Obdachlose und Sexarbeiterinnen Pfefferspray zur Selbstverteidigung brauchen, stimmt sie nachdenklich. "Für Frauen sollte das nicht verboten werden", sagt sie.
Im Irish Pub am Anfang der Münchner Straße ist es an diesem Nachmittag angenehm kühl und leer. Ein paar Männer unterhalten sich bei einem Bier auf Englisch, im Hintergrund läuft "Moondance" von Van Morrison. Viktor R. steht hinter der Zapfanlage. "Wer soll da kontrollieren, ob die Mädels Pfefferspray in der Tasche haben?" Er denkt, die Polizei sei jetzt schon überfordert. "Die schaffen es nicht, die Jungs hier wegzubekommen." Mit den Jungs meint er die Dealer, die vor seinem Lokal Drogen verkaufen.
50 Prozent aller Raubstraftaten Frankfurts im Bahnhofsviertel
Das Kriminalitätsproblem im Bahnhofsviertel kann niemand leugnen. Laut einem Bericht der "FAZ", der sich auf die Kriminalstatistik des Frankfurter Polizeipräsidiums stützt, wurden etwa 50 Prozent der Raubstraftaten in der Stadt im Jahr 2022 in diesem Viertel begangen. Die Zahl der Körperverletzungen sei um 30 Prozent gestiegen.
Bei der Präsentation der Statistik im März hatte Polizeipräsident Stefan Müller deswegen eine nächtliche Waffenverbotszone im Bahnhofsviertel gefordert. Müller zufolge ist auch Pfefferspray ein Faktor bei Raubüberfällen. Mehr Streifen seien für den Polizeipräsidenten jedoch nicht die Lösung des Problems.
Das sieht Nazim A. anders. "Fußstreifen der Polizei sind wichtiger als solche Maßnahmen", sagt der Betreiber des Yok-Yok-Kiosks, einer Institution im Bahnhofsviertel. Tatsächlich scheinen an diesem Nachmittag vor allem Polizeiwagen, aber keine Beamten auf dem Bürgersteig im Einsatz zu sein. Nazim A., so erzählt er, arbeite seit 43 Jahren im Bahnhofsviertel, seit 15 Jahren im Kiosk an der Münchner Straße. Im Yok-Yok habe er noch nie die Polizei rufen müssen. Er habe auch keine Waffe im Laden, nur ein kleines Taschenmesser mit Korkenzieher. "Ist das dann auch verboten?", fragt er ironisch, als er das Messer aus seiner Hosentasche zieht.
Dass gefährliche Waffen verboten gehören, steht für ihn außer Frage. Aber ob eine Verbotszone für weniger Gewalt sorgen würde, hält er für fragwürdig. Schließlich könne alles zur Waffe werden: Steine, Hocker und auch Flaschen. Davon stehen in den Kühlschränken im Yok-Yok einige.
- Eigene Beobachtungen und Gespräche im Bahnhofsviertel
- fr.de: Keine Mehrheit für Waffenverbotszone in Frankfurt
- fr.de: Keine Einigung über Waffenverbotszone in Frankfurt
- faz.net: Die meisten Angriffe seit zehn Jahren