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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Gewalt auf Raststätte In Gräfenhausen West zeigt sich die Not der Fernfahrer
Seit 24 Tagen streiken Lastwagenfahrer aus Georgien und Usbekistan an einer südhessischen Autobahnraststätte. Sie trotzen dem Wetter, Drohungen – und sogar einem polnischen Schlägertrupp.
Sie knabbern Kekse und wärmen ihre klammen Finger an Tee- und Kaffeebechern. Auf einer Herdplatte auf dem Boden eines Trucks bereitet ein Mann schweigend Rührei zu. Die Augen der 65 Lkw-Fahrer, die seit 24 Tagen an der Raststätte Gräfenhausen West streiken, sind müde. Sie stammen aus Georgien und Usbekistan und arbeiten für eine polnische Transportfirma. "Wir wollen einfach nur unseren Lohn", sagt Pulotov Zayniddin (38) ruhig.
Seit dem missglückten Angriff eines polnischen Schlägertrupps am Karfreitag wechseln sich jeweils zehn Männer ab und drehen nachts Runden um die geparkten Trucks. "Wir müssen aufpassen", so Zayniddin überzeugt. "Gott sei Dank hat uns die deutsche Polizei geholfen und Recht durchgesetzt." 19 Personen hatte die Polizei an dem Tag festgenommen, die martialisch und mit einem gepanzerten Fahrzeug im Auftrag des Spediteurs aus Polen teilweise gewaltsam versucht hatten, Zugang zu den Lkw zu bekommen.
Einschüchtern lassen sich die Männer nicht. Sie erzählen der stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden der SPD-Bundestagsfraktion Dagmar Schmidt, die für Arbeit und Soziales zuständig ist, am Donnerstagmittag davon. Vasil Agvinishvili (35) arbeitet seit dem 1. Januar 2022 für die Firma. "Ohne einen Tag Urlaub, jeden Tag im Truck und fast ohne Lohn." Seit einem Jahr wartet der Georgier auf die Aufenthaltsgenehmigung. "Jeden Monat heißt es warten. Vom Lohn wurden dafür 1.800 Euro einbehalten. Angebliche Schäden an den versicherten Fahrzeugen werden uns vom Lohn abgezogen und ebenso eine Krankenversicherung, die nirgendwo in Europa anerkannt ist", erzählt der Mann.
Trotz Drohungen: "Wir bleiben hier, bis wir bezahlt werden"
Wenn er in einem Hotel für 50 Zloty übernachte, rechne der Spediteur 200 Zloty ab. Vephkia Guruli (52) arbeitet seit einem Jahr ohne jeglichen Urlaub. Andere seit sieben Monaten oder seit zwei oder drei Jahren. "Wir haben keine Angst. Wir wollen nur unser Geld, das uns zusteht", sagt Guruli. "80 Euro am Tag wären normal. Wir bekommen 70, die wir auch nicht bekommen, weil pauschal 700 Euro an fiktiven Schäden an Fahrzeugen abgezogen werden. Wie bei der Mafia", sagt er und erzählt, dass ihnen auch gedroht wurde.
Der Spediteur in Polen sei gut vernetzt und habe allen anderen Speditionen in Polen gesagt, dass sie die streikenden Fahrer nicht einstellen sollen. Sie seien damit arbeitslos und ohne Papiere. Der Spediteur habe ihnen auch gesagt, dass sie alle verhaftet würden, wenn sie wieder nach Polen kämen, weil sie die Fahrzeuge nicht aushändigen. Diese Drohungen sehen sie als ungerechtfertigt. "Unser Lohn steht uns zu und wir bleiben hier, bis wir bezahlt werden", ist die einhellige Meinung.
Schmidt hört aufmerksam zu. Die Erzählungen schockieren sie nicht. "Ich arbeite schon so lange im Bereich Arbeit und Soziales, dass mich kaum noch etwas schockiert. Es ist Handeln angesagt. Wir müssen in Europa dafür sorgen, dass solche Zustände nicht mehr möglich sind. Im deutschen und im europäischen Lieferkettengesetz müssen alle in die Verantwortung genommen werden und niemand darf sich vor der Verantwortung wegducken. Wer arbeitet, muss fair bezahlt werden." Sie wünscht sich mehr Kontrollen, um das Recht durchzusetzen.
Europaweit sei das kompliziert und komplex, aber nötig. "Es gibt Arbeitnehmerrechte, Mindestlohn und den erhöhten Mindestlohnsatz. Das muss funktionieren und der Rechtsstaat muss durchgesetzt werden." Auch Schmidt zeigt sich solidarisch: "Es ist gut, dass die Solidarität zu den betroffenen Fahrern nicht nur untereinander groß ist, sondern auch bei anderen Lkw-Fahrern, den Gewerkschaften, Politikern und Bürgern", sagt sie.
Immer wieder passieren Transporter die Streikenden, heben die Daumen hoch und hupen. Privatleute halten an und bringen den Männern etwas zu Essen, Tabak und Getränke. "Macht weiter so", ermuntert sie ein Mann, der kistenweise Softdrinks bringt. Die Gewerkschafterin Anna Weirich von Faire Mobilität des DGB bringt es auf den Punkt. "Es muss jemand aus der Lieferkette Verantwortung übernehmen und die ausstehenden Löhne der Fahrer zahlen. Diese Fahrer werden ausgebeutet, diskriminiert, eingeschüchtert, unterbezahlt und leben monatelang in ihren Lkw. All dies geschieht in Deutschland direkt vor unserer Nase, nicht nur in diesen Tagen, sondern ständig."
Die Männer nicken zustimmend. "Seit Dezember habe ich keinen Lohn gesehen. Mehr als 8.200 Euro sind offen", sagt ein Mann bedrückt. "Wir haben alle Familie und Kinder. Auch unsere Familien wollen leben. Darum arbeiten wir als Lkw-Fahrer." Wie lange der Streik an der Raststätte Gräfenhausen West noch anhält, weiß niemand von ihnen. "So lange, bis wir unseren Lohn haben."
- Eigene Beobachtungen und Gespräche vor Ort