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Essen: Vor Auftritt bei lit.Ruhr – Bernhard Hoëcker im großen Interview


Interview
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Bernhard Hoëcker bei der lit.RUHR
"Warum soll man über Literatur nur ernst reden?"

InterviewVon Dietmar Nolte

05.10.2024Lesedauer: 7 Min.
imago images 0371078599Vergrößern des Bildes
Bernhard Hoëcker wird bei der lit.RUHR zugegen sein, die am Mittwoch in Essen startet. (Quelle: IMAGO/STEFAN_SCHMIDBAUER)

Comedian und Autor Bernhard Hoëcker ist Teil des Internationalen Literaturfests lit.RUHR, das am Mittwoch in Essen startet. Im Interview verrät er, warum es dabei ziemlich spontan zugehen wird.

Das Unesco-Welterbe Zollverein in Essen ist auch in diesem Jahr der zentrale Punkt der lit.RUHR, des internationalen Literaturfests in der Region Ruhr. Vom 9. bis 13. Oktober wird es über 70 Veranstaltungen geben. Gäste sind u. a. Herbert Grönemeyer, Donna Leon, Elke Heidenreich und Hape Kerkeling. Zudem gibt es ein abwechslungsreiches Programm mit neuen Romanen, anregenden Diskussionen und amüsanten Themenabenden (www.lit.ruhr).

Am 9. Oktober treffen Comedian Bernhard Hoëcker und Talkmaster Hubertus Meyer-Burckhardt zum Gespräch aufeinander. Das Motto der Begegnung auf Zollverein: "Denn sie wissen (noch) nicht, was sie tun".

Im Interview mit t-online verrät Bernhard Hoëcker, was das Publikum erwartet und warum Spontaneität und Vertrauen an diesem Abend so wichtig sind. Der Autor und Comedian spricht über Tabuthemen auf der Bühne, Humor und Unterhaltung in der Literatur und schwärmt in höchsten Tönen vom Ruhrgebiet.

t-online: Bernhard Hoëcker, Ihr Auftritt bei der lit.RUHR zusammen mit Hubertus Meyer-Burckhardt steht unter dem Motto "Denn sie wissen (noch) nicht, was sie tun". Können Sie uns trotzdem einen Ausblick geben, was das Publikum erwarten kann?
Bernhard Hoëcker: Ich treffe mich mit Hubertus am späten Nachmittag, dann unterhalten wir uns, gehen auf die Bühne, unterhalten uns weiter, gehen danach essen – und reden weiter. Es wird quasi der Ausschnitt eines Alltagsgesprächs zwischen uns zu sehen sein. Wenn ich mich an die letzten Male erinnere, dann haben wir über Themen gesprochen, die uns gerade beschäftigt haben. Vertrauen, Literatur, Ängste – wir lassen uns wirklich treiben. Hubertus ist jemand, der unfassbar viel weiß. Wirklich großer Respekt, ich höre ihm sehr gerne zu. Und er ist jemand, der dann auch entsprechende Fragen stellt – oder umgekehrt. Mal frage ich bei ihm nach, mal er bei mir.

Es gibt also keine grundlegenden Themen, die Sie ansprechen?
Wir reden nicht jedes Mal über Demokratie und Vertrauen. Mal ist es das Älterwerden, in Göttingen haben wir zum Beispiel viel über die Stadt gesprochen, weil Hubertus Göttingen gut kennt. Dann spricht man auch mal über ein Liedstück der Telefonhotline der Göttinger Stadtverwaltung. Wahrscheinlich werde ich an unserem Abend in Essen begeistert vom Ruhrgebiet erzählen, in dem ich schon häufig unterwegs war und durch das ich auch schon mehrfach mit dem Boot gefahren bin.

Was begeistert sie denn am Ruhrgebiet? Was mich begeistert, ist vor allem die krasse Resilienz der Bevölkerung. Was die Menschen hier durchgemacht haben, von der Industrialisierung über den Abbau der Kohle bis zur heutigen Neuaufstellung. Viele haben ihre Jobs verloren, viele Jobs haben sich verändert – der Umgang mit dieser riesigen Veränderung in den letzten 60, 70 Jahren beeindruckt mich. Die Menschen im Ruhrgebiet haben immer ein Lächeln im Gesicht. Mein Eindruck ist tatsächlich, dass die immer gut gelaunt sind. Was sie mit den Rheinländern gemein haben – vielleicht ist das unser Einfluss. (lacht) Und ich ärgere mich in diesem Zusammenhang immer über die Ansagen aus Bayern.


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"Die Menschen im Ruhrgebiet haben immer ein Lächeln im Gesicht."


Bernhard Hoëcker


Was genau ärgert Sie?
Ich ärgere mich immer, wenn es aus dem Süden der Republik heißt, man sei so unfassbar toll. Und wenn dabei kurz vergessen wird, dass die Ruhrgebietler über Jahrzehnte in tiefe Löcher gekrabbelt sind und sich ihre Lungen kaputt gemacht haben, damit die dort unten ihre Felder stilllegen und eine Fabrik darauf bauen. Ein völlig anderer Strukturwandel, was die Veränderung der Gesellschaft, der Landschaft, der Kultur und der Menschen angeht. Davor habe ich großen Respekt, was das Ruhrgebiet betrifft.

Sie sagten vorhin, Sie waren schon mit dem Boot im Ruhrgebiet unterwegs?
Ich bin schon mit dem Kanu die Ruhr entlanggefahren. Man hat immer noch dieses alte Bild im Kopf: Wenn die Wäsche draußen hängt, ist die morgens grau, so wie es früher ja auch einmal war. Aber es ist so eine grüne Gegend geworden, man entdeckt alte Fördertürme umgeben von Bäumen und Vogelgezwitscher. Und wenn man durch die Orte fährt, ob es Essen oder Bochum ist, ist es eine Mischung aus extrem schicken Häusern und ganz klassischer Arbeiterkultur. Von Menschen, die morgens aufgestanden und sich den Rücken krumm gemacht haben, damit andere Menschen es warm haben in der Bude. Das empfinde ich als so echt.

Man gewinnt langsam einen Eindruck, wie Ihr Abend in Essen verlaufen könnte.
Das stimmt, den Gedanken hatte ich gerade auch. Das war jetzt etwas, wie ich es auch in einem Gespräch mit Hubertus auf der Bühne erzählen könnte, wenn wir uns über das Ruhrgebiet unterhalten.

Gibt es bei aller Spontaneität auch ernste Themen, über die man in der heutigen Zeit sprechen muss? Sie erwähnten vorhin das Stichwort Demokratie.
Es gibt nichts, worüber man sprechen muss. Die Menschen sind manchmal auch ganz froh, wenn man mal nicht über Demokratie redet. Ich finde es aber blöd, etwas nicht zu sagen, weil man denkt, es würde die Leute stören. Manchmal habe ich auch das Bedürfnis, den Menschen einen Gedanken mitzugeben. Ich bin mit Wigald Boning zusammen mit einem Programm unterwegs, in dem die Leute uns Fragen stellen können. Wenn es dann um Merkel, Trump oder die Klimakrise geht, gebe ich auch ernste Antworten. So etwas kann auch an dem Abend mit Hubertus passieren – und was dann gar nicht unterhaltsam oder lustig ist.

Also ein unterhaltender Abend, der auch nachdenkliche Momente haben kann und nicht zwingend unterhaltsam sein muss?
Ich denke, es wird ein unterhaltender Abend, der auch unterhaltsam ist. Hubertus ist jemand, der eine unglaubliche Präsenz hat, auf der Bühne. Und wenn wir etwas erzählen, ist es zumeist so, dass uns die Leute gerne zuhören. Huberts kann auch Sätze bilden, bei denen die Menschen denken: Oh, das finde ich jetzt aber schön formuliert. (lacht) Bei mir ist manchmal auch ein Gag dabei. Vor allem aber sind wir sehr privat, sprechen über unsere Ansichten und Gefühle. Und wir haben oft auch regionale Themen. Wenn man auf der Tour viel herumkommt, hat gerade das Regionale etwas Schönes und Spannendes.


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"Ich könnte einen ganzen Abend mit Hubertus verbringen."


Bernhard Hoëcker


Ist ein ausgeprägtes Vertrauensverhältnis mit Ihrem Gesprächspartner wichtig für einen gelungenen Abend?
Auf jeden Fall! Zum einen ist es wichtig, dass man selbst dem anderen gerne zuhört. Ich könnte einen ganzen Abend mit Hubertus verbringen und einfach nur dasitzen und zuhören. Das ist auch wichtig, weil das Publikum sofort spürt, wenn man sich selbst langweilt. Zum anderen ist es wichtig, dass man sich auch mal fallen lassen kann. Dass man mal etwas sagt, ohne Angst haben zu müssen, dass der andere daraus einen Gag macht, den man nicht will. Oder dass er einen in die Pfanne haut, indem er Privates verrät, was man gar nicht öffentlich machen möchte. Wir haben zwar keine Leichen im Keller, aber manches, über das man unter vier Augen spricht, ist trotzdem nicht für die Öffentlichkeit gedacht.

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Wie spontan muss man sein für ein Format, das ohne vorgegebene Themen auskommt? Mir hilft eine gewisse Spontaneität auf jeden Fall. Die wichtigste Impro-Regel ist es, immer Ja zu sagen. Wenn jemand auf die Bühne kommt und sagt, er sei meine Mutter, dann ist er in diesem Moment meine Mutter. Wenn Hubertus sagt, er findet das Ruhrgebiet interessant, dann antworte ich nicht: Ja, ja, lass uns jetzt mal lieber über das Thüringer Wahlergebnis reden. Daher ist es auch wirklich schwierig, den Verlauf und die Themen eines solchen Abends vorherzusagen. Es ist mehr so, wie auf einer Luftmatratze im See zu liegen und sich treiben zu lassen.

Gab es schon Themen oder Momente, die für Sie schwierig waren oder mit denen Sie gar nichts anfangen konnten?
Nein, weil wir auch immer ehrlich miteinander umgehen. Wenn Hubertus zum Beispiel über sein Elternhaus redet, ich das aber bei mir nicht möchte, wäre genau das das Thema. Ich würde ihm sagen, dass ich seine Offenheit in diesem Punkt interessant finde. Und erklären, warum es für mich aber eher ein Tabu ist. Ich würde es also gar nicht als Thema empfinden, über das ich nicht auch sprechen kann. Ansonsten gilt der gute alte Talkshow-Satz: Machen Sie sich keine Sorgen, fragen Sie alles, ich kann stundenlang keine Antwort geben. (lacht)

Trotzdem ist es für einen solchen Abend wichtig, Privates von sich preiszugeben.
Menschen, die auf der Bühne stehen und sagen, sie seien verschlossen, machen etwas falsch. Wenn ich Stand-up-Comedy mache, stehe ich auf der Bühne und erzähle aus meinem Leben. Natürlich zieht man sich dabei auch ein Stück weit aus. Bei Leuten, die keine Figur spielen wie etwa Schauspieler in einer bestimmten Rolle, finde ich es schwierig, wenn sie sich darauf zurückziehen, irgendetwas, was sie sagen oder vermitteln, sei ja nur auf der Bühne gewesen. Warum erzählst du es dann? Du hast ja die freie Wahl, es zu tun oder es zu lassen. Du hast ja nicht den Text von Dürrenmatt bekommen und bist jetzt einer der drei Physiker.


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"Es hat auch eine gewisse Ernsthaftigkeit, wenn man über Dinge lacht."


Bernhard Hoëcker


Ihr Auftritt im Rahmen der lit.RUHR folgt einem unterhaltsamen Anspruch. Ist es wichtig, dass das breite Feld der Literatur nicht immer im ernsten Kontext gesehen wird?
Warum soll man über Literatur überhaupt nur ernst reden? Und es hat ja auch eine gewisse Ernsthaftigkeit, wenn man über Dinge lacht. Auch politisches Kabarett ist ernst. Die Frage ist allein, in welcher Stimmung rede ich über den Ernst. Bin ich die ganze Zeit betroffen – oder eben nicht? Alles ist irgendwie auch unterhaltsam. Und umgekehrt steckt in Literatur immer auch etwas Ernstes. Ich bin ja selbst Autor von Kinderbüchern, und über ein Huhn mit einem Katzenumhang kann man sicher auch mal lachen. Zugleich wollen wir den Kindern mit dem Buch aber auch die Botschaft mitgeben: In Euch steckt ein Held! Der Mut steckt nicht in den Umständen, sondern in Dir selbst. Das hat bei aller Unterhaltsamkeit auch etwas Ernstes.

Apropos Kinder: Ihr Zugang zur Literatur wird immer schwieriger, weil ihnen schon das Lesen an sich immer schwerer fällt.
Kinder können immer später lesen, ein erschreckend großer Anteil der Viertklässler kann heute Texte nicht fehlerfrei lesen. Die Frage, die ich mir auch stelle: Wie bekommt man auch bildungsferne und sprachferne Haushalte dazu, zu lesen? Das ist ein sehr weites Feld, die Kultur des Kinderbuches hat in Deutschland eine ganz andere Ausprägung als in anderen Ländern. Ich sage Kindern immer: Lest Bücher, dann seid ihr euer eigener Regisseur. Und Eltern kann man nur sagen: Lest euren Kindern vor – das ist doch auch viel einfacher, als sich mit ihnen zu unterhalten, wenn man dazu gerade keinen Bock hat. Da hat schon jemand den Text vorgegeben, das ist doch super. (lacht)

Verwendete Quellen
  • Gespräch mit Bernhard Hoëcker
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