Islamischer Aufmarsch in Essen Pro-Palästina-Demo entpuppt sich als IS-nahe Versammlung
Teilnehmer einer pro-palästinensischen Demo in Essen fordern die Errichtung eines Kalifats. Frauen mussten im Demozug hinten laufen. Die Staatsanwaltschaft ermittelt.
In Essen hat sich eine als Pro-Palästina-Demonstration angemeldete Kundgebung am Freitagabend als islamreligiöse Versammlung entpuppt, an der womöglich IS-Anhänger beteiligt waren.
Bei der Kundgebung waren unter anderem Transparente mit islamistischem Inhalt und in arabischer Sprache zu sehen, unter anderem mit der Forderung nach der Errichtung eines Kalifats. Dazu ruft beispielsweise die islamische Organisation Hizb ut-Tahrir (HuT) auf, für die seit 2003 ein Betätigungsverbot gilt. Die HuT kennzeichnet dem NRW-Innenministerium zufolge zudem ein besonders stark ausgeprägter Antisemitismus. Juden, aber auch Christen, gelten innerhalb der HuT – entgegen der mehrheitlich von islamischen Gelehrten vertretenen Meinung – als Ungläubige.
Auch hatten Teilnehmerinnen der islamreligiösen Versammlung erhobene Zeigefinger gezeigt, was als Geste der radikalen Islamisten gilt. Laut Polizei gab es bei der Kundgebung die klassische islamistische Geschlechtertrennung, für die Ordner gesorgt hätten. Frauen hätten am Ende laufen und bei der Schlusskundgebung auf einer anderen Fläche stehen müssen als die Männer.
War "Generation Islam" der Veranstalter?
Laut Civan Akbulut, Mitglied des Integrationsrates der Stadt Essen, wurde die Versammlung von der zur "Hizb ut-Tahrir" gehörenden Gruppierung "Generation Islam" organisiert. Das postete Akbulut auf der Plattform "X" (ehemalig Twitter). Zwar bestätigte Akbulut gegenüber t-online, dass die Demonstration von einer Privatperson angemeldet wurde. "Mobilisiert, Reden gehalten und Propaganda betrieben wurde aber von Mitgliedern der "Generation Islam", betont er.
Dass die radikale Demo letztendlich von der Gruppierung ins Leben gerufen wurde, sei seiner Meinung nach nicht von der Hand zu weisen. So habe die Organisation in ihrer Instagram-Story aktiv für die Veranstaltung geworben, Bilder auf ihrem Account geteilt und ein bekanntes Gesicht der Organisation habe dort eine Rede gehalten. Auch, wenn "Generation Islam" die Veranstaltung nicht angemeldet habe, ist für Akbulut klar, dass die Veranstaltung im eigentlichen Sinne von ihnen organsiert wurde – zumal seiner Aussage nach weder palästinensische Organisationen in die Veranstaltung eingebunden waren und sogar palästinensische Flaggen auf der Demo unerwünscht gewesen seien. Das habe damit zu tun, dass die Organisation gegen jegliche Nationalstaaten sei und einzig ein globales Kalifat befürworte. Um Palästina sei es der Gruppe somit gar nicht gegangen, man habe sich nur einem aktuellen Thema bedient, um es gezielt für sich zu nutzen, sagte er t-online.
Erschreckend ist für das Mitglied des Essener Integrationsrates vor allem die Vorgehensweise der radikalen Gruppierung, die sich über die Jahre stark verändert habe. "Früher war das typische Bild, der Prediger in der Hinterhof-Moschee, der schlecht gekleidet irgendwelche Sachen verbreitet hat, aber Gruppen wie "Generation Islam" wissen genau, wie man Social Media einsetzt, ihre Beiträge sind gut gemacht und professionell. Der Inhalt bleibt zwar der selbe Quatsch, aber die Gruppen haben verstanden, wie man die Menschen erreicht – vor allem junge Leute. Das ist erschreckend!"
Polizei Essen hat bisher keinen Hinweis für Straftaten
Ein Sprecher der Polizei Essen wollte auf Nachfrage von t-online nicht bestätigen, dass die radikal islamistische Gruppierung, etwas mit der Demonstration zu tun gehabt habe. Zwar sei die Organisation der Polizei und dem Staatsschutz bekannt, eine Verbindung des Anmelders zu der genannten Gruppierung habe die Polizei jedoch bislang nicht herstellen können.
Die "Generation Islam" teilte am Samstag auf der Plattform "X" mit: "Wir fühlen uns geehrt, Teil dieser Ummah zu sein. Es war eine erfolgreiche und schöne Demonstration für unsere Brüder und Schwestern für Gaza, Palästina in Essen, NRW. Wir bedanken uns, dass wir ein Teil dieser Demo sein und für euch sprechen durften. Wir als muslimische Gemeinschaft in Deutschland lassen uns von den Hetzern, egal aus welchem Spektrum, nicht einschüchtern. Im Gegenteil, es macht uns stärker und geeinter. Ihre Verleumdungen, Lügen und ihr Frust sind nur Gift für sie selbst. Und wir werden jede Gelegenheit nutzen, um die Lösung für die Situation der Muslime weltweit anzusprechen. Auch wenn es den Ungläubigen nicht passt."
Der Charakter des Statements entspricht einem vom Verfassungsschutz beschriebenen Muster der Gruppierung. Demnach behauptet die Gruppe in Veröffentlichungen auf sozialen Netzwerken eine staatlich gesteuerte Islamfeindlichkeit und sehen in der deutschen Integrationspolitik eine Art "Assimilationsterror". Laut Verfassungsschutz nutzt die Gruppe seit einiger Zeit die ihren Bekanntheitsgrad auch für Mobilisierungszwecke.
Am Montag verwies die Polizei erneut darauf, dass die Demo von einer Privatperson angemeldet worden sei. "Der Anmelder hat die Versammlung bei uns mit dem Thema Pro-Palästina angezeigt. Es hat nichts darauf hingewiesen, dass etwas dagegen spricht, dass er eine Versammlung bei uns anmeldet", so ein Sprecher der Polizei. "Wir haben mit dem Anmelder im Vorfeld ein Kooperationsgespräch geführt, in dem wir detailliert sein Vorhaben, seine Motivation und seine Wege besprochen haben. Danach und auch während der Versammlung gab es keine Vorfälle, die in irgendeiner Form ein Versammlungsverbot gerechtfertigt hätten", so der Sprecher weiter.
Demnach seien bestimmte Banner oder Gesten zwar durchaus als fragwürdig zu bewerten, diese seien jedoch nicht per se strafrechtlich relevant. "Wir müssen uns an Recht und Gesetz halten. Da ist natürlich dieser Finger, der auch uns als Erkennungszeichen bekannt ist. Er ist aber nicht verboten", erklärt der Polizeisprecher weiter. Gleiches gelte für gezeigte Fahnen und Transparente, bei denen man sich ebenfalls in einer rechtlichen Grauzone bewege.
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Derzeit werde das gesamte Material von der Demo ausgewertet, dabei sei bislang aber noch keine Straftat erkennbar gewesen, so die Polizei. Man sei sich der Wirkung auf die Bevölkerung bewusst, könne aber nur das bewerten, was die Teilnehmenden der Demonstration getan hätten. Für Akbult unverständlich. "Ich hätte schon gedacht, dass man sich mit der Äußerung "Kalifat ist die Lösung" zumindest in einer extremen Grauzone bewegt, aber die Polizei weiß das vielleicht besser als ich", sagt er.
Islam-Experte Ahmad Mansour prangerte nach Szenen in Essen an. Man habe wiederholt gewarnt, nun sei alles dokumentiert, schrieb er auf "X". '"Generation Islam" und "Muslim Interaktiv" hatten freien Lauf, um in den letzten Jahren gegen uns zu hetzen und unbehindert Jugendliche in sozialen Medien zu erreichen. Trotz offensichtlicher Nähe zur verbotenen Hizb ut-Tahrir fühlt sich niemand verantwortlich, ein Betätigungsverbot durchzusetzen. Wie konnte das passieren? Wer trägt dafür die Verantwortung?
Ermittlungen wegen Volksverhetzung eingeleitet
Am Montag gab die Staatsanwaltschaft bekannt, Ermittlungen wegen Volksverhetzung gegen den Hauptredner der Kundgebung eingeleitet zu haben. Es werde geprüft, ob dieser bei der Verlesung der beschränkenden Verfügungen beleidigende Inhalte geäußert habe, teilte die Essener Polizei am Montag mit. Der polizeiliche Staatsschutz ermittelt.
Der Organisator hatte am Freitag verkündet, es dürfte gewisse Dinge nicht gezeigt oder gerufen werden. Genannt wird dabei laut dem WDR auch eine antisemitische Aussage. Geprüft werde von der Staatsanwaltschaft demnach nun, ob die Sätze, die der Redner benutzt hat, bewusst als Provokation dienten.
Zahlreiche Bild- und Tonaufnahmen der Versammlung würden nun mit Hilfe von Islamwissenschaftlern und Dolmetschern hinsichtlich gezeigter Symbole oder gesprochener Redebeiträge ausgewertet. "Dabei wird geprüft, ob strafrechtlich relevante Aspekte festgestellt werden, die im Laufe der Versammlung am Freitagabend nicht beobachtet wurden", teilte die Polizei weiter mit und kündigte eine konsequente Verfolgung von Straftaten an.
Reul will Versammlungsrecht unter die Lupe nehmen
Nordrhein-Westfalens Innenminister Herbert Reul (CDU) sagte der "Welt", auf Essens Straßen seien Menschen unterwegs gewesen, "die radikal islamistisches Gedankengut verbreiten und ein streng religiöses Reich errichten wollen". Solche "unfassbaren Szenen" habe es in Nordrhein-Westfalen "zum ersten Mal" gegeben.
Das Versammlungsrecht des Landes müsse "noch einmal genau unter die Lupe" genommen werden, sagte Reul weiter. Zudem sprach er sich für die Prüfung von Verboten weiterer islamistischer Vereinigungen aus. In der vergangenen Woche hatte Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) ein Betätigungsverbot für die radikalislamische Palästinenserorganisation Hamas und der Organisation Samidoun in Deutschland erlassen.
- Auskunft der Pressestelle der Polizei Essen
- Telefonat mit der Polizei Essen am 06.11.2023
- Telefonat mit Civan Akbulut, Mitglied des Integrationsrates der Stadt Essen, am 06.11.2023
- Material der dpa
- Material der AFP
- WDR: Islamistische Banner bei pro-palästinensischer Demo in Essen
- Plattform X (ehemals Twitter): Account von Civan Akbulut, Mitglied Integrationsrat Essen
- Plattform X (ehemals Twitter): Account von Ahmad Mansour