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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Kabarettist im Interview Frank Goosen: "Profifußball ist ein eigener Planet"
Früher habe er seinen Tourplan nach dem Fußball ausgerichtet, erzählt der Kabarettist aus dem Pott. Heute sehe er das gelassener, erzählt er t-online im Interview.
Beim Zeltfestival Ruhr am Kemnader See ist er Stammgast und hat in diesem Jahr am 2. und 3. September gleich zwei Auftritte in der weißen Zeltstadt: Im Gepäck hat Frank Goosen seinen aktuellen Roman, der sich rund um Fußball in der Jugend dreht.
Im Interview mit t-online erzählt der gebürtige Bochumer, warum ihn ein Buch über den Profifußball gar nicht gereizt hätte, wie das Kicken bei Kids die Integration fördern kann und welche Rolle eigentlich der VfL Bochum heute noch in seinem Leben spielt.
t-online: Herr Goosen, Ihr erster Auftritt beim Zeltfestival findet am 2. September statt – kurz nach dem dritten Saisonspiel Ihres Herzensklubs VfL Bochum. Was glauben Sie, mit welcher Stimmung Sie in den Abend starten?
Frank Goosen: Ich freue mich immer aufs Zeltfestival. Es hat nicht nur eine besondere Atmosphäre. Es ist für mich auch ein gelungenes Beispiel, dass ein paar Typen im Ruhrgebiet einfach mal hergegangen sind und etwas gemacht haben, was hier sonst nicht üblich ist: Sie haben von Anfang an groß gedacht und auch mit großem persönlichem Risiko dieses Ding aus dem Boden gestampft. Dass es ein Erfolg geworden ist, finde ich auch für den Kreativ- und Wirtschaftsstandort Ruhrgebiet super.
Wenn ich mich also bei meinen Auftritten dort vom VfL abhängig machen würde, hätte ich schon seit Jahren Probleme. (lacht) Aber wenn ich mir die Neuverpflichtungen angucke, bin ich vorsichtig optimistisch. Und am dritten Spieltag kann noch nicht so viel kaputt sein, das haben wir ja in der letzten Saison gesehen.
Stimmt es eigentlich, dass Sie Ihre Auftritte mit den Heimspielen des VfL abstimmen?
Nicht mehr so radikal wie früher, da habe ich meinen gesamten Tourplan nach dem Fußball gerichtet. Da konnte ich nur dienstags und donnerstags auftreten, weil ich ja auch noch Jugendtrainer war. Montags und mittwochs musste ich zum Training, am Wochenende standen die Spiele meiner Mannschaft und vom VfL an. So beinhart ziehe ich das nicht mehr durch.
Ende August verpasse ich das Derby gegen den BVB, weil ich schon lange beim Trainside-Festival in Braunschweig zugesagt habe. Und dafür bekomme ich ja auch noch Geld (lacht).
Aber Ihre Liebe zum VfL ist ungebrochen? Oder hat sie gelitten?
Sie meinen, weil ich ein paar Jahre Aufsichtsrat beim VfL war? Sagen wir es mal so: Profifußball wird nicht sympathischer, wenn man ihn näher kennenlernt. Aber was soll ich machen? Ich war mit fast neun Jahren zum ersten Mal im Stadion, das legst du nicht mehr ab.
Hat trotzdem Ihre Fußballromantik unter dem Funktionärsjob gelitten?
Klar, weil man sieht, wie sich die unheimliche Emotionalität von Fußball auf Entscheidungsprozesse auswirkt. Und man ist nicht gerade scharf darauf, dass der eigene Name mit dem Untergang des Vereins verbunden wird. Wenn man in der 2. Liga gegen den Abstieg spielt, ist das für einen Verein wie den VfL lebensbedrohlich. Aber wenn man aus dieser Situation raus ist, übernimmt wieder das Fan-Herz. Da habe ich mir auch eine kindliche Freude bewahrt.
Meine Entscheidung, damals zurückzutreten, war absolut richtig und hatte triftige Gründe. Aber ich mache meine Meinung über den Verein nach all den Jahren nicht mehr von dem abhängig, was ich damals erlebt habe. Dafür bin ich doch zu erwachsen.
Ist der heutige Profifußball mit seinem Kommerz noch der Sport, in den Sie sich mal verliebt haben?
Man muss unterscheiden zwischen dem Fußball und dem Drumherum. Der Fußball selbst ist durch Änderungen wie die Rückpassregel sogar attraktiver geworden. Und ich bin froh, dass wir über unserer Tribüne heute ein Dach haben. Da musst du nicht mehr doppelt im Regen stehen – 0:3 verlieren und dabei klatschnass werden (lacht).
Aber wie jeder moderne Fußballfan bin ich auch schizophren. Natürlich finde ich die Auswüchse im Profifußball völlig irre. Was die Profis verdienen, wie sich manche präsentieren, wie sie darum zocken, den Verein wechseln zu können – das ist fürchterlich. Trotzdem ist der Stadionbesuch nach wie vor intakt.
Ihr aktuelles Buch "Spiel ab!" beschreibt den Jugendfußball. Wenn man beides vergleicht – ist der Profifußball dann eine eigene Welt?
Profifußball ist ein eigener Planet! Einige Sachen sind der Realität komplett enteilt. Auf der anderen Seite sind bestimmte Mechanismen und die Gruppendynamik in einer Profimannschaft immer noch die gleichen wie in der Kreisliga.
Und am Ende – um es mit meinem Oppa zu sagen – gehen die auch alle nur kacken. (lacht) Man darf auch nicht unterschätzen, dass man es bei den Profis quasi mit Kindern zu tun hat.
Wie meinen Sie das?
Auf dem Platz sehen sie zehn Jahre älter aus, aber wenn sie mal vor dir stehen, sind sie auch mit ihren 22, 23 Jahren irgendwie noch Babys. Sie bekommen ja heute auch alles Mögliche abgenommen. Manche können nicht mal selbst einkaufen oder ihre Stromrechnung bezahlen, obwohl sie genug Geld haben.
Also ein Roman über Jugendfußball, weil Ihnen das andere eher fremd ist?
Den Roman über Jugendfußball habe ich nicht geschrieben in Opposition zum Profifußball, sondern weil ich darauf große Lust hatte. Ein Roman über Profifußball wäre wohl auch an einigen Stellen justiziabel geworden (lacht).
Als Autor, der mal Fußballfunktionär war, kenne ich viele Interna. Aber manches darf ich tatsächlich nicht mal durch die Blume erzählen. Beim Jugendfußball sieht das anders aus – und es ist auch das sympathischere Thema. Außerdem würde mich ein witziger Roman über Profifußball nicht interessieren.
Warum nicht?
Da interessiert mich eher, wie sich der Hype im Profifußball auf die Beteiligten auswirkt. Auf die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Verein, deren Jobs auf dem Spiel stehen, wenn es nach unten geht. Der Druck, unter dem manche Spieler stehen. Du machst mit 18 Jahren einen unvorsichtigen Instagram-Post und bekommst das jahrelang um die Ohren gehauen. Aber auch die Auswirkungen für Funktionäre.
Ich bin damals in Bochum ständig angesprochen worden, weil ich ja eben auch hier lebe. Da stehst du dann eine Viertelstunde mit dem DHL-Boten an der Tür und diskutierst über den VfL. Psychologisch ist das alles hochinteressant. Was macht dieser Druck, der sich da aufbaut, mit den Menschen?
Druck im Fußball und die Folgen sind ein sensibler Bereich. Braucht er mehr Aufmerksamkeit?
Früher haben die einfach angefangen zu saufen. Heute gibt es glücklicherweise eine größere Offenheit dafür, auch mal zu akzeptieren, dass ein Trainer oder Funktionär zugibt, dass er einfach nicht mehr kann.
Trotzdem muss man aufpassen: Wenn Max Eberl nach seinem Wechsel zu Leipzig unterstellt wird, sein Burn-out in Gladbach sei nur Fake gewesen – das finde ich ungeheuerlich. Da darf man auch als Fan mal ein wenig empathischer sein.
Zurück zu Ihrem Roman und zum Jugendfußball: Teamgeist und Zusammenhalt sind ein Thema?
Eine Kritik zu meinem Buch hat von der Utopie des sozialen Zusammenhalts gesprochen. Das ist ein Aspekt des Romans: Im Kinderfußball siehst du im Kleinen, dass du nur vorankommen kannst, wenn du zusammenhältst.
Ich hatte damals als Jugendtrainer eine landsmannschaftlich sehr gemischte Mannschaft, da bist du immer mit bestimmten Themen konfrontiert. Ich habe aber nie moralischen Druck aufgebaut. Es ergibt sich aus der Logik des Spiels, dass man zusammenhalten muss.
Erfüllt der Fußball gerade im Schmelztiegel Ruhrgebiet immer noch eine große Integrationsfunktion?
Auf jeden Fall! Ein kleiner Verein hat eine starke Komponente für das ganze Stadtviertel. Deshalb ist der Bau von Kunstrasenplätzen auch Sozialpolitik. Gerade in problematischen Stadtvierteln ist es wichtig, dass es solche Anlaufpunkte gibt. Die Kinder und Jugendlichen sind draußen, sie bewegen sich und sie müssen miteinander klarkommen.
Fußball ist wie anderer Mannschaftssport ein kleiner, aber wichtiger Mosaikstein für das soziale Gefüge. Man darf nur nicht den Fehler machen und glauben, Fußball könnte die Probleme lösen, die woanders erzeugt werden. Damit entlässt man die Politik und auch das Elternhaus aus der Verantwortung.
Sie lieben den Fußball, Sie schreiben über Fußball, Sie waren Fußballfunktionär – haben Sie eigentlich selbst mal Fußball gespielt?
Nein, denn früher sind nur die Guten in die Vereine gegangen. Ich habe nur auf der Wiese gepöhlt und dann sechs Jahre lang Hallenhandball beim VfL gespielt. Später habe ich Darts auf Liganiveau gespielt und 1984 einen Dartsklub mitgegründet.
Aber der Fußball hat trotzdem auf mich immer die größere emotionale Anziehungskraft gehabt.
Vielen Dank für das Gespräch.
- Gespräch mit Frank Goosen