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Die Kassierer: "Der Krieg ist zu komplex, um es in ein Lied zu fassen"


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Heimspiel der Kassierer in Bochum
"Der Krieg ist zu komplex, um ihn in ein Lied zu fassen"

InterviewVon Dietmar Nolte

30.09.2022Lesedauer: 7 Min.
Die Kassierer spielten in diesem Sommer auch auf dem "Rock im Park" (Archivbild).Vergrößern des Bildes
Die Kassierer spielten in diesem Sommer auch auf dem "Rock im Park"-Festival (Archivbild). Am Freitag haben sie ein Heimspiel im Bahnhof Langendreer. (Quelle: Imago/Marco Stepniak)
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Am Freitag spielen die Kassierer in Bochum. Man kennt sie als Skandalband, doch sie können auch anders. Ein Gespräch mit Frontmann Wölfi über Krieg, Alkohol und Atomkraft.

Seit 37 Jahren touren "Die Kassierer" aus Wattenscheid durchs Land und sind bekannt für ihre – sagen wir, extravagante Bühnenshow. So könnte man es zumindest nennen, wenn Sänger Wolfgang "Wölfi" Wendland splitterfasernackt und mit einer Flasche Bier in der Hand Lieder anstimmt wie "Blumenkohl am Pillemann" oder "Das Schlimmste ist, wenn das Bier alle ist".

Wer Wendland darauf reduziert, liegt allerdings komplett daneben. Im Gegenteil. Der 59-Jährige engagiert sich schon lange vor allem lokalpolitisch und hat durchaus dezidierte Meinungen zu den Themen unserer Zeit.

Vor dem Auftritt der Band am Freitagabend im Bahnhof Langendreer sprach t-online exklusiv mit dem Frontmann über Kunstfreiheit und Kernkraftwerke, Alkohol und Autofahren, Lokalpolitik und sein Engagement in der SPD. Unserem Autor hat er sofort das Du angeboten.

t-online: Wolfgang, die Kassierer spielen in Langendreer – ein echtes Heimspiel?

Wolfgang Wendland: Wir haben Bochum nie als besonderes Heimspiel empfunden. Unser erstes erfolgreiches Konzert war auf einer Party in Krefeld, danach haben wir auf einem größeren Punk-Festival in Göppingen gespielt. Und auch in der ganzen Tradition unserer Konzerte war Bochum immer eine Stadt von vielen.

Ihr steht seit 37 Jahren auf der Bühne. Sind die Fans mit Euch älter geworden?

Ich hatte viele Jahre lang den Eindruck, dass das Publikum gleichbleibend jung bleibt. Inzwischen ist es vom Alter her sehr gemischt. Aber wir sind meistens die Ältesten im Raum. (lacht)

Ändert das Alter etwas an deiner Performance auf der Bühne? Es hieß zuletzt, du würdest dich auf der Bühne nicht mehr ausziehen.

Das ist vom Alter unabhängig, was aber nicht heißt, dass ich in meiner Performance immer gleichbleibend bin. Bei den letzten Konzerten habe ich mich nicht ausgezogen, das stimmt. Aber das folgt keinem Prinzip. Das hängt einfach von meiner Laune ab.

Du kennst keine Hemmungen, dich zum Beispiel nackt zu zeigen. Gibt es trotzdem etwas, was dir in all den Jahren mal peinlich war?

Nö! Es gibt ja keinen Zwang, etwas zu machen. Und mir fällt jetzt kein konkretes Beispiel ein, wo mir mal was unangenehm gewesen wäre. Da ist auch nichts, was ich im Rückblick bereuen müsste.

Gilt das auch für eure Lieder?

In Zeiten der heutigen "Political Correctness" würden sich sicher Leute aufregen, wenn wir das machen, was wir teilweise gemacht haben. Ob heute eine Band ein Lied wie "Mein Glied ist zu groß" machen würde in dem Alter, in dem wir damals waren? Aber das ist kein Grund, die Lieder schlecht zu finden oder sie nicht mehr zu spielen. Man merkt schon, dass die Zeiten sich ändern. Aber davon lassen wir uns nicht beeindrucken. Im Grunde bin ich ein Verfechter der Kunstfreiheit, die steht ja auch im Grundgesetz.

Hast du den Eindruck, dass Leute, die heute Musik machen, zu viel Rücksicht nehmen auf Konventionen und Normen?

Ich habe den Eindruck, dass die Leute heute relativ verschüchtert sind. Das gilt übrigens nicht nur für die Musik, das gilt auch für den Film. Es gibt sicher gesellschaftlichen Druck, der umso größer ist, je unbekannter eine Band ist. Je mehr du auf bestimmte Menschen oder Läden angewiesen bist, desto mehr Druck wird dort ausgeübt. Für mich werden solche Dinge dadurch aber uninteressant.

Habt ihr diesen Druck in eurer Karriere mal gespürt?

Im Großen und Ganzen konnten wir machen, was wir wollten. Es gibt Läden wie das "zakk" in Düsseldorf, die wollen uns nicht, was ich kunstfeindlich finde. Aber sonst haben wir eigentlich keine Probleme.

Seid ihr mal damit angeeckt, dass es bei euren Konzerten einen relativ ausschweifenden Alkoholkonsum auf der Bühne gibt?

Gar nicht, egal ob in einem alternativen oder kommerziellen Laden. Die Leute freuen sich letztlich über den Bierumsatz. (lacht) Aber wir können auch ohne Alkohol lustig sein.

Ob dir das jetzt jeder glaubt?

Wenn ich im Gespräch zum Beispiel mal sage, dass ich nichts trinken möchte, weil ich mit dem Auto da bin – da gucken Leute manchmal völlig fassungslos, dass so ein besoffener Idiot wie ich einen Führerschein und ein Auto hat. Das habe ich schon öfter erlebt. Aber das ist mir völlig egal. Das ist ja auch eine Sache der Dramaturgie, dass der einfach gestrickte Mensch es auf vordergründige Weise lustig findet und mich für einen Idioten hält. Das ist völlig in Ordnung.

Ist denn der Wölfi auf der Bühne für dich eher eine Kunstfigur oder ist das auch zu 100 Prozent Wolfgang Wendland?

Ich denke schon, dass es eine Kunstfigur ist. Ich trage ja auch diverse Texte vor, die nicht unmittelbar aus meinem Leben stammen. Weder die Situation mit dem großen Glied noch die Zerteilung von Studenten mithilfe eines Außenbootmotors habe ich wirklich erlebt. (lacht) Insofern bin ich schon sehr sicher, dass es eine Kunstfigur ist – sonst hätte man mich schon längst wegen Mordes verhaftet.

Ist es für dich ein Gegensatz, dass das Publikum dich trotzdem auch auf der Bühne als authentisch wahrnimmt?

Wenn man einen Künstler mit seiner Rolle identifiziert, dann bedeutet es, dass die Rolle gut dargestellt ist. Alfred Tetzlaff wirkte in "Ein Herz und eine Seele" auch authentisch, auch wenn sein Darsteller Heinz Schubert vorher andere Sachen gemacht und unter Brecht gespielt hat.

Du selbst bist abseits der Bühne jemand, der sich lange Jahre in der Lokalpolitik engagiert hat. Siehst du "Die Kassierer" auch als politische Band?

Schon, sonst hätten wir auch nicht solche Sachen wie die Kreisler-Platte gemacht. Aber wir haben nicht unbedingt Lust, grundsätzliche Dinge ständig öffentlich vorzutragen. Wir leben das, wie zum Beispiel den Kampf gegen den Rassismus. Aber etwas, was gesellschaftlicher Konsens sein müsste, immer wieder aufs Neue zu beschwören, ist nicht unsere Sache. Deswegen sind unsere politischen Sachen zuweilen etwas dezent.

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Aktuelle Ereignisse in der Welt wie der Krieg in der Ukraine oder die Bemerkung von Friedrich Merz über Sozialtourismus der Flüchtlinge sind also auch nichts, was man aus deiner Sicht auf der Bühne thematisieren sollte?

Ich denke, der Krieg ist zu komplex, um ihn in ein Lied zu fassen. Und sich an einzelnen Worten so viele Tage aufzuhängen, finde ich auch übertrieben. Nicht, dass ich Merz verteidigen will, aber die Union scheint immer mal wieder Pech mit Begriffen zu haben, die auf "Tourismus" enden.

Wird von einem politisch links Stehenden nicht erwartet, dass er sich auch öffentlich zu Dingen wie Krieg, Armut und Energiekrise äußert?

Zum Thema Armut würde ich am ehesten noch etwas sagen. Beim Thema Energiekrise finde ich es problematisch, dass es für eine linke Einstellung gehalten wird, Kernkraftwerke pauschal abzulehnen. Ich fand es problematisch, dass man das Thema Kernkraft zu lange der AfD überlassen hat. Man kann einer Energieknappheit auch im Bundeshaushalt nicht auf Dauer entgegenfinanzieren. Da bin ich mit Blick auf die Armut schon der Meinung, dass in den nächsten fünf Jahren eher das Motto sein muss: Alles was geht – und das so schnell wie möglich. Man kann kurzfristigen Nutzen nicht mit langfristigen Träumereien beantworten. Der Ausbau der Windkraft dauert viel zu lange. Ich finde es problematisch, dass man sich nicht schon im März damit beschäftigt hat, die verbliebenen Kernkraftwerke erst einmal weiterlaufen zu lassen und sich auch nicht mit Fracking in Deutschland auseinandergesetzt hat. Das ist zugegebenermaßen eine sehr einsame Position.

Der ein oder andere wird solche Aussagen auch mit Erstaunen hören. Was die Frage aufwirft: Würdest du dich selbst noch als Punk bezeichnen? Oder warst du nie einer?

Ich denke, man erkennt einen Punk daran, dass er diese Diskussion ablehnt, wer warum noch Punk ist oder auch nicht. Ich habe seit den frühen 80er-Jahren mit dieser Szene zu tun und damit sehr viel Zeit und Herzblut verbracht. Aber ich war halt nicht seit 1977 dabei. Ich habe es immer als Problem gesehen, dass mir vier Jahre fehlen. Aber in Bochum-Gerthe gab es so etwas nicht. (lacht)

Was vielleicht auch nicht jeder weiß: Früher warst du für die Pogo-Partei und für die Linke aktiv, seit 2018 bist du aber Mitglied der SPD. Wie kam es dazu?

Ich hatte die Befürchtung, dass zwischen den Extrempositionen von AfD und Grünen eine rationale Politik aufgerieben wird. SPD fand ich da am sinnvollsten. Die FDP hätte man mir als Punk dann doch übel genommen. (lacht) Aktuell bin ich von der SPD auch nicht komplett überzeugt. Aber was mir zum Beispiel an Olaf Scholz gefällt: Er ist zwar solidarisch mit der Ukraine, aber nicht so kriegslüstern wie manch Grüner – diese etwas zurückhaltende Position in Sachen Waffenlieferungen finde ich eher beruhigend. Aber ich habe in anderen Dingen eben auch konträre Meinungen zur SPD. Was wahrscheinlich meine Chancen auf irgendwelche Posten etwas verringert. (lacht)

Du warst mal Mitglied der Bezirksvertretung, hast für das Amt des Bochumer Oberbürgermeisters kandidiert. Gibt es noch Bestrebungen, wieder aktiver in die Lokalpolitik zu gehen?

Ich bin nicht mit der Erwartung in die SPD gegangen, einen Posten zu bekommen. Ich habe auch eher den Eindruck, dass man kommunalpolitisch versucht, junge Leute aufzubauen. Und der Handlungsspielraum für Kommunalpolitik wird in den nächsten Jahren unheimlich eng sein; da macht es nicht viel Spaß, Politiker zu sein. Außerdem verbringt man auch sehr viel Zeit mit Lokalpolitik, das ist wie eine Sucht. Da ist es vielleicht auch ganz gut, davon ein bisschen loszukommen. Ich bin also auf einem guten Wege.

Jetzt haben wir sehr ausführlich über viele ernste und auch politisch brisante Themen gesprochen. Gilt denn trotzdem beim Konzert der Kassierer immer noch das alte Motto ...

... das Schlimmste ist, wenn das Bier alle ist!!! (lacht) In den jetzigen Zeiten ist das doch ein tröstliches Lied.

Vielen Dank für das Gespräch!

Wer mehr von Wolfgang Wendland sehen und hören möchte: Ganz aktuell versucht er sich mit einem eigenen Youtube-Kanal. Er heißt "Neues aus dem Vergangenheitszimmer" und ist laut dem Sänger der "Versuch, nicht nur kommunalpolitische, sondern allgemeine Themen, die mich bewegen, in einer authentischen Art zu präsentieren, die der Tatsache, dass ich ein Boomer bin, gerecht werden".

Verwendete Quellen
  • Gespräch mit Wolfgang Wendland, Sänger der Band "Die Kassierer"
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