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Essen: Ein Massaker, bei dem viele sterben sollten


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Rohrbomben im Kinderzimmer
Ein Massaker, bei dem viele sterben sollten

  • Jonas Mueller-Töwe
Von Jonas Mueller-Töwe

Aktualisiert am 08.09.2022Lesedauer: 4 Min.
"Ich liebe nur Dich, Morityu": Ein Jugendlicher wollte wie eine Spielfigur in seiner Schule Amok laufen. Ermittler sprechen von einer extremen rassistischen Gesinnung.Vergrößern des Bildes
"Ich liebe nur Dich, Morityu": Ein Jugendlicher wollte wie eine Spielfigur in seiner Schule Amok laufen. Ermittler sprechen von einer extremen rassistischen Gesinnung. (Quelle: Screenshot: t-online)
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Ein Schüler hortet Rohrbomben und Schusswaffen. In einem Manifest plant er Massenmord und Rassenkrieg. Erst kurz vor der Tat im Mai stoppt ihn die Polizei.

Freunde hatte er offenbar keine. "Jahrgangsnazi" nannten sie ihn scherzhaft in der Schule. Er hasste sein Umfeld dort, verbrachte seine Zeit lieber in rassistischen Internetforen. Der Jugendliche, der im Mai verhaftet wurde, weil er einen Anschlag auf das Don-Bosco-Gymnasium in Essen geplant haben soll, hatte wohl ein einsames Leben. Der Vater wird als rechtsradikal beschrieben, besitzt Waffen und bewahrt die NSDAP-Mitgliedsnadel des Großvaters unterm Bett auf. Die Mutter fürchtet angeblich, der Sohn könne immer mehr werden wie er. Davon, was ihren Nachwuchs aber über Jahre heimlich bewegte – nämlich Massenmord und Rassenkrieg –, sollen beide nichts geahnt haben.

Möglichst viele sollen sterben

Gerichtsdokumente, die t-online vorliegen, geben nun erstmals tiefe Einblicke in die geplante Tat. Sie legen nahe: Die Polizei verhinderte am 12. Mai offenbar äußerst knapp ein mutmaßlich lange vorbereitetes rechtsextrem motiviertes Massaker, bei dem möglichst viele Lehrer und Schüler sterben sollten. Für den "Jahrgangsnazi" sind sie nur "anti-weiße" und "linke Untermenschen", wie er festhält. Der Zugriff erfolgte einen Tag vor dem geplanten Tag des Attentats. Er selbst nennt es "DBG-Massaker", so wie Don-Bosco-Gymnasium.

Für den Anschlag hat der 16-Jährige damals laut Ermittlern bereits ein Waffenarsenal mit Sprengstoff angelegt, ein sogenanntes "Manifest" für angebliche "Kameraden" geschrieben und Videobotschaften in voller Kampfmontur aufgezeichnet. Mit seinen detaillierten Aufzeichnungen will er Nachahmer anregen. Ganz wie seine großen Vorbilder: die Terroristen von Norwegen, Christchurch und Halle. Auch sein eigenes Ende hat er geplant: Er will nach dem Anschlag von Polizisten erschossen werden. "Suicide by cop" also.

26 Rohrbomben im Kinderzimmer

Als Spezialeinsatzkräfte der Polizei im Mai sein Wohnhaus in Borbeck-Mitte stürmen, finden sie ein Kinderzimmer vor, das einer Waffenkammer gleicht. 26 Rohre sind zum Teil mit Nägeln und Muttern beklebt und bereits verkabelt. Das Wissen über Zünder hat der Jugendliche aus dem Darknet. 260 Gramm "pyrotechnische Explosivstoffmasse", wie sie im Fachterminus heißt, sollen die Rohre mittels Schwarzpulver, Streichholzkopfmasse und Zündschnur offenbar zu Bomben machen. Binnen weniger Stunden könnten sie scharf gemacht werden. Das Bundeskriminalamt stellt später bei Sprengversuchen fest: Ihre Splitter können töten.

Auch ansonsten liest sich die Liste der Sicherstellungen erschreckend: Armbrüste, und Macheten, Schreckschusswaffen und Luftdruckpistolen, Schlagringe und Messer – und Munition. Eine funktionsfähige Schusswaffe hat er selbst gebaut. Auf weitere Waffen im Elternschlafzimmer hat er Zugriff – laut der Gerichtsunterlagen sollen seine eigenen Aufzeichnungen belegen, dass er auch sie für seine Tat fest einplant. Stolz hat er in diesen alle Vorbereitungen dokumentiert.

Verdächtiger verließ U-Haft – ohne Fußfessel

Dass all das nur eine Art "Hilferuf" ist, wie NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) kurz nach dem Polizeieinsatz mutmaßt, dass der junge Mann also eigentlich erwischt werden will, dafür spricht im Nachgang zumindest laut eines kürzlichen Beschlusses des Bundesgerichtshofs wenig. Im Gegenteil: Nachdem er vor einigen Wochen aus der Untersuchungshaft entlassen wurde, sich freiwillig in eine Kinder- und Jugendpsychiatrie begab und auch eine elektronische Fußfessel nicht mehr tragen musste, ist der Haftbefehl seit Kurzem wieder in Kraft.

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Der Grund: Ermittler und Gericht befürchten, er könne fliehen. Dass er weiter für gefährlich gehalten wird, daran lässt der Beschluss keinen Zweifel. Von "gefestigter rassistischer Gesinnung" und "massiver Gewaltbereitschaft" ist die Rede. Seine "rassistischen Gewaltfantasien" seien "handlungsleitend" für ihn. Und er sei auch weiterhin imstande, sein Umfeld zu täuschen.

In der Untersuchungshaft hat er offenbar wenig getan, um solche Bedenken zu zerstreuen. Keine Spur von Schuldbewusstsein oder Reue.

"Blinde Entschlossenheit"

Stattdessen wird er als "gefühllos" und "nicht authentisch" beschrieben. Der noch nicht vor allzu langer Zeit als "Jahrgangsnazi" Verlachte spricht in der Justizvollzugsanstalt Wuppertal-Ronsdorf wohl erschreckend offen mit dem dortigen Personal: über seinen Anschlagsplan, seine Mordfantasien, seinen Ausländerhass, seine Waffenaffinität, seine Bewunderung für rechtsextreme Terroristen. Von diesen Äußerungen habe er "bisher keinen Abstand" genommen, hält der BGH-Beschluss fest.

"Seine blinde Entschlossenheit wird besonders deutlich an seinen vom 9. bis 11. Mai 2022 und damit direkt vor dem geplanten Anschlag gefertigten Tagebuchaufzeichnungen", heißt es in den Gerichtsdokumenten. Damals habe er sich zwar einem Mitschüler offenbart. Tatsächlich ging er aber laut der Aufzeichnungen davon aus, dass seine Mitschüler ihn nicht ernst nähmen. "In seinen Aufzeichnungen hat er ausgeführt, dass er nur von außen normal wirke, jedoch sein wahres Gesicht noch nie jemandem offenbart habe."

"Ich liebe nur Dich, Morityu"

Besser als sein persönliches Umfeld dürften ihn seine Chatpartner kennen: Bei der Auswertung seiner Computer und Mobiltelefone stoßen die Ermittler auf rechte Gruppen und Foren. Dort fabuliert er von seinem Kampf für die "Freiheit der weißen Rasse", spricht von "Kameraden und Mitstreitern". Allein ihnen fühle er sich emotional verbunden – ihnen und einer Computerspielfigur names "Morityu". In dem japanischen Rollenspiel tötet der Spieler als Mädchen Mitschüler und Lehrer bei einem Amoklauf. Ihr hat der heute 17-Jährige wohl eine "umfangreiche Schrift" gewidmet: "Ich liebe nur Dich, Morityu".

Ob all dies dazu führt, dass der Verdächtige mit Rassenkriegsfantasien auch wieder in die Justizvollzugsanstalt zurückkehrt, ist offen. Der Generalbundesanwalt prüft, ob der Verdächtige in die geschlossene Abteilung eines psychiatrischen Krankenhauses eingewiesen wird. Das dürfte ihm entgegenkommen. Offenbar hat er Angst vor kriminellen Mithäftlingen und war in der U-Haft bislang in einer Einzelzelle untergebracht, wie der Beschluss des Bundesgerichtshofs festhält. "Dass auf seinem Rechner umfangreiches kinderpornografisches Material gefunden worden ist und ihm auch insoweit eine Anklage droht, ist geeignet, seine Angst vor anderen Jugendlichen im Strafvollzug noch zu steigern."

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherchen
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