Fall bewegte ganz Deutschland Tot im Kühlschrank: Kevin wäre nun 20 – er wurde nur 2 Jahre alt
Kevin wäre nun 20 Jahre alt, doch sein Leben war kurz und grausam. Der kleine Junge aus Bremen war einem Martyrium ausgesetzt – das man hätte verhindern können.
Am 10. Oktober 2006 wurde die Leiche des zweijährigen Kevin im Kühlschrank seines Ziehvaters Bernd K. in Bremen-Gröpelingen gefunden. Die Aufarbeitung des Falls zeigte: Das System, das den kleinen Jungen eigentlich schützen sollte, hat komplett versagt. Die Chronologie eines kurzen, traurigen Lebens.
Januar 2004: Kevin wird am 23. Januar als Kind einer drogensüchtigen Mutter im Klinikum Bremen-Nord geboren. Das Baby leidet bereits an einem Atemnotsyndrom sowie unter Entzugserscheinungen. Außerdem erhält es wegen der HIV-Infektion seiner Mutter eine Retrovir-Therapie. Bereits bei der Geburt erlangt das Jugendamt durch eine Mitarbeiterin des Sozialdienstes im Klinikum Kenntnis von Kevins Eltern und deren Lebenssituation.
Später stellt sich heraus, dass Bernd K. nicht der leibliche Vater des Jungen ist. "Hinsichtlich des Vaters von Kevin ist darauf hinzuweisen, dass die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft ergeben haben, dass es sich bei dem in den Behördenakten als Vater geführten Bernd K. tatsächlich nicht um den biologischen Vater von Kevin handelt", heißt es im Bereich der Bremischen Bürgerschaft. Der biologische Vater von Kevin sei nicht bekannt.
Kevin wird mit Knochenbrüchen ins Krankenhaus eingeliefert
Oktober 2004: Der kleine Kevin wird mit Knochenbrüchen in eine Kinderklinik eingewiesen.
Juli 2005: Die Polizei berichtet von Auffälligkeiten. Beamte treffen die Eltern betrunken an, Ziehvater Bernd K. ist aggressiv. Der Junge ist nicht versorgt. Bei einem Hausbesuch stellt das Sozialzentrum keine Mängel bei der Versorgung fest.
November 2005: Kevins Mutter stirbt. Der Notarzt schließt dabei ein Fremdverschulden nicht aus. Kevin kommt für drei Wochen in ein Kinderheim. Das Jugendamt wird zum ersten Vormund des Kindes. Eine Woche später entscheidet das Sozialzentrum, dass Kevin wieder zu seinem Ziehvater gebracht wird.
Ende April/Mai 2006: Vermutlicher Todeszeitpunkt von Kevin. Der genaue Tag kann nicht ermittelt werden.
Bernd K. schläft vor dem Leichenfund im Hotel
September 2006: Das Sozialzentrum übermittelt dem Amtsvormund, dass der Ziehvater sich der angebotenen Hilfe entzieht. Es wird entschieden, den Jungen aus der Familie zu nehmen.
2. Oktober 2006: Das Gericht beschließt, Kevin aus der Wohnung von Bernd K. zu holen.
10. Oktober 2006: Polizisten finden Kevin tot im Kühlschrank in der Wohnung von Bernd K. in Bremen-Gröpelingen. Wenige Tage vor dem grausigen Fund hat K. in einem Hotel in Bremen gewohnt, wie sich später herausstellte. Bernd K. habe Anfang Oktober 2006 in dem Haus fünf Tage übernachtet, sagte die Leiterin des Hotels. Sie habe den Angeklagten nach fünf Tagen "vor die Tür gesetzt", sagte die Zeugin. Er sei eine "ungepflegte Erscheinung" gewesen und habe eine Alkoholfahne gehabt.
11. Oktober 2006: Bremens Sozialsenatorin Karin Röpke (SPD) tritt zurück. Sie habe sich mitverantwortlich für den Tod des Kindes gefühlt.
31. Oktober 2006: Eine Dokumentation zu Fehlern der Behörden wird vorgestellt. Dabei wird erstmals bekannt, dass der festgenommene Drogensüchtige nicht Kevins leiblicher Vater ist.
2. November 2006: Das Parlament der Hansestadt setzt einen Untersuchungsausschuss ein. Auch dieses Gremium kommt zu dem Schluss, dass die Sozialbehörden im Fall des Jungen drastische Fehler gemacht haben.
10. November 2006: Die Bremer Landesregierung erklärt, dass Kevin nach Untersuchungen von Gerichtsmedizinern eines gewaltsamen Todes gestorben ist.
13. November 2006: Kevin wird bei regnerischem, kaltem Wetter von einer kleinen Trauergemeinde neben seiner Mutter in Bremen-Walle beigesetzt. Pastorin Jutta Konowalczyk-Schlüter stellte die Frage nach dem Sinn des Todes des kleinen Jungen. "Warum dieser Tod? Kevin hatte sein Leben doch noch nicht gelebt", sagte sie vor den Angehörigen. "Kevin soll nicht umsonst gelebt haben und gestorben sein."
18. April 2007: Gegen den Ziehvater von Kevin wird Anklage wegen Mordes und Missbrauchs Schutzbefohlener erhoben.
24. Oktober 2007: Der Prozess gegen Bernd K. beginnt. Vor dem Landgericht muss er sich wegen Totschlags und Misshandlung Schutzbefohlener verantworten. Die Staatsanwaltschaft hatte ihn wegen Mordes angeklagt. Eine Bekannte der Familie sagt im Prozess aus, sie habe Kevin noch Mitte Mai 2006 lebend auf einem Spielplatz gesehen. Der Junge sei verletzt gewesen, ein Bein sei notdürftig geschient gewesen. Bernd K. habe ihr damals gesagt, der Junge sei gestürzt und er wolle mit ihm zum Arzt.
20. Mai 2008: Die Staatsanwaltschaft fordert 13 Jahre Haft für Kevins Ziehvater wegen Mordes und schwerer Misshandlung Schutzbefohlener. Wegen einer möglichen verminderten Schuldfähigkeit zum Tatzeitpunkt wegen Drogenkonsums sieht die Anklage von der Forderung nach lebenslanger Haft ab.
28. Mai 2008: Die Anwälte des Drogensüchtigen stellen in ihren Plädoyers keine konkreten Anträge. Nach ihrer Auffassung ist die Todesursache weiter unklar. Der 43-Jährige sei ein liebevoller Vater gewesen und habe nicht die Absicht gehabt, das Kind zu töten. Erstmals bricht an diesem Tag der Angeklagte sein Schweigen. Er sagt: "Ich bin erschüttert über diese Katastrophe, es ist ungeheuer traumatisch. Meine Reue ist drastisch."
5. Juni 2008: Das Landgericht Bremen verurteilt den damals 43-jährigen Ziehvater von Kevin wegen Körperverletzung mit Todesfolge in Tateinheit mit Misshandlung von Schutzbefohlenen sowie wegen Misshandlung von Schutzbefohlenen und Körperverletzung zu zehn Jahren Haft. Außerdem wurde die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet.
Fall Kevin schockiert ganz Deutschland
Ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss arbeitete den grausamen Fall auf. "Der Tod von Kevin ist […] von vielen Zuständigen nicht verhindert worden, obwohl sie die Möglichkeit hatten", heißt es im Abschlussbericht der Bremischen Bürgerschaft.
Der Fall Kevin löste eine Kinderschutzdebatte in Deutschland aus, es gab Gesetzesänderungen. "Seit 2006 ist in Bremen und auch bundesweit viel verändert worden", sagte der Sprecher der Bremer Sozialbehörde, Bernd Schneider, der Deutschen Presse-Agentur (dpa). In Bremen gab es personelle Verstärkung für das Jugendamt, bei Meldungen gilt nun das Vier-Augen-Prinzip. Außerdem gebe es ein 24-Stunden-Nottelefon für Kinder und Jugendliche. "Im Jugendamt ist kein Stein auf dem anderen geblieben. Mit Kevin hat im Bremer Jugendamt eine neue Zeitrechnung begonnen", so Schneider.
"Dabei darf es keinen Freitagnachmittag geben"
Durch eine Gesetzesänderung wurde 2011 außerdem als Konsequenz des Falls Kevin festgelegt, dass ein Vormund nicht mehr als 50 Personen betreuen darf.
Auch Jürgen Stein vom Diakonischen Werk Bremen e. V. betonte: "Es ist in meinen Augen wichtig, dass die Öffentlichkeit eine Möglichkeit hat, die Gefährdung eines Kindes oder Jugendlichen rund um die Uhr zu melden. Dabei darf es keinen Freitagnachmittag geben, an dem man niemanden erreicht – an solchen Freitagnachmittagen sind auch im Fall Kevin einige entscheidende Vorgänge leider ohne Wirkung geblieben."
Kevin wäre heute 20 Jahre alt.
- bremische-buergerschaft.de: Bericht Kindeswohl
- diakonie-bremen.de: Fall Kevin
- butenunbinnen.de: Fall Kevin
- Mit Material der Nachrichtenagentur dpa