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"AfD-Küchenschreck" aus Berlin: Die zwei Gesichter des Gunnar Lindemann


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Maitre Gunnar aus Berlin-Marzahn
Der "AfD-Küchenschreck" und seine Putin-Propaganda


Aktualisiert am 21.05.2022Lesedauer: 8 Min.
Ein Screenshot aus Lindemanns Kochsendung auf YouTube: Die Show habe angeblich mit Politik nichts zu tun.Vergrößern des Bildes
Ein Screenshot aus Lindemanns Kochsendung auf YouTube: Die Show habe angeblich mit Politik nichts zu tun. (Quelle: Antje Hildebrandt/t-online)
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Wegen seiner guten Russland-Kontakte ist der Berliner AfD-Abgeordnete Gunnar Lindemann umstritten. Mit einer eigenen Kochshow auf YouTube erreicht er jetzt ein neues Publikum. Mit Politik habe das nichts zu tun, sagt er. Aber was sucht so einer in der Unterhaltung?

Der Mann, der sich Maitre Gunnar nennt, ist aus der Puste. Der Ketchup will nicht so, wie er will. Der Maitre muss die Flasche immer kräftig schütteln, damit der Inhalt in einen Topf fällt.

Es gibt Menschen, die schmunzeln, wenn sie ihn so sehen. Da steht ein Dreizentnermann mit weißer Kochmütze am Herd einer Marzahner Plattenbauwohnung und bewegt die Ketchup-Flasche wie einen Cocktail-Shaker im Rhythmus der Musik. Es sieht aus, als würde er tanzen.

Berliner Politiker: "Nur bedingt vorzeigbar"

"Gunnars Kochshow" nennt sich dieser Exkurs in die Marzahner Küche. Es gibt Fast Food, das ist das Erfolgsrezept der fünfminütigen YouTube-Videos. Wobei, mit dem Erfolg ist das so eine Sache. 40.000 Menschen schauen sich diese Clips im Schnitt an. Ihr Protagonist ist ein Berliner AfD-Abgeordneter, dem russische Staatsmedien regelmäßig den roten Teppich ausrollen. Gunnar, wer?

Hierzulande galt er bislang als politische Witzfigur. Ein Hinterbänkler, von dem sogar eigene Fraktionskollegen sagen, er sei "nur bedingt vorzeigbar". Er schade der Partei mit seinen regelmäßigen Reisen in die Ukraine, genauer: in die von Russland besetzten Republiken Donezk und Luhansk. Aber man werde ihn nicht los, zu beliebt sei er bei den AfD-Wählern in Marzahn. Gunnar Lindemann, 51.

"Kein Wort über Politik"

Das Einkaufszentrums "Eastgate" in Berlin-Marzahn. Das ist der Wahlkreis von Lindemann. 40 Prozent Hartz IV-Empfänger, Heimat für Tausende Russland-Deutsche. Eine Plattenbau-Tristesse wie aus dem Kinofilm "Good Bye, Lenin!". Lindemann hat ein Café neben der Stadtsparkasse als Treffpunkt vorgeschlagen. Das heißt, eigentlich wollte er, dass man ihn im Abgeordnetenhaus trifft. Einem Interview hat er aber nur unter einer Bedingung zugestimmt: "Kein Wort über Politik".

Das ist so, als würde man sich mit dem Grünen-Chef Robert Habeck treffen, darf mit ihm dann aber nur über das Kinderbuch sprechen, das er veröffentlicht hat – nicht über seinen Beruf. Eine groteske Situation. Denn das eine lässt sich vom anderen ja nicht trennen. Politiker stehen in der Öffentlichkeit. Was sie neben ihrer Arbeit machen, muss nicht primär politisch sein. Sie müssen sich aber die Frage gefallen lassen, ob es politisch instrumentalisiert werden kann.

Currywurst schnippeln, aber richtig

Wer Lindemann bislang nicht kannte, wird sich fragen, wer der Mann ist, der jeden Freitag auf YouTube klassische Kochshows karikiert. Der, ohne eine Miene zu verziehen, erklärt, wie man Currywürste in selbst gemachte Tomatensoße schnippelt oder wie man eine Dose mit Fertiggulasch öffnet, ohne sich zu verletzen. Er wird schnell herausfinden, dass Lindemann noch eine andere Seite hat. "AfD-Küchenschreck", "Der Trump aus Marzahn" oder "Putins Stiefellecker", das sind Stempel, die ihm seine Kritiker aufgedrückt haben.

Dennis Manz verzieht das Gesicht, wenn die Rede auf Lindemanns Ruf als Bad Boy der AfD kommt. Manz filmt, schneidet und produziert "Gunnars Kochshow". Er hat sich dieses Format ausgedacht. Ein Mann, der sich im Showbusiness auskennt. In den Achtzigerjahren war er ein bekannter DJ und Radiomoderator. Dennis King, so nannte er sich damals. Heute sitzt er in der Social-Media-Abteilung der Berliner AfD. Er produziert Imagefilme für die Partei.

West-Import, getarnt als Vorzeige-Marzahner

Ein korpulenter Riese, der aussieht, wie ein älterer Bruder von Lindemann. Die beiden sind ein eingespieltes Team. Es kommt vor, dass Lindemann einen Satz beginnt und Manz ihn beendet. Oder umgekehrt. Beide beißen synchron in ihren Toast. Manz sagt, Kochshow sei Kochshow, und Politik sei Politik. Man dürfe das eine nicht mit dem anderen vermischen. Sonst würde die Kochshow nicht funktionieren. Aber durchschauen ihn die Menschen nicht auch so?

Gunnar Lindemann ist erst vor zehn Jahren aus NRW nach Marzahn gezogen, zusammen mit seiner rumänischen Ehefrau und dem gemeinsamen Sohn. Aus beruflichen Gründen, sagt er heute. Er heuert als Betriebsplaner für eine Eisenbahngesellschaft an. Ein West-Import, wie Björn Höcke. Einer, der jetzt 6.657 Euro brutto im Monat verdient.

Lindemann sieht aber aus, wie sich viele einen Marzahner vorstellen. Er ist übergewichtig, rein optisch bedient er das Klischee des kleinen Mannes, der sich nach der Acht-Stunden-Schicht in einem unterbezahlten Job als Pförtner schnell noch eine Dose Ravioli in den Topf haut. Ich bin einer von euch, diese Botschaft sendet er in seiner Kochshow. Natürlich nicht uneigennützig. In seiner Rolle als Vorzeige-Marzahner wanzt er sich in seiner Kochshow an eine Zielgruppe heran, die die AfD auf dem Höhepunkt der Flüchtlingswelle 2015 für sich entdeckt hat.

"Rassist in Joggingbuxe"

Kleiner Spoiler: Urbewohner von Marzahn sind es nicht. Viele können über den Mann, der mit der Ketchupflasche in der Hand tanzt, überhaupt nicht lachen. Sie fühlen sich von ihm regelrecht "verarscht". "Der muss aufpassen, dass er nicht was aufs Maul bekommt", sagt Ronny, kurzgeschorene Haare, Baggy-Jeans, der an einem warmen Abend im Mai von der Arbeit im Lager von BMW nach Hause kommt. Klar, schiebe er sich nach der Arbeit auch mal eine Pizza in den Ofen. "Aber tun das die Menschen in Berlin-Mitte etwa nicht?" Ronny sagt, er lebe gerne in Marzahn. Viel Grün, konkurrenzlos günstige Mieten. Er lasse sich von so einem dahergelaufenen AfD-Politiker nicht als Asi abstempeln.

Gunnar, wer? Die meisten Menschen, die man an diesem Abend vor dem Havemann-Center in Lindemanns Wahlkreis fragt, wollen den Namen noch nie gehört haben. Nur Iris ist ihm schon mal begegnet. "Das ist doch dieser Typ in Joggingbuxe." Einen Rassisten, so nennt sie ihn. Die Altenpflegerin, schwarzgefärbte Haare, beide Arme tätowiert, sitzt mit einer Freundin auf einer Bank und genießt die letzten Sonnenstrahlen.

Iris, 37, sagt, genau an dieser Stelle habe sie sich im vergangenen September mit Lindemann gezofft. Es war Wahlkampf, der AfD-Mann verteilte Flyer an alle vor dem Einkaufscenter. Nur ein Freund von Iris ging leer aus.

Keine Flyer an Kinder von Afrikanern?

Wegen seiner schwarzen Hautfarbe? Iris sagt, ihr Kumpel sei Deutscher. Sie habe Lindemann höflich darauf hingewiesen. Er habe nicht reagiert. Sie habe dann so lange auf ihn eingeredet, bis ihr Kumpel auch einen Flyer bekam. Ein Wort habe das andere gegeben. "Dann hat Herr Lindemann die Straßenseite gewechselt."

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Gewählt hat ihn Iris nicht. Sie ist wie immer gar nicht erst zur Wahl gegangen. Iris ist alleinerziehende Mutter einer Tochter. Sie sagt, sie lebe seit sieben Jahren von Hartz IV. Gezwungenermaßen. Der Krebs habe ihr ein Bein gestellt. 700 Euro im Monat, mehr bleiben ihr und ihrer Tochter nicht übrig zum Leben. Iris seufzt. Sie sagt, alles werde teurer. Hackfleisch könne sie sich nicht mehr leisten. "500 Gramm kosten jetzt fünf Euro statt 2,50 Euro." Sie hat die Hoffnung aufgegeben, dass auch nur irgendeine Partei sie aus diesem Schlamassel herausholen könne.

Lindemann und die Russlanddeutschen

Damit passt Iris genau ins Beuteschema von Gunnar Lindemann. Eigentlich. Er gibt es nicht zu, aber es sind die von der Politik Frustrierten, die er in seiner Kochshow umgarnt. Und dass er sie 2015 in Marzahn-Nord gefunden hat, ist wohl kein Zufall. Es ist der ärmste Bezirk in Berlin, nirgendwo sonst ist die Wahlbeteiligung so niedrig wie hier. Seine Stammwähler hat der AfD-Mann unter Russlanddeutschen rekrutiert. Tausende von ihnen leben hier.

Eine von ihnen ist Medina Schaubert, 35, die 1997 mit ihren Eltern aus Kasachstan kam. Heute ist sie Geschäftsführerin des Vereins "Vision", der sich um die Integration von Russlanddeutschen kümmert. Nebenbei engagiert sie sich in der CDU.

Sie sagt, es seien die Hardcore-Putinisten, die sich um Lindemann scharten. Menschen, die dem russischen Staatsfernsehen mehr vertrauten als der "Tagesschau". Was sie verbinde, sei ihr Hass auf Migranten und Homosexuelle und ihr Misstrauen gegenüber der freiheitlich demokratischen Gesellschaft. Schon auf dem Höhepunkt der Flüchlingswelle 2015 habe die AfD sie in Marzahn umgarnt. "Im Wahlkampf tauchten plötzlich Flyer auf Russisch auf."

Der Fall Lisa

Richtig gepunktet habe die AfD in Marzahn aber erst im Januar 2016 – mit Hilfe russischer Medien. Da berichtete die Tante der 16-jährigen Lisa unter Tränen im russischen Staatsfernsehen, ihre Nichte sei von drei Flüchtlingen entführt und in ihrer Wohnung vergewaltigt worden. Die Geschichte entpuppte sich als Fake. Lisa hatte sie sich nur ausgedacht, um einer Strafe zu entgehen.

"Die Wahrheit interessierte die Hardcore-Putinisten da aber gar nicht mehr", sagt Schaubert. Im September gewann Gunnar Lindemann aus dem Stegreif das Direktmandat mit 30,6 Prozent der Stimmen. Für den Nobody ein sensationeller Erfolg. Seither hofieren ihn die russischen Staatsmedien. Lindemann reist regelmäßig auf die von Russland besetzte Krim. 2019 nimmt er seinen Sohn mit. Auf Instagram veröffentlichte, später aber wieder gelöschte Fotos zeigen den damals 15-Jährigen, wie er eine Kalaschnikow anlegt. Darunter steht: "In Deutschland verboten, aber na ja, bin ja in Donetsk".

Spricht man Lindemann auf seine Ukraine-Reisen an, geht eine merkwürdige Verwandlung mit ihm vor. Er spult jetzt Phrasen ab, die wie auswendig gelernt klingen. Er sagt, das Reisen sei schon immer sein liebstes Hobby gewesen, neben dem Kochen. In China sei er schon gewesen, in Thailand, im Irak, in Syrien und im Libanon.

"Immer privat?"

"Ich bin überall privat."

"Auch als Wahlbeobachter in Donetsk und in Südossetien?"

Lindemann verstummt. Dennis Manz grätscht dazwischen. "Wir wollten doch nicht über Politik reden." Der Berliner AfD-Fraktion dürfte das Recht sein. AfD-Chefin Kristin Brinker, so hört man, sei nicht gut auf Lindemann zu sprechen. Der Rummel um den AfD-Küchenschreck aus Marzahn werde ihr langsam unheimlich. Am 11. Februar läuft die erste Folge von "Gunnars Kochshow", dann, kurz vor dem Ukraine-Krieg, verbreitet Lindemann russische Propaganda auf YouTube.

Russische Propaganda auf YouTube

Während die Welt noch ungläubig auf die russischen Truppen starrt, die Putin an der Grenze zur Ukraine in Stellung gebracht hat, verkündet Lindemann schon, die "Kriegstreiber in diesem Spiel seien auf jeden Fall die Nato, die USA und teilweise auch der ukrainische Staat". In Flyern, die er später in Marzahn verteilt, ist nicht von einem Angriffskrieg die Rede, sondern von einem "bewaffneten Konflikt".

Inzwischen ist die Spitze der heillos zerstrittenen Bundespartei AfD auf den Pro-Putin-Kurs eingeschwenkt. Auf Twitter macht sich Lindemann dafür stark, dass ihr Vorsitzender Tino Chrupalla auf dem nächsten Bundesparteitag wiedergewählt wird. Ein Sieg der Russlandfreunde könnte der Partei das Genick brechen. Die AfD sitzt in der Russlandfalle. Sie muss befürchten, dass die Stimmung auch unter ihren gemäßigten Anhängern kippt.

Ein Maulkorb von der AfD?

Will oder darf Lindemann nicht über Politik reden, weil ihm die AfD einen Maulkorb verpasst hat? Ein ehemaliger Fraktionskollege sagt, Lindemann lasse sich nichts vorschreiben. Er habe schon immer gemacht, was er wolle.

Zu Fraktionssitzungen sei er mit einer 1,5-Liter-Flasche Fanta erschienen und einer Tüte mit Berlinern. Die habe er während der Sitzung aufgegessen. Streit versuche Lindemann aus dem Weg zu gehen. Es sei vorgekommen, dass er Sitzungen einfach verlassen habe. Der Fraktionskollege glaubt, das sei auch der Grund, warum Lindemann jetzt nur über seine Kochshow reden will, aber nicht über Politik. "Wie will er denn erklären, warum er ständig in Russland oder in der Ukraine ist?"

Kochen mit Rechtsextremisten

Demnächst wird Lindemann noch weniger in Marzahn sein, wo er, so sagt er im Interview mit t-online, noch immer im 9. Stock einer DDR-Platte lebe, 72 Quadratmeter, 500 Euro warm. Künftig will er auch bei Zuschauern zu Hause kochen, das ist der Plan. Bewerbungen hat er angeblich auch aus dem Ausland bekommen. Der Maitre grinst. "Wir bringen die Marzahner Küche nach ganz Europa."

Vorher reist er aber für vier Tage nach Mallorca – zusammen mit Michael Stürzenberger und Heinrich Fiechtner. Der eine ist mehrfach vorbestraft, unter anderem wegen Volksverhetzung und Kennzeichenmissbrauch, und wird wegen rechtsextremistischer Islamhetze vom bayerischen Verfassungsschutz beobachtet; der andere ist ein ehemaliger AfD-Abgeordneter, der sich in der Pandemie radikalisiert hat. "Deutschland, was nun?", heißt ihr Vortrag.

Worum es geht, will Lindemann angeblich nicht wissen. Er koche da nur im Showteil, sagt er. Was man eben so sagt, wenn man keine Lust hat, kritische Fragen zu beantworten. Dass Kochen nichts mit seinem Job als Abgeordneter zu tun hat, wird er jedoch spätestens jetzt nicht mehr behaupten können. Die Marzahner Currywurst ist politisch, ob ihm das schmeckt oder nicht.

Verwendete Quellen
  • Interview mit Gunnar Lindemann und Dennis Manz
  • Telefon- und Vor-Ort-Recherche in Marzahn
  • Interview mit einem ehemaligen AfD-Abgeordneten
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