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Berlin: Initiative will Berlin bis 2027 autofrei machen – Idee umstritten


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Selbst Grüne gehen auf Abstand
Initiative kämpft für ein autofreies Berlin

  • Daniel Mützel
Von Daniel Mützel

17.04.2021Lesedauer: 4 Min.
Fahrradfahrer auf der autofreien Friedrichstraße in Berlin-Mitte: Die Initiative "Berlin autofrei" will Autos aus der Innenstadt verbannen – mit Ausnahmen.Vergrößern des Bildes
Fahrradfahrer auf der autofreien Friedrichstraße in Berlin-Mitte: Die Initiative "Berlin autofrei" will Autos aus der Innenstadt verbannen – mit Ausnahmen. (Quelle: Bildgehege/Symbolbild/imago-images-bilder)
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Der "Volksentscheid Berlin autofrei" will Privatautos aus der Berliner Innenstadt verbannen. Selbst die Grünen hadern mit der Radikalität der Forderungen.

Wie sähe eine Stadt ohne Autos aus? Vielleicht so: breite Rad- und Fußwege, spielende Kinder mitten auf der (ehemaligen) Fahrbahn, Bänke, Blumenbeete, Flohmarktstände, vielleicht ein kleines Open-Air-Kino.

Mit diesem idyllischen Bild wirbt die Initiative "Berlin autofrei" für eine radikale Vision: Bis 2027 sollen aus der Innenstadt die allermeisten Privatautos verbannt werden. Nur Polizei, Feuerwehr, Taxen, Busse, die Müllabfuhr und der Warenverkehr dürften dann noch die Straßen innerhalb des S-Bahn-Rings – ausgenommen sind Bundesstraßen – benutzen. Auch parkende Autos müssten verschwinden.

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Ausnahmen soll es nur wenige geben, etwa für ältere und kranke Menschen, die auf ihr Auto angewiesen sind. Alle anderen erhielten ein Kontingent von zwölf Freifahrten pro Jahr, etwa für Umzüge oder Urlaubstrips. Wer sich nicht daran hält, dem drohen teils rabiate Strafen: Bis zu 100.000 Euro Ordnungsgeld listet der Gesetzentwurf für Verstöße auf, der im Februar beim Senat eingereicht wurde.

Berlin soll so die größte autoreduzierte Zone der Welt und ein Vorbild für ganz Deutschland werden, hofft die Initiative. Das Ziel sei eine "saubere, sichere und lebenswerte" Stadt, so Sprecher Manuel Wiemann auf Anfrage. "Autos sind laut, verursachen Unfälle und verpesten die Luft. Außerdem blockieren sie massiv den öffentlichen Raum."

Wiemann nennt sie daher nicht Fahr-, sondern "Stehzeuge", denn Autos stehen statistisch gesehen 23 Stunden pro Tag nur auf Parkplätzen herum. Platz, der sinnvoller genutzt werden könnte. Außerdem sei der private Autoverkehr teuer: Für Straßenbau und -unterhalt, Unfälle und Umweltbelange müsse das Land Berlin jährlich rund 750 Millionen Euro berappen, von denen über die Hälfte eingespart werde könne, sagt Wiemann.

"Den Autozahn ziehen"

Schützenhilfe erhält die Initiative vom Mobilitätsforscher Andreas Knie. "Berlin hat 60 Jahre lang alles dafür getan, die Stadt nach den Bedürfnissen privater Autobesitzer auszurichten. Das Auto okkupiert 70 Prozent des städtischen Raums, ist aber nur an 24 Prozent aller Wege beteiligt. In einer demokratischen Öffentlichkeit können wir das nicht länger akzeptieren."

Knie, der am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) über digitale Mobilität forscht, nennt das Anliegen der Initiative daher "vollkommen richtig", auch wenn er selbst weniger radikale Lösungen bevorzuge, etwa den Ausbau von Parkverbotszonen oder eine City-Maut. "Man muss grundsätzlich festhalten: Wir kriegen keine Bewegung in die Welt, wenn man den Autos die Privilegien nicht wegnimmt. Meist sind es mittlere und höhere Einkommen, die sich ein Auto leisten können." Den müsse man "den Autozahn ziehen".

Aber ist der Wunsch nach einem individuellen Fortbewegungsmittel nicht nachvollziehbar? "Natürlich, Individualisierung ist das oberste Prinzip. Das eigene Auto ist aber eine kollektive In-Haft-Nehmung: Es verschmutzt und verstopft die Stadt, Staus und Parkplatzsuche rauben Zeit." Stattdessen plädiere er für eine "Individualisierung per Smartphone": In einer effizienteren, weil autoreduzierten Stadt würden sich die Verkehrsteilnehmer ihren präferierten Verkehrsweg via App – von Car-Sharing-Diensten über Taxen bis ÖPNV-Angebote – digital und individuell zuschneiden.

Rot-Rot-Grün geht auf Abstand

Doch bevor Knies App-gestützte Stadt der Zukunft Wirklichkeit werden kann, muss noch viel passieren. Die politische Unterstützung für "Berlin autofrei" fällt bislang recht mager aus. Die Opposition sieht den Vorschlag erwartungsgemäß kritisch. Doch auch der rot-rot-grüne Senat, der sich die nachhaltige Verkehrswende auf die Fahnen geschrieben hat, geht auf Sicherheitsabstand.

Während die Linkspartei vage bleibt und sich ins Floskelhafte flüchtet, nennt die SPD-Bürgermeisterkandidatin und Bundesfamilienministerin Franziska Giffey das Vorhaben schlicht “wirklichkeitsfremd".

Ungleich schwerer haben es die Grünen, die der Vision einer autofreien Welt politisch am nächsten stehen und den Spagat zwischen rhetorischer Umarmung und realpolitischer Distanzierung versuchen. "Die Initiative ist Rückenwind für unsere Politik, Berlin zu einer ökologischen, lebenswerten und autofreieren Stadt zu machen", sagt etwa der Landesvorsitzende Werner Graf auf Anfrage.

Grüne skeptisch

Doch im Gegensatz zu den Aktivisten verenge man den Fokus nicht nur auf die Innenstadt, sondern wolle auch in den Außenbezirken verkehrsberuhigte Zonen schaffen. Aber nicht per Handstreich, sondern "nach und nach" werde man die einzelnen Kieze zu autofreien Bereichen ausbauen. "Wie Schweizer Käse", sagt Graf, bei dem die Löcher stetig mehr werden. "Wir wollen ein Berlin schaffen, in dem jeder auf sein Auto verzichten kann."

Kann, nicht muss. Deutlicher wird Grafs Parteikollege, der verkehrspolitische Sprecher Harald Moritz: "Wir wollen nicht mit der Verbotskeule kommen. Ziel ist nicht, den privaten Autoverkehr zu verbieten, sondern ihn deutlich zu reduzieren." Der Ansatz der Initiative sei zwar "interessant", aber er sei skeptisch, ob solche "Eingriffe ins Eigentum" rechtlich zu machen seien, sagt Moritz. "Als Grüne gehen wir einen anderen Weg."

"Typische Umarmungsstrategie"

Die mangelnde Unterstützung aus der Politik kommt für Autofrei-Sprecher Manuel Wiemann nicht überraschend. "Wir haben den Volksentscheid gestartet, gerade weil die Berliner Parteien mit allem, was sie bisher getan haben, nicht weit genug gehen." Was man nicht brauche, seien Lippenbekenntnisse und eine "Umarmungsstrategie", wie sie die Grünen-Spitze fahre. "Wir sind kein Rückenwind" für irgendeine Partei, sondern eine "scharfe Stimme der Kritik" an der jetzigen Politik.

Ab 25. April will die Initiative mit dem Unterschriftensammeln loslegen. Dann werde man sehen, ob auch Unterstützer mit Parteibuch auftauchen. Wiemann ist überzeugt: "Die grüne Basis steht hinter uns."

Verwendete Quellen
  • Andreas Knie, Mobilitätsforscher
  • Werner Graf, Berliner Landesvorsitzender der Grünen
  • Harald Moritz, verkehrspolitischer Sprecher der Berliner Grünen
  • Manuel Wiemann, Sprecher der Initiative "Volksentscheid Berlin autofrei"Website der Initiative "Volksentscheid Berlin autofrei"
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