t-online - Nachrichten für Deutschland
t-online - Nachrichten für Deutschland
Such IconE-Mail IconMenü Icon



HomeRegionalBerlin

Ermittlungen gegen Reedereien: Die Berliner Spree-Schlacht geht in die letzte Runde


Ende der Diesel-Ära?
Die Berliner Spree-Schlacht geht in die letzte Runde

  • Daniel Mützel
Von Daniel Mützel

Aktualisiert am 21.03.2021Lesedauer: 5 Min.
Ein Ausflugsdampfer auf der Spree in Berlin (Symbolbild): Die Landeskartellbehörde ermittelt, ob Berliner Reedereien ihre marktbeherrschende Stellung missbrauchen.Vergrößern des Bildes
Ein Ausflugsdampfer auf der Spree in Berlin (Symbolbild): Die Landeskartellbehörde ermittelt, ob Berliner Reedereien ihre marktbeherrschende Stellung missbrauchen. (Quelle: CHROMORANGE/imago-images-bilder)
News folgen

Kampf um die Spree: Die Berliner Kartellbehörde ermittelt, ob die Reedereien ihre Monopolstellung missbrauchen, um Konkurrenten mit umweltfreundlicheren Konzepten auszubremsen.

In wenigen Wochen könnte es soweit sein: Wenn die Temperaturen steigen und die Corona-Lage es erlaubt, schippern wieder täglich Dutzende Schiffe mit rauchenden Schloten und winkenden Touristen über die Wasserhauptschlagader Berlins. Tausende Gäste erfreuen sich jedes Jahr der beliebten Spree-Fahrten, vorbei am Reichstag, der Siegessäule und Museumsinsel.

Doch dieses Jahr könnte alles anders werden – nicht nur wegen Corona. Ein seit Jahren schwelender Konflikt unter Berliner Reedern droht zur offenen Seeschlacht zu eskalieren.

Die Berliner Landeskartellbehörde geht dem Verdacht nach, ob Berliner Reedereien ihre "marktbeherrschende Stellung missbrauchen", um Wettbewerber von den Steganlagen im Innenstadtbereich fernzuhalten. Die Senatsverwaltung für Wirtschaft bestätigt das Verfahren auf Anfrage. Bis zum vergangenen Mittwoch waren die Reeder angehalten, detailliert Auskunft über ihr Geschäftsgebaren zu geben: Umsätze, Fahrgastzahlen, Absprachen mit anderen Schiffsbetreibern – und ob sie Konkurrenten von ihren Anlegestellen fernhalten. So steht es in einem Dokument, das t-online vorliegt.

Angestoßen hat das Verfahren Luis Lindner vom Verband der Elektro-Schiffe. Seit Jahren kämpft er um einen Anlegeplatz in der Innenstadt. Seine Yacht "Fitzgerald" will er umrüsten auf ein elektrisch betriebenes Schiff, mit dem er Touren durch die Innenstadt anbieten will. Doch solange die etablierten Reeder mit ihren Dieseldampfern die Anlegestellen okkupieren, lohne sich die Investition nicht, so Lindner.

Klassenkampf von oben

Wie schwer es ist, eine Anlegestelle auf der lukrativen Innenstadtroute zwischen Mühlenschleusendamm und Moabiter Werder zu bekommen, kann Lindner wortreich erklären. "Das ist unmöglich. Die großen Reedereien haben die Anlegestellen unter sich aufgeteilt", klagt er. "Der Markt spaltet sich in Steg-Besitzende und die Nicht-Besitzende. Wer neu einsteigt und wie ich auf Elektro-Schiffe setzt, hat keine Chance."

Tatsächlich haben die Reedereien, die Mitglieder des Berliner Reederverbands und der Marktführer Stern und Kreisschiffahrt GmbH, einen großen Startvorteil: Sie profitieren von Jahrzehnte alten Pachtverträgen mit dem Wasserstraßen- und Schifffahrtsamt (WSA). "Ewigkeits-Verträge" nennt Lindner sie, da sie sich automatisch um ein Jahr verlängern, solange keine Vertragspartei kündigt.

Die "eigentliche Währung" in der Fahrgastschifffahrt seien nicht die Schiffe, sondern die Anlege-Slots in der Innenstadt, so Lindner. Denn nur wer an den begehrten Stellen anlegen darf, etwa im Nikolaiviertel oder am Berliner Dom, kann an den Sightseeing-Touren verdienen. Doch das Kartell der großen Reedereien schneide Konkurrenten systematisch davon ab, sagt Lindner. "Was an freien Anlege-Slots übrig bleibt, dealen die untereinander bei einem Bier."

"Einem normalen Menschen nicht zu vermitteln"

Die Seeschlacht um die Verfügungsgewalt über die rund 20 Innenstadt-Stege dreht sich nicht nur um Profit. Lindner ist nicht nur irgendein Wettbewerber, der an die Fleischtöpfe der Fahrgastschifffahrt will, sondern kämpft für einen modernen, emissionsarmen Schiffsverkehr: Statt schmutziger Dieseldampfer plätschern in seiner Vorstellung bald nur noch elektrisch betriebene Schiffe über die Gewässer der Hauptstadt. "Doch dazu braucht man Ladestationen, die nicht gebaut werden, solange die Anlegestellen in der Hand der etablierten Reeder sind."

Nach Einschätzung des Verkehrsexperten und früheren Abteilungsleiters im Umweltbundesamt Axel Friedrich dürfte die grüne Verkehrswende auf der Spree noch eine ganze Weile dauern. Die meisten der rund 60 dieselbetriebenen Schiffe, die in der Hauptsaison täglich über die Spree tuckern, verfügten weder über Rußfilter noch über SCR-Systeme, die den Ausstoß von Stickoxiden mindern. "Wie kann das sein, dass im Jahr 2021 der Großteil der Schiffe auf der Spree nicht mal den schädlichsten Feinstaub rausfiltern?"

Tatsächlich befindet sich die Hauptstadt in einer paradoxen Situation: Auf den Straßen gilt schon seit Jahren die Berliner Umweltzone, in der Autos und LKW ohne grüne Feinstaubplakette verboten sind; doch nur wenige Meter weiter dürfen die dieselbetriebenen Touristen-Schiffe Schadstoffe ungefiltert in die Luft blasen. "Einem normalen Menschen ist das nicht zu vermitteln", sagt Friedrich.

Weil der Bund die Hoheit über die Bundeswasserstraßen wie die Spree hat, sind dem Land Berlin die Hände gebunden, argumentiert der Senat seit Jahren. Friedrich hält das für eine Ausrede: "Der Senat und der Bund geben sich gegenseitig die Schuld." Das Land Berlin könnte auf eigene Faust handeln, etwa indem es nur Schiffe mit Abgasreinigung an die Anlegestellen lässt. Mit einer Anlegelizenz könnte er den Reedern Druck machen, die alten Dieselmotore endlich nachzurüsten. "Wenn die grüne Umweltsenatorin ihren Job ernsthaft machen würde, hätte sie sich schon längst darum gekümmert."

Nachrüstung verläuft schleppend

In der Tat verläuft die Nachrüstung der alten Schiffsmotoren schleppend. Wie die Senatsverwaltung für Umwelt auf Anfrage mitteilt, wurden 2018 nur fünf Schiffe im Rahmen eines Modellprojekts mit einer kombinierten Abgasreinigung ausgerüstet: Drei auf Kosten der Steuerzahler (rund 300.000 Euro), zwei auf eigene Rechnung der Reeder. Seitdem ist nicht viel passiert. Eine neue Förderrichtlinie durch den Senat steckt in einem Prüfungsverfahren beim Bundesrechnungshof fest.

Der SPD-Abgeordnete Daniel Buchholz räumt ein, dass der erhoffte "Nachahmeffekt" des damaligen Modellprojekts ausblieb: "Leider ist es nicht so, dass die Reedereien dem Senat das Geld aus der Hand reißen." Da nur ein Teil von der Stadt mitfinanziert werde, scheuten viele die Investition in emissionsärmere Technik – nicht erst seit Corona-Zeiten. Solange sie nicht müssen, dürfen weiter "die dreckigsten Schiffe durch die Stadt dieseln", sagt Buchholz. Das sei "inakzeptabel" und gefährde die Gesundheit der Menschen.

Man hoffe daher auf eine Klimaschutzvereinbarung mit den Reedern, damit diese sich zur Nachrüstung selbst verpflichten. Aber haben nicht gerade die letzten Jahre gezeigt, dass das Prinzip der Freiwilligkeit nicht unbedingt zum Erfolg führe? "Ja, das ist leider so. Die Reeder lehnen sich zurück, solange kein Zwang besteht."

"Das Spree-Kartell wird fallen"

Elektro-Schiffer wie Luis Lindner setzen daher ihre Hoffnung in das Berliner Kartellverfahren: Bestätigt sich der Verdacht, dass die Reeder durch illegale Absprachen Steg-Anlagen unter sich aufteilen, könnten die alten Pachtverträge für nichtig erklärt werden. Der Weg für moderne Elektro-Schiffe, sich einen der begehrten Innenstadt-Plätze in einem neuen Vergabeverfahren zu schnappen, wäre frei.

Loading...
Loading...

Am Mittwoch lief die Frist für die Reeder ab, den Fragebogen der Kartellbehörde zu beantworten. Eine diesbezügliche t-online-Anfrage an den Berliner Reederverband und die Stern und Kreisschifffahrt GmbH blieb bis zum Veröffentlichungszeitpunkt unbeantwortet. Auch die Senatsverwaltung für Wirtschaft hält sich bedeckt in der Frage, ob sie mit einem Erfolg des Verfahrens rechnet. "Eine endgültige Bewertung hat nicht stattgefunden", so ein Sprecher.

Hinter vorgehaltener Hand bestätigt man jedoch, dass man die Vorwürfe ernstnimmt. "So einen Fragebogen würden wir nicht rausschicken, wenn da nicht irgendetwas dran wäre", sagt eine mit der Angelegenheit vertraute Person in der Senatsverwaltung für Wirtschaft gegenüber t-online. Es sei nicht unwahrscheinlich, dass die Ewigkeits-Verträge für nicht mehr zulässig erklärt werden: "Ja, es könnte diesen Ausgang nehmen."

Auch Luis Lindner vom Verband der Elektro-Schifffahrt ist optimistisch. "So sicher war ich seit drei Jahren nicht mehr." Das "Spree-Kartell", so ist der 54-Jährige überzeugt, wird fallen.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherche
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...

ShoppingAnzeigen

Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...



Telekom