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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Demo in Charlottenburg Radweg-Streit in der Kantstraße: "Mehr Paris wäre schön"

Über den Radweg an der Kantstraße in Charlottenburg wird heftig diskutiert. Am Montag demonstrierten Radfahrer für eine dauerhafte Umgestaltung. Was denken die Demonstranten, Autofahrer und Anwohner über den Radweg?
Bald fünf Jahre gibt es sie, die geschützte Pop-up-Fahrradspur auf der Kantstraße in Berlin-Charlottenburg. Sie wurde unter dem rot-rot-grünen Senat geschaffen. Doch nun soll der Radweg wieder den Platz mit den links daneben parkenden Autos tauschen.
Der Grund: Der Weg ist zu schmal für Einsatzfahrzeuge der Feuerwehr. Im Falle eines Brandes könnte sie keine Drehleiter aufstellen und Menschen aus oberen Stockwerken retten. Über diesen Tausch gibt es allerdings Streit. Radfahr-Verbände kritisieren die Idee massiv. Am Montag demonstrierten Radfahrer für den Erhalt des geschützten Radstreifens.
Anwohnerin: "Es war einfach lebensgefährlich"
Bettina Schrag wohnt seit 20 Jahren um die Ecke, in der Carmerstraße. "Beste Idee ever", sagt sie über den Radweg. "Es war einfach lebensgefährlich, sich auf der Kantstraße in den Autoverkehr einzureihen. Da war so viel Verkehr, da hatte man als Fahrradfahrer wirklich Angst."
Mit ihrem Sohn Johannes demonstriert sie für den Erhalt des Radweges. Der sagt: "Man fühlt sich auf diesem Radweg sehr sicher, man hat viel Platz in alle Richtungen – das ist richtig gut."
Auch Markus Stegner aus Friedenau ist zur Demo gekommen. Er nutzt die Kantstraße unter anderem, wenn er abends ins Kino will. "Ich finde das super hier." Berlin, findet er aber, sollte sich mehr an anderen Städten orientieren. In Paris habe das Fahrrad mittlerweile das Auto als beliebtestes Fortbewegungsmittel überholt. "Es wäre schön, wenn hier ein bisschen mehr Paris passieren würde."
Kantstraße: Demonstranten begrüßen Kompromissvorschlag
Für Martin Fischer aus Halensee ist die Kantstraße oft die "Einfallsstraße in die City West", wie er sagt. "Ich finde es toll, die physische Barriere zwischen der Fahrspur und der Radspur. Auch für jüngere Fahrradfahrer ist das sicherer, als nur eine gestrichelte Linie zu zeichnen."
Natürlich müsse die Feuerwehr im Notfall löschen können, sagt er. Den Kompromissvorschlag, von Vertretern der Feuerwehr ins Gespräch gebracht, findet er gut: Demnach würde eine Umwidmung weniger Parkplätze ausreichen, um ausreichend Platz für Einsatzfahrzeuge im Brandfall zu schaffen.
Auf den Radweg verzichten wollen die vier nicht. Unsichere Straßen gebe es schon genug. "Den Ku'damm finde ich nicht gut, vor allem rund um den Breitscheidplatz", sagen sie. Oder: "Die Kurfürstenstraße hat viele Stellen, die für Radfahrer blöd sind." Oder: "In der Uhlandstraße parken alle quer, fahren rückwärts raus und sehen einen nicht. Da ist es echt gefährlich!"
Anwohner der Kantstraße: "Es ist eher eine Flaniermeile geworden"
Einer der bekannteren Anwohner der Kantstraße ist Tobias Bonn von der Musikkabarett-Gruppe Geschwister Pfister. "Wir machen alles mit dem Fahrrad, egal ob wir in Steglitz proben oder in der Komischen Oper spielen", erzählt er t-online.
Seit über 30 Jahren fährt Bonn hier Rad. Damals sei die Kantstraße eigentlich noch die verlängerte Autobahnauffahrt gewesen, aber mittlerweile habe sich was getan mit den Geschäften und Restaurants. "Es ist eher eine Flaniermeile geworden. Dazu trägt auch der Pop-up-Radweg ein bisschen bei", sagt er.
Aber die Kantstraße ist lang. Immer wieder gibt es Stellen, an denen Autos auf dem Bürgersteig parken und Radwege oder Busspuren blockieren. Kontrolliert wird das aus Bonns Sicht viel zu wenig.
Einwände gegen den Radweg "nicht unberechtigt"
"Das wäre eine gute Einnahmequelle für die Stadt. Wenn ich hier freitags oder samstagabends vom Tipi heimkomme oder von der Komischen Oper, zähle ich manchmal die Autos, die auf dem Radweg stehen", erzählt der Kabarettist. "Ich komme dann gerne auf 20. Kontrollieren würde sich sehr lohnen."
Dabei kennt Bonn die Einwände gegen den Radweg und sagt: "Die sind nicht unberechtigt." Er besitzt selber auch ein Auto. "Ich weiß, dass es lästig ist mit dem Parken. Oder mit dem Ausladen. Wenn wir mit viel Gepäck von der Tour kommen, ist das immer ein Problem." Für die Autofahrer sei es sicherlich unkomfortabler geworden, sagt Bonn. "Es sind ein bisschen weniger Parkplätze, aber das macht nicht viel aus."
"Ich hätte liebend gern, dass der zurückgebaut wird"
Adam G. sieht das anders. Er wohnt Ecke Leibnizstraße und muss zum Parken oft auf Seitenstraßen ausweichen. "Auf der Kantstraße war es vorher schon schwer, jetzt ist es deutlich eingeschränkter."
Darum wäre er den Radweg gerne wieder los, weil sich durch ihn allzu oft der Verkehr staut. "Ich hätte liebend gern, dass der zurückgebaut wird." Auch die zweite Spur für Pkws will er zurück.
Autofahrerin an der Kantstraße: Angst vor dem Rechtsabbiegen
Es ist 17.50 Uhr am Montagabend. Ein Auto parkt in einer freien Lücke auf der Kantstraße. Eine Frau steigt aus. Sie wohnt hier nicht, ihren Namen will sie auch nicht nennen, aber sie kennt die Gegend gut.
Den Radweg findet sie an sich gut. "Wenn man in Berlin mehr für Fahrradfahrer tun würde, würde ich selber auch mehr Rad fahren", sagt sie. Andererseits habe sie auf der Kantstraße "Schiss" vorm Rechtsabbiegen, weil sie vielleicht doch mal einen Radfahrer übersehen könnte.
"Ich weiß auch keine bessere Lösung", sagt sie. Aber dann fällt ihr Kopenhagen ein. Die Stadt gilt als eine der fahrradfreundlichsten weltweit. "Das funktioniert super, da hat man viel für die Fahrradfahrer gemacht."
Bleibt er nun, der Pop-up-Radweg oder nicht? Tobias Bonn erinnert sich: Die gelbe Markierung des Radwegs sei 2020 "ein bisschen Hals über Kopf gemacht worden". Diese Farbe sei längst verwittert. Die Beschilderung am Straßenrand stimme oft noch nicht überein mit der Parksituation. "Das ist irreführend, vor allem, wenn es Baustellen gibt. Das ist ein ziemliches Desaster. Und gefährlich ist es auch", sagt er. Bonn findet: "Wenn der Senat entscheidet, dass der Radweg wieder abgeschafft wird, dann sollen sie es endlich auch tun. Aber es muss was passieren."
Und auch Bonn fällt eine Stadt ein, die es besser macht als Berlin: Wien habe viel Geld in den Ausbau der Fahrradinfrastruktur gesteckt. "Ich war da letztes Jahr da", sagt Bonn. "Du kommst mit dem Fahrrad überall quer durch die Innenstadt: Das ist super gelöst und wird auch sehr gut angenommen."
Berlin müsse da noch viel mehr tun, findet der Künstler. "Es ist für eine der größten Städte Europas ziemlich erbärmlich, was hier passiert oder vielmehr: nicht passiert."
- Reporter vor Ort