Der Gesprächspartner muss auf jede unserer Fragen antworten. Anschließend bekommt er seine Antworten vorgelegt und kann sie autorisieren.
Zum journalistischen Leitbild von t-online.Imam über Umgang mit Muslimen "Das war ein riesiger Fehler"

Über 300.000 Muslime feiern in Berlin derzeit den Fastenmonat Ramadan. Es ist eine Zeit des Innehaltens. Eine Gelegenheit für einen Blick auf das muslimische Leben.
Im Fastenmonat Ramadan geht es für Muslime in Deutschland nicht nur darum, tagsüber zu fasten und enthaltsam zu leben. Vielmehr ist es für die Gläubigen eine Gelegenheit zur inneren Einkehr und eine Zeit für intensive Gebete.
Scharjil Khalid ist Imam und islamischer Theologe der muslimischen Religionsgemeinschaft Ahmadiyya Muslim Jamaat (AMJ) in Berlin. Im Interview berichtet er, wie sich der Hass auf Muslime in seiner Gemeinde auswirkt. Außerdem erklärt er, warum er eine kontrollierte Migration befürwortet und wieso er Politik und Medien scharf kritisiert.
t-online: In einer Ankündigung Ihrer Gemeinde schreiben Sie, in diesem Ramadan insbesondere für Frieden und Zusammenhalt zu beten, weil es gerade für Muslime derzeit viele Herausforderungen und Krisen gebe. Was meinen Sie damit?
Scharjil Khalid: Die letzten Wochen und Monate waren aufwühlend. Nicht nur für Muslime, sondern insgesamt für die migrantische Gemeinschaft. Uns wird das Gefühl gegeben, anders zu sein. Die Entfremdung wurde vorangetrieben.
Das müssen Sie näher ausführen.
Ich beschränke das mal insbesondere auf die Muslime: Die Probleme haben sich seit dem 7. Oktober 2023, dem Angriff der Hamas auf Israel, und dem darauffolgenden Krieg in Gaza stark verschärft. Viele Muslime empfinden, dass der Westen und die modernen Demokratien stark an Glaubwürdigkeit verloren haben. Etwa wenn der wahrscheinlich zukünftige Kanzler nach seinem Wahlsieg den israelischen Ministerpräsidenten trotz eines eindeutigen Haftbefehls nach Deutschland einlädt. Diese doppelten Standards haben zu großem Vertrauensverlust und einer tiefen Entfremdung geführt.
- Berliner Imam erklärt: Deshalb feiern Muslime den Fastenmonat Ramadan
Wie hat Ihre Gemeinde die weitere Entwicklung seit dem Angriff auf Israel wahrgenommen?
Der antimuslimische Rassismus ist seither stark angestiegen. Gerade die Frauen berichten, dass sie auf der Straße oder in Bahnen angepöbelt werden. Als Moscheegemeinde haben wir Hassbriefe bekommen. Wir wurden willkürlich mit al-Qaida und der Hamas verglichen. Es war ein riesiger Fehler, dass man alle Muslime unter einen Bekenntniszwang gesetzt hat, sich von der Hamas zu distanzieren. Es zeigt, dass es innerhalb der Politik und der Medien kaum Verständnis vom muslimischen Leben gibt.
Wie meinen Sie das?
Viele Muslime, die hier leben, sind vor genau solchen Extremisten geflohen. Die größte Angst von ihnen ist der Krieg, sie wollen in Deutschland nur in Frieden leben. Gerade die muslimische Religionsgemeinschaft Ahmadiyya Muslim Jamaat, der ich angehöre, ist eine verfolgte Gemeinde. Man würde eine Person, die vergewaltigt wurde, doch auch nicht zwingen, sich von dem Vergewaltiger zu distanzieren. Das ist abenteuerlich und völlig abstrus. Wir verurteilen jede Gewalt, das haben wir auch schon mehrfach getan. Aber wenn man sich jedes Mal distanzieren muss, fragt man sich einfach, was da gerade passiert. Denn dann wird eine Nähe suggeriert, die es nicht gibt. In Deutschland versteht man weiterhin nicht, dass die muslimische Welt unglaublich vielfältig ist und bei Weitem nicht jeder Muslim ein Extremist ist.
Das ist ein Problem der sogenannten muslimischen Welt, das ich nicht kleinreden möchte.
Imam Scharjil Khalid
Wie haben Sie diesbezüglich den Wahlkampf in den letzten Wochen wahrgenommen?
Da hat sich das Ganze zugespitzt. Es gab Debatten über Muslime und Migranten, die teilweise menschenunwürdig und stigmatisierend waren. Es fehlt an einer Differenzierung und einer Sichtbarkeit von muslimischem Leben.
Bei den Bundestagswahlen hat die AfD über 20 Prozent erreicht. Was macht das mit Ihnen?
Das hatte sich bereits angedeutet, trotzdem ist das schwer zu schlucken. Der erste Gedanke, den ich dazu hatte, war: Da haben die Parteien die Quittung für ihre Politik. Wenn immer wieder die Themen in den Vordergrund gestellt werden, die die AfD seit circa 2015 stark macht, und beispielsweise Merz über Migration schimpft, ist das Ergebnis kaum verwunderlich.
Die Parteien argumentieren mit den islamistischen Anschlägen in Deutschland, bei denen Menschen sterben und die Menschen verunsichern. Können Sie das nachvollziehen?
Absolut. Ich sage ja: Wir sind selbst vor Terror geflohen. Deshalb bin ich sehr kritisch mit der sogenannten muslimischen Welt, in der es natürlich auch Terroristen gibt. Deswegen sind der Kalif unserer Gemeinschaft und die AMJ für eine kontrollierte Migration – aber in einem realistischen und humanen Rahmen. Wir wissen, dass Extremisten in das Land kommen. Das kann man nicht leugnen. Es gibt eine Manipulationsfabrik, also dogmatische Mullahs, die diese Extremisten rekrutieren. Es ist ein Problem der sogenannten muslimischen Welt, das ich nicht kleinreden möchte. Allerdings finde ich den Begriff Islamismus problematisch.

Scharjil Khalid
Scharjil Khalid ist Imam und islamischer Theologe der Ahmadiyya Muslim Jamaat KdöR (AMJ). Er hat am ersten deutschen Imam-Institut – der Jamia Ahmadiyya – studiert und ist seit 2021 als Hauptstadtrepräsentant der AMJ in Berlin tätig.
Was stört Sie daran?
Bei jüdischen oder christlichen Extremisten hängen wir doch auch nicht einfach ein "-ismus" an, sondern sprechen von "religiös begründetem Extremismus". Das sollte auch in Bezug auf Muslime der Fall sein. Denn noch einmal: Muslime oder Migration ohne Differenzierung mit islamistischen Anschlägen gleichzusetzen, ist nicht richtig. Das muss vernünftig eingeordnet werden.
Wie müsste eine solche Einordnung genau aussehen?
Die Zahl der Gefährder im Bereich islamistischer Terrorismus beläuft sich laut Bundeskriminalamt mit dem Stand vom 2. Januar 2024 auf 483 Personen. Wir haben sechs Millionen Muslime in Deutschland. Das entspricht einem Anteil von 0,0085 Prozent der Menschen. Und trotzdem werden nach Anschlägen alle Muslime in die Pflicht genommen, es wird ein Generalverdacht geschürt. Das muss sich ändern. Zudem wird über positive Aspekte in der Regel nicht oder sehr wenig gesprochen. Über Mahnwachen zum Beispiel, die wir nach solchen schlimmen Taten einberufen, um mit Menschen zu sprechen und ihnen zu erklären, dass solche Attentate mit der islamischen Theologie nichts zu tun haben. Diese Bühne wird dem überwiegenden Anteil der friedliebenden Muslime zu wenig gegeben.
Was sollte die Politik konkret tun in der Migrationspolitik und im Umgang mit Muslimen?
Wir brauchen unter anderem soziale Stabilität, bessere Partizipationsmöglichkeiten und flächendeckende Angebote in der Seelsorge. Generell gibt es bei Muslimen und Migranten immer einen problemorientierten und kaum einen potenzialorientierten Diskurs. Man muss die Migrantenorganisationen und die muslimischen Verbände endlich als Partner verstehen. Sie sind Teil der Lösungen, nicht Teil des Problems. Bundesinnenministerin Nancy Faeser hat in der letzten Legislatur kein einziges Mal mit den Verbänden gesprochen. Da fehlt einfach die Expertise.
Vielen Dank für das Gespräch!
- Interview mit dem Imam Scharjil Khalid der Ahmadiyya Muslim Jamaat in Berlin