t-online - Nachrichten für Deutschland
t-online - Nachrichten für Deutschland
Such IconE-Mail IconMenü Icon



HomeRegionalBerlin

Silvester in Berlin: Deshalb hantieren Männer mit Kugelbomben und Co.


Nachrichten
Wir sind t-online

Mehr als 150 Journalistinnen und Journalisten berichten rund um die Uhr für Sie über das Geschehen in Deutschland und der Welt.

Zum journalistischen Leitbild von t-online.

Verletzte und Tote durch Böller
Männerkrankheit Böllerwahn: Warum sind es immer Kerle?


Aktualisiert am 05.01.2025Lesedauer: 3 Min.
imago images 95920175Vergrößern des Bildes
Männer mit Feuerwerkskörpern (Symbolbild): "Männer sind risikofreudig, unerschrocken und erregungslustig." (Quelle: Jochen Tack/imago-images-bilder)
News folgen

Seit Beginn einer Datenerfassung im Jahr 2005 steht fest: In Berlin sind seither weit über 90 Prozent der Bölleropfer männlich. Sie gefährden beim wilden Umgang mit Feuerwerk nicht nur sich selbst, sondern auch Mitmenschen. Warum ist das so?

In der Silvesternacht 2024/25 starben deutschlandweit fünf Menschen durch Unfälle mit Pyrotechnik, alle von ihnen waren Männer. Im Berliner Unfallkrankenhaus UKB wurden 42 sogenannte Bölleropfer behandelt, fast alle waren sie männlich. Und laut einer Statistik des UKB waren in den 18 Silvesternächten zwischen 2005/06 und 2022/23 97 Prozent der Patienten mit Verletzungen durch Feuerwerkskörper ebenfalls männlich.

Insofern überrascht es UKB-Pressesprecherin Angela Kijewski wenig, dass sich auch in diesem Jahr wieder vorrangig Männer Finger absprengten oder Hände zerfetzten. "Der männlichen Experimentierfreude mit Feuerwerkskörpern sind keine Grenzen gesetzt, das gilt immer", sagt sie.

Männer: "Risikofreudig, unerschrocken und erregungslustig"

Peter Walschburger weiß, warum dieses Problem hauptsächlich Männer betrifft. Er ist Professor und Doktor der Biopsychologie an der Freien Universität Berlin. "Frauen verhalten sich – als Gruppe betrachtet – emotional und sozial sensibler und zeigen eine fürsorglichere Haltung", sagt er. "Männer – ebenfalls als Gruppe betrachtet – sind eher risikofreudig, unerschrocken und erregungslustig." Sie hätten zudem eine größere Nähe zu starken Reizen und körperlicher Gewalt.

Aus Walschburgers Sicht liegt eine zu wenig beachtete Grundlage für dieses geschlechtsbezogene Verhalten in der unterschiedlichen Evolution von Frauen und Männern. Er verweist darauf, dass Frauen seit Jahrmillionen neun Monate lang die Kinder austragen. Sie entwickeln laut ihm daher eine besonders nachhaltige und intime Beziehung zu ihren Nachkommen. Auch nach der Geburt zeigen Frauen demnach eine besondere Fürsorge nicht nur ihren Kindern, sondern auch anderen Mitmenschen gegenüber.

Männer hingegen zeigen sich nach Angaben des Professors offener für andere Aktivitäten. Walschburger spannt erneut einen weiten Bogen: In der Frühzeit gingen sie zur Jagd, sie entwickelten stärkere Muskeln und übernahmen grobe Arbeiten. Diese unterschiedlichen Anpassungsgeschichten wirken sich laut ihm trotz vieler kultureller Weiterentwicklungen bis heute aus.

Auch das Alter und die emotionale Entwicklung einer Person spielen laut dem Professor eine Rolle. Wenn das primäre Sicherheitsbedürfnis der Kleinkinder befriedigt ist, steige die Neugier und Erregungslust. Der Gipfel dieser Entwicklung sei in der Jugendzeit erreicht. Viele Jugendliche entwickelten daher einen Überdruss und lösten sich von den Eltern ab. Bei Männern sei diese Dynamik massiver ausgeprägt als bei Frauen. Es sei daher nicht verwunderlich, dass man vorwiegend junge Männer in randalierenden Gruppen oder beim Böllern sehe.

"Leider läuft genau das immer wieder aus dem Ruder"

Walschburger bezeichnet den Jahreswechsel als Ritual, bei dem es gesellschaftlich akzeptiert ist, im sicheren Rahmen mit Erregung und Schrecken zu spielen. Spielerisch setze sich dort bei jungen Männern eine Haltung durch, welche für unsere Vorfahren einen Überlebensvorteil hatte. "Die Erregungslust überwindet die Angst", so Walschburger. "Leider läuft genau das Spektakel immer wieder aus dem Ruder."

Grund dafür sei dann unter anderem eine mangelhafte Sozialisation und gesellschaftliche Integration jugendlicher Randalierer. In der eigenen Familie oder in der Schule würden sie zum Beispiel nicht immer sorgfältig darauf vorbereitet, auf die Umwelt oder ihre Mitmenschen zu achten.

Video | Feuerwerksverbot: ein Pro & Kontra
Player wird geladen
Quelle: t-online

So könne es leicht zu Krawallen kommen, insbesondere wenn sich in einer Gruppe ein dominanter Meinungsführer herauskristallisiert, dem sich andere unterordnen. "Ohne einen Gedanken an das mögliche Leid zu verschwenden, das etwa ein leichtfertiger Umgang mit illegalen Feuerwerkselementen bringen kann, wie es sich am Beispiel des Kugelbomben-Missbrauchs in diesem Jahr gezeigt hat", sagt Walschburger. Durch Kugelbomben sind in Berlin mehrere Personen teils lebensgefährlich verletzt worden. In Schöneberg machte eine Kugelbombe insgesamt 36 Wohnungen unbewohnbar.

Zwar würden junge Männer im Alter, wenn sie heiraten oder Kinder bekommen, in der Regel fürsorglicher und sozial sensibler. Für die Folgen mangelhafter Sozialisation gibt es aus Sicht von Walschburger allerdings keine einfachen und kurzfristigen Lösungen. Die individuelle Freiheit eines Menschen sei ein wertvolles Element einer offenen, demokratischen Gesellschaft. "Aber sie wird uns nur erhalten bleiben, wenn wir sie mit unserer Verantwortung für unsere Mitmenschen verbinden."

Institutionalisierte Regeln seien daher unverzichtbar, um die Grenzen der Freiheit zu beachten. Diese müssten in der Familie, in der Schule sowie im beruflichen und Freizeitbereich noch mehr vorgelebt und vorgegeben werden. Auch müsse sichergestellt werden, dass der Missbrauch dieser Grenzen sanktioniert werde. "Gelingt dies nicht, und kommt es im späteren Alter zu Verletzungen dieser Regeln durch strafmündige Personen, werden als letztes Mittel polizeiliche Maßnahmen unverzichtbar sein", sagt der Professor.

Verwendete Quellen
  • Telefonat mit Angela Kijewski, Pressesprecherin des Unfallkrankenhauses Berlin
  • Telefonat mit Peter Walschburger, Professor und Doktor der Biopsychologie an der FU Berlin
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...

ShoppingAnzeigen

Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...



TelekomCo2 Neutrale Website