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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Darum untersagen Berliner Wirte Cannabis Weil es stinkt – und die Gäste weniger trinken
Olaf Scholz behauptet, in Berlin leben zu können, ohne von Cannabis etwas mitzubekommen. In vielen Kneipen bleibt Gras tatsächlich tabu.
In der Bar ist es voll, laut und warm, vor dem Tresen lockert die Musik die Hüften, einige Gäste tanzen. Cocktail-Shaker klappern und der Whiskey Sour kommt wie aus dem Lehrbuch mit dichter Eischnee-Schaumkrone. Das Publikum – der typisch lässige Berliner Innenbezirk-Mix – genießt die Nacht im Kreuzberger "Konrad Tönz".
Hinten in einem separaten Zimmer brennen Zigaretten. Aber als ein Gast einen Joint anzündet, wird er sofort vom Personal angetippt: "Zum Kiffen bitte vor die Tür."
Berliner Wirt: Keine Lust auf Cannabis
Das Szenario, das einige Mahner vor der Teillegalisierung heraufbeschworen hatten, ist nicht eingetreten. Bald gebe es in Berlin kein Entrinnen mehr vor dichten Cannabisschwaden, hatten sie gewarnt. Die Realität sieht nun anders aus: Kiffen ist in vielen Berliner Kneipen und anderen Lokalitäten wie etwa dem Hotel Adlon auch weiterhin untersagt.
Wieso, erklärt Jens Maeß, der Wirt des "Konrad Tönz", auf Nachfrage. Cannabis stinke, Kiffen verändere die Stimmung in der Bar und bekiffte Gäste tränken vermutlich auch weniger, sagt er. "Vor allem das Personal und meine Wenigkeit haben keine Lust darauf."
Gastroverband Dehoga teilt Beobachtung
Mit seiner Ansage ist Maeß nicht allein. Vor Berliner Eckkneipen sieht man jetzt vermehrt Hinweise: "Kiffen nicht erwünscht."
Gerrit Buchhorn, stellvertretender Geschäftsführer des Hotel- und Gastronomieverbandes (Dehoga) Berlin, bestätigt den Eindruck: Er wisse von vielen Betrieben, dass sie von ihrem Hausrecht Gebrauch machen und Cannabiskonsum nicht erlauben würden. Rückmeldungen zufolge, die er erhalte, handele es sich möglicherweise sogar um die Mehrheit.
Kiffen erlaubt
Viele Lokale untersagen das Kiffen zwar, in anderen wird Cannabis dagegen teils schon lange toleriert. Ausdrücklich ist Marihuanakonsum zum Beispiel im "Zenner" erlaubt. Das Gastro-Ensemble im Treptower Park mit Konzertsaal und großem Biergarten teilt mit: "Unabhängig davon, was unsere Gäste in den Außenbereichen des Zenner rauchen, bitten wir Jede und Jeden um ein rücksichtsvolles Miteinander insbesondere dann, wenn sich andere Gäste durch den Rauch eines anderen, welchen Ursprungs auch immer, gestört fühlen könnten. Dieses Prinzip der gegenseitigen Rücksichtnahme funktioniert im Zenner seit mehr als 200 Jahren erstaunlich gut, woran auch die angesprochene Gesetzesnovelle nichts ändern sollte."
Gründe gegen Gras: Jugendschutz, Geruchsbelästigung, Umsatz
Gaststätten, die Rauchen nur in Außenbereichen gestatten, würden sich zumeist um den Jugendschutz sorgen. Diese Lokale müssten sicherstellen, dass Minderjährige keine Berührungspunkte mit Cannabisrauch hätten, sagt Buchhorn. "Und das ist eine Herausforderung."
Aber auch viele dezidierte Raucherkneipen, in denen der Jugendschutz keine Rolle spielt, weil Minderjährige ohnehin keinen Zutritt haben, sperren den Hanf aus. Hier geht es laut Buchhorn wohl vorrangig um den markanten Cannabisgeruch. Wirte würden "Bedenken wegen der anderen Gäste" äußern.
Der Umsatz könnte ebenfalls eine Rolle spielen. "Ich will doch mein Bier verkaufen", hatte schon im März ein Sprecher des Dehoga-Bundesverbands eine Wirtin im Westen der Stadt zitiert. Sie werde in ihrer Kneipe "natürlich" kein Cannabis erlauben.
Olaf Scholz verbreitet steile Cannabis-These zu Berlin
Hatte Olaf Scholz also tatsächlich recht, als er kürzlich auf seiner China-Reise einen besorgten chinesischen Studenten zu beruhigen versuchte? Der junge Mann, der demnächst für ein Auslandssemester nach Deutschland kommen möchte, wollte während einer Veranstaltung in der Shanghaier Tongji-Universität vom Kanzler wissen, wie er hier angesichts der Legalisierung seine Gesundheit schützen könne. Und Scholz hatte geantwortet: "Nicht rauchen." Er selbst sei 66 Jahre alt und habe noch nie Cannabis konsumiert. In Berlin könne man leben, ohne von Cannabis etwas mitzubekommen.
Die deutsche Delegation soll mit Heiterkeit auf diese Behauptung des Kanzlers reagiert haben. Und ganz der Lebensrealität des Durchschnittsberliners entsprechen dürfte sie in der Tat auch nicht: Tritt man zum Beispiel aus der eingangs erwähnten Kreuzberger Bar auf den Gehweg heraus, riecht es dezent, aber deutlich nach Marihuana. Dies war hier, unweit des Görlitzer Parks, allerdings auch schon vor der Teillegalisierung nicht anders.
- Eigene Recherchen
- Mit Material der Nachrichtenagentur dpa