Welle der Empörung Berlinale reagiert auf Antisemitismusvorwürfe
Auf der Berlinale haben sich viele Künstler zum Krieg im Nahen Osten geäußert. Damit nährten sie den Vorwurf, der Kulturbetrieb sei israelfeindlich. Die Berlinale wehrt sich.
Die Berlinale hat sich von Äußerungen einzelner Filmschaffender zum Krieg im Nahen Osten bei der Preisverleihung am Samstagabend distanziert. "Die Äußerungen von Preisträgern sind unabhängige, individuelle Meinungen. Sie geben in keiner Form die Haltung des Festivals wieder", sagte eine Berlinale-Sprecherin der Deutschen Presse-Agentur auf Anfrage.
"Solange sie sich innerhalb der gesetzlichen Grenzen bewegen, müssen wir sie akzeptieren", hieß es weiter. Die Berlinale habe Verständnis dafür, dass die Äußerungen einiger Preisträgerinnen und Preisträger "als zu einseitig empfunden wurden". Die Sprecherin wies aber auch darauf hin, dass Meinungsäußerungen bei Kulturveranstaltungen nicht grundsätzlich verhindert werden könnten und sollten.
Bei der Preisverleihung am Samstagabend hatten sich mehrere Preisträger in einer Weise zum Gaza-Krieg geäußert, die auf Kritik stieß. Auffällig sei vor allem gewesen, so die Kritiker, dass viele auf der Bühne einseitige Vorwürfe gegen Israel erhoben hätten, ohne den Terrorangriff der islamistischen Hamas vom 7. Oktober zu erwähnen oder die Rückführung der israelischen Geiseln zu fordern.
Lediglich die Co-Direktorin der Berlinale, Mariette Rissenbeek, hatte andere Töne angeschlagen: "Wir fordern Hamas auf, die Geiseln umgehend freizulassen und wir fordern Israel dazu auf, alles erdenklich Mögliche zu tun, um die Zivilbevölkerung in Gaza zu schützen und dafür zu sorgen, dass dauerhaft Frieden in der Region wiederkehren kann."
Kulturveranstaltung für "ideologische Hetze" missbraucht
Unter anderem hat der israelische Botschafter Ron Prosor der "deutschen Kulturszene" heftige Vorwürfe gemacht. "Antisemitische und israelfeindliche Äußerungen" seien mit tosendem Applaus bedacht worden, schrieb Prosor auf X (vormals Twitter). "Es scheint, dass die Lektion aus der Documenta nicht begriffen wurde. Unter dem Deckmantel der Rede- und Kunstfreiheit wird antisemitische und antiisraelische Rhetorik zelebriert."
Der Zentralrat der Juden wies auf der Plattform X am Sonntagabend darauf hin, dass bei der Berlinale "schon wieder eine der wichtigsten Kulturveranstaltungen in Deutschland für ideologische Hetze gegen Israel und Juden missbraucht" worden sei. Damit spielt der Zentralrat wohl auf die vergangene documenta fifteen im Jahr 2022 an.
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Auch Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegner (CDU) bezeichnete die Äußerungen bei der Preisverleihung zum Gaza-Krieg als "untragbare Relativierung". "In Berlin hat Antisemitismus keinen Platz, und das gilt auch für die Kunstszene", schrieb Wegner auf X.
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Wegner sieht nun die neue Festivalleitung in der Pflicht. "Berlin hat eine klare Haltung, wenn es um die Verteidigung der Freiheit geht. Das bedeutet auch, dass Berlin fest auf der Seite Israels steht", sagte er dem "Tagesspiegel".
"Schweres Erbe für die neue Direktorin"
Kultursenator Joe Chialo (CDU) hofft ebenfalls auf eine konsequente Aufarbeitung der Vorfälle durch die Festivalleitung: "Die Kultur sollte Raum für vielfältige politische Meinungsäußerungen bieten, doch die diesjährige Preisverleihung der Berlinale war geprägt von selbstgerechter antiisraelischer Propaganda, die nicht auf die Bühnen Berlins gehört", schrieb Chialo am Sonntag auf X.
Melanie Kühnemann-Grunow, medienpolitische Sprecherin der SPD, spricht in einem Interview mit dem RBB von "einem Schaden" für die Berlinale. "Ob man das heilen kann, wird sich zeigen", so Kühnemann-Grunow. Ähnlich sieht es die Grünen-Politikerin Daniela Billig. "Es bleibt ein sehr bitterer Beigeschmack. Die Vorkommnisse sind ein schweres Erbe für die neue Direktorin", sagte sie dem RBB.
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Roth verspricht Untersuchung
Inzwischen hat Kulturstaatsministerin Claudia Roth eine Untersuchung der Vorfälle angekündigt. "Gemeinsam mit dem Regierenden Bürgermeister von Berlin, Kai Wegner, und dem Berliner Senat, die mit uns die Verantwortung für die Berlinale tragen, werden wir nun die Vorkommnisse bei der Bärenverleihung aufarbeiten", sagte die Grünen-Politikerin am Montagvormittag.
Es solle untersucht werden, wie die Berlinale ihrem Anspruch, ein Ort für Vielfalt, unterschiedliche Perspektiven und Dialog zu sein, gerecht geworden sei oder nicht. Dabei will Roth auch klären, "wie zukünftig sichergestellt werden kann, dass die Berlinale ein Ort ist, der frei ist von Hass, Hetze, Antisemitismus, Rassismus, Muslimfeindlichkeit und jeder Form von Menschenfeindlichkeit".
Filmschaffende forderten Ende der Kämpfe in Gaza
Die Berlinale war in diesem Jahr besonders von politischen Debatten geprägt. Bereits bei der Eröffnungsgala forderten Filmschaffende ein Ende der Kämpfe zwischen Israel und der Hamas in Gaza. Bei der Preisverleihung am Samstag trugen mehrere Menschen auf der Bühne Plakate mit der Aufschrift "Ceasefire Now" ("Waffenstillstand jetzt") – und protestierten damit für ein Ende der militärischen Aktionen Israels gegen die Terrororganisation Hamas in Gaza.
Bei der Preisverleihung am Samstag war unter anderem der Filmemacher Ben Russell mit einem Palästinensertuch auf die Bühne gekommen und hatte Israel "Genozid" vorgeworfen. Dafür erhielt er Applaus. Auch der palästinensische Regisseur Basel Adra bezog sich in seiner Dankesrede auf den aktuellen bewaffneten Konflikt im Gaza-Streifen: "Es ist für mich sehr schwer zu feiern, wenn Zehntausende meines Volkes in Gaza gerade durch Israel abgeschlachtet werden."
- tagesspiegel.de: "Israels Botschafter kritisiert Applaus für antisemitische Äußerungen bei Berlinale-Preisverleihung"
- Nachrichtenagentur dpa