Razzien bei der "Letzten Generation" Die Nerven liegen blank
Mehr als 150 Journalistinnen und Journalisten berichten rund um die Uhr für Sie über das Geschehen in Deutschland und der Welt.
Zum journalistischen Leitbild von t-online.Bundesweit gab es Durchsuchungen bei der "Letzten Generation". Aktivisten sind schockiert, geben sich aber kämpferisch.
Diese Pressekonferenz hat sich die "Letzte Generation" ganz anders vorgestellt. Die Einladungen waren seit Tagen verschickt. Es sollte darum gehen, wie es mit den Protesten bis Herbst weitergeht, wie sie weiter stören wollen. Aber es kam anders.
Eigentlich sind es üblicherweise die Klimaaktivisten, die im Morgengrauen plötzlich wie aus dem Nichts auftauchen, sich an mehreren Orten gleichzeitig an Straßen kleben und den Verkehr blockieren. Die Rolle des frühmorgendlichen unerwünschten Besuchers haben ihnen Staatsanwalt und Polizei an diesem Mittwochmorgen abgenommen. 15 Durchsuchungen führten Ermittler bundesweit im Auftrag der Generalstaatsanwaltschaft München bei Mitgliedern der "Letzten Generation" durch. Wie sehr das die Gruppe zumindest kurzzeitig aus dem Konzept brachte, zeigte die Pressekonferenz.
"Die Razzien machen uns Angst"
Der Medienandrang im Vorraum einer Kirche in Berlin-Moabit ist groß. Mehr als 50 Journalisten sitzen und stehen im Kirchenraum, etliche überregionale Kamerateams streiten sich um die beste Position. Und die Aktivisten müssen sich erst mal sammeln. Der Beginn verzögere sich um 20 Minuten, heißt es. Angesichts der "dynamischen Lage" müsse man sich noch mal besprechen.
Als es dann losgeht, geht Sprecherin Aimée van Baalen kurz auf die Ereignisse des Morgens ein. "Die Razzien machen uns Angst", sagt sie. Weitermachen wolle man aber trotzdem. "Denn die Bundesregierung führt uns in eine Klimahölle." Trotz der Durchsuchungen glaube man weiter an den Rechtsstaat. Aber kriminell sei nicht die "Letzte Generation", sondern die "fehlende politische Führung in dieser Krise".
Dann geht es schnell weiter im Programm. Aktivistin Marion Fabian berichtet von den Protesten der vergangenen Wochen in Berlin, van Baalen gibt einen kurzen Ausblick auf die nächsten Wochen.
"Das ist ja wie bei Honecker, unglaublich"
Dann ist plötzlich Schluss. Van Baalen werde draußen vor der Kirche noch einzelne Interviews geben. Bei der Pressekonferenz selbst wolle man keine Fragen beantworten. Diese Ankündigung lässt für kurze Zeit Chaos ausbrechen. Wütend protestieren insbesondere die Kamerateams, die sich mühsam ihre Position erkämpft haben und jetzt wieder vor die Kirche umziehen sollen. Journalisten versuchen, die Aktivisten umzustimmen. "Das ist ja wie bei Honecker, unglaublich", sagt ein Reporter zu seinen Sitznachbarn. Der Fragen-Eklat wird derweil live ins Internet übertragen. Die sonst im Medienkontakt so professionell auftretende "Letzte Generation" hat kurzzeitig die Kontrolle verloren.
Die Appelle der Medienvertreter helfen nicht, van Baalen postiert sich vor der Kirche. Und beantwortet dort schließlich doch alle Fragen, die ihr gestellt werden. Statt in ruhiger Atmosphäre in der Kirche tut sie das nun umringt von einer Journalistentraube, untermalt von der Melodie der Kreissäge einer Baustelle in der Nähe. Wenn die Pressekonferenz nicht schon lange angekündigt gewesen wäre, hätte die "Letzte Generation" sie so kurz nach den Razzien wohl lieber nicht gegeben.
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Nach der Pressekonferenz veranstalten die Aktivisten noch einen Brunch in der Kirche, für Mitstreiter und Unterstützer. Auch hier ist der Schock über die Hausdurchsuchungen spürbar. Mit ernsten Mienen sitzen die Aktivisten an Tischen, vor sich vegane Zimtschnecken und Kaffee mit Hafermilch. Mehrere Gäste wollen auf Nachfrage nicht über die Razzien sprechen. "Ich bin zu sehr durch den Wind heute, sorry", sagt eine junge Frau.
Trotz Razzien und Haft: Mutter will weiter blockieren
Die Aktivistin Judith Beadle erklärt sich bereit, über die Razzien zu sprechen. Die 42-jährige Berlinerin beteiligt sich regelmäßig an Straßenblockaden und hat das harte Vorgehen der bayerischen Justiz schon selbst zu spüren bekommen. Insgesamt sieben Wochen habe sie in München in Präventivhaft verbracht, erzählt sie.
Sie habe ganz entspannt Radio gehört, als die Nachricht von den Razzien kam, sagt Beadle. "Ich habe einen ziemlichen Schreck bekommen." Sie habe schnell einige Mitstreiter kontaktiert, um zu fragen, ob es ihnen gut geht. Noch immer wisse sie nicht genau, wer alles betroffen sei. "Es ist ein total komisches Gefühl."
Für Beadle selbst ändert der Vorwurf, dass es sich bei der "Letzten Generation" um eine kriminelle Vereinigung handeln könnte, nichts an ihrer Beteiligung an den Protesten. "Das steht ja schon länger im Raum". Aber ihr Umfeld mache sich wachsende Sorgen. Neulich habe ihre Mutter sie ganz aufgelöst angerufen. Sie habe sie aber beruhigen können.
Sie sei sich der Gefahr bewusst, dass sie auch länger in Haft kommen könnte. Und die Zeit in der Präventivhaft sei "scheiße" gewesen. Aber mit ihrem Mann und ihren neun- und zwölfjährigen Kindern habe sie viel über ihren Aktivismus gesprochen. Sie würden sie dabei unterstützen, trotz aller Sorgen.
Deswegen macht Beadle weiter, so wie die ganze "Letzte Generation". Auf ihren Social-Media-Kanälen gibt sich die Gruppe schon wieder kämpferisch. Für den Nachmittag ist ein weiterer Protestmarsch durch Berlin angekündigt.
- Reporter vor Ort