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Zum journalistischen Leitbild von t-online.German Fetish Ball in Berlin "Für mich ist Latex wie eine zweite Haut"
Fetish-Fashion, BDSM-Spielwiese, internationales Kink-Fest: Gäste des German Fetish Ball verraten t-online alles über die Lust an Latex, Lack & Leder.
Berlin ist wahrlich nicht arm an ausgefallenen Veranstaltungen, die ihren Reiz aus einem sinnlichen, und auch mal grenzgängerischen, Mix aus Fetisch und Fantasie ziehen. Doch ein Event verkörpert das einzigartige Flair der Hauptstadt-Partynächte auf besonders visuelle Weise: Am Samstagabend feierten knapp 1.000 Abenteuerlustige auf dem 18. German Fetish Ball im Spindler & Klatt. Viele Latex-Liebhaber reisten aus Deutschland und der ganzen Welt an, um sich am Flussufer in Szene zu setzen.
Auch Fabienne aus NRW, der männliche Pronomen benutzt und sich nur in der Freizeit als Dame verkleidet, wippt im blauen Gummikleid und High Heels über das Kopfsteinpflaster zur Spree-Location. Smalltalk beim Warten in der Schlange: Die Bodenbedingungen für das schwindelerregende Schuhwerk der Kink-Mode. Und Fußball, denn an diesem Nachmittag wurde bekannt, dass der Hauptstadtclub Hertha absteigen muss. Für Fabienne als Gladbach-Fan Anlass zu ehrlicher Anteilnahme: "Auch wenn sie es nach all den verpulverten Millionen eigentlich nicht anders verdient haben."
Pärchen polieren ihre Latex-Kostüme auf Hochglanz
Die Mitarbeiter an der Garderobe tragen Handschuhe – aus hygienischen Gründen, aber auch, weil die Klamotten der Gäste oft ungewöhnlich glitschig sind. Denn der Glanz der Latexkostüme wird nach langer Zeit im Schrank oft stumpf. Zu Beginn des Balls sieht man deshalb an allen Ecken Pärchen, die einander mit einem speziellen Spray einrubbeln, um sich sozusagen gegenseitig auf Hochglanz zu polieren. Andere verbinden das Schaulaufen mit einem kleinen Sklavenspaziergang und zeigen stolz, welche Trophäe da hinter ihnen an der Leine geht.
Der Kreativität sind dabei keine Grenzen gesetzt: Eine Frau trägt Bischofsmütze und hantiert mit einem goldenen Stab, an dem zwei glänzende Dildos angebracht sind. Ein weiterer Besucher hat sich eine Fußmatte an die Brust montiert und betätigt sich als Fußabstreifer. Andere Kostümierte zeigen mit viel Liebe zum Detail, dass man mit Latex sowohl wie ein Zeitgenosse Shakespeares als auch wie ein bayerischer Jodler aussehen kann.
Kurz nach dem Einlass trifft auch ein Besucher aus Lichtenberg ein. Der Mittdreißiger nennt sich in der Szene "LatexC0ver". Er ist in voller Montur – schwarze Gesichtsmaske, Latex-Leggings, Nietenstiefel und Pluderbluse – mit der S-Bahn gekommen: "In Berlin kann jeder sein, wie er will. Ich bin alleine hergekommen, aber ich fühle mich auf diesen Veranstaltungen nie einsam. Es ist ein großes 'Sehen und gesehen werden'."
Spielzimmer mit Folterbänken
Und tatsächlich: Keine 30 Minuten später ist er in ein Gespräch mit Newcomerin "Latexrapture", 34, vertieft. Die Britin ist zum ersten Mal auf dem German Fetish Ball: "Ich freue mich auf viele neue Spielpartner", sagt sie mit aufgeregter Stimme.
Spielpartner hat hier eine doppelte Bedeutung: Zum einen ist da der erotische Faktor. Zum anderen machen viele der Gäste den Eindruck, als seien sie in der Schule im Theaterclub gewesen und hätten als Erwachsene die Lust am Rollenspiel und Verkleiden wiederentdeckt.
Es gibt zwar ein Spielzimmer mit gynäkologischem Stuhl, Folterbänken, Küchenpapier und Kondomen. Und man sieht auch Leute, die einander an den Zehen saugen oder sich kunstvoll in Bondage-Seile wickeln. Doch auf dem Main Floor ist der Fetish Ball mehr Modenschau als Sexparty. Bis Mitternacht treten verschiedene Performer auf, und Modedesigner aus der Leder- und Latexszene zeigen ihre neuesten Kreationen.
Produkte werden auf der Fetish Fair präsentiert
Bereits seit vergangenem Mittwoch präsentierten Künstlerinnen und Künstler ihre Produkte auf der begleitenden German Fetish Fair, und auch bei der Abschlussveranstaltung wird der Netzwerkcharakter deutlich: Florian, 37, und Elisa, 38, sind auch deshalb aus Dresden angereist, um ihr eigenes Szene-Event "Heartbeats Sachsen" zu bewerben. "Bei uns ist die Szene sehr überschaubar. Wenn an einem Wochenende mehrere Veranstaltungen sind, hat man Probleme, die Bude voll zu bekommen. Das ist mit Berlin nicht zu vergleichen", erzählt Florian, der hauptberuflich Fotograf ist. Seine Partnerin Elisa arbeitet in einem Kosmetikstudio.
Sie erklärt, warum ein strikter Dresscode bei Fetish-Events so wichtig ist: "Das ist eine Plattform für Menschen, die sich offenbaren wollen, wie sie es im Alltag nicht können. Wenn zu viele Gäste in Jeans und T-Shirt kommen, fühlt man sich schnell wie Freiwild: Begafft und unsicher. Das ist wie in der Sauna oder am FKK-Strand – da fühlt man sich auch unwohl, wenn jemand in normaler Kleidung auftaucht." Viele könnten sich erst fallen lassen, wenn die ganze Party in Fetischmode gekleidet ist. "So hat man die Chance, sich in einem sicheren Rahmen ganz neu zu entdecken", ergänzt Florian.
"Ich habe 70 Gasmasken zu Hause, die hängen alle an der Wand."
Jane Nörth
Die beiden sind Veteranen der Szene und stammen noch aus der Loveparade-Generation. Beide haben beobachtet, dass Fetish-Fashion in den letzten Jahren immer mehr im Mainstream angekommen ist. "Mittlerweile gibt es bei H&M mal ein Leder-Harness zu kaufen", sagt Elisa. Die neue Zugänglichkeit schwemmt aber auch ein anderes Lifestyle-Gefühl in die Szene. "Die neue Generation feiert oberflächlicher", sagt Elisa mit Blick auf die Smartphone-Kultur und fügt hinzu: "Außerdem hat man mittlerweile das Gefühl, alles schon einmal im Internet gesehen zu haben. Es ist schwieriger geworden, die Leute wirklich zu beeindrucken."
Jane Nörth jedenfalls ist an diesem Abend ganz begeistert von ihrem Abenteuerspielplatz. Sie ist mit Freunden aus Schottland angereist, inklusive selbst gebasteltem Latexanzug und speziellem Kopfschmuck: "Ich habe 70 Gasmasken zu Hause, die hängen alle an der Wand." Außerdem übersetzt sie für ihre Freundin Yui Izmori. Die kommt aus der Szene des sogenannten Animegao Kigurumi: eine Art maskiertes Cosplay, bei dem der Kostümträger komplett hinter der Figur verschwindet. Und wie im Fall von Yui Izmori auch nicht spricht, sondern nur niedlich mit den Händen gestikuliert. "In der Szene wird man nicht verurteilt und kann eine Version von sich selbst sein, die sich stark vom Alltags-Ich unterscheidet. Wir fühlen uns lebendiger, wenn wir ein verrücktes Kostüm tragen", fasst Jane das Gefühl ihrer ganzen Reisegruppe zusammen. Über sich selbst sagt sie: "Für mich ist Latex wie eine zweite Haut. Ich fühle mich sexy darin, es gibt mir einfach ein tolles Gefühl".
Talkumpuder ein Renner
Apropos tolles Gefühl: Klar, Drogen sind auf jeder Berliner Party ein Ding, stehen hier aber nicht im Vordergrund. Das weiße Pulver, das einige Gäste ganz offen auf den Tischen verteilen, hat einen anderen Hintergrund. Statt Kokain ist Talkumpuder hier der Renner. Es hilft den Fetisch-Fans dabei, schnell wieder in ihre Latexhandschuhe zu schlüpfen.
Pünktlich um 4.44 Uhr ist die Party schließlich vorbei – doch einige Nachtschwärmer ziehen noch weiter. "Wen der Hafer sticht, der geht noch ins 'KitKat'", hatte Florian aus Dresden schon vorher prophezeit. Und tatsächlich findet dort so etwas wie die inoffizielle Aftershowparty des Fetish Balls statt. Umgeben von kinky Berliner Partyvolk werden hier Reißverschlüsse geöffnet und Masken abgenommen, um endlich wild küssen zu können. Zugegeben, an diesem 'KitKat'-Morgen sind die Kostüme vielleicht ein bisschen ausgefallener als sonst. Aber Berlinern fällt das gar nicht so auf, wie ein Kreuzberger Stammgast des Clubs betont: "Eigentlich ist bei uns jeden Tag Fetish Ball".
- Eigene Recherchen