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Frau sucht Wohnung bei Tinder – was sie stattdessen findet...


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Jede Minute 20 Matches
Berlinerin sucht Wohnung bei Tinder – und findet bloß bedürftige Männer


Aktualisiert am 30.08.2022Lesedauer: 4 Min.
Ray sucht eine Wohnung in Berlin: Für anderthalb Zimmer ist sie bereit, bis zu 900 Euro zu zahlen.Vergrößern des Bildes
Ray sucht eine Wohnung in Berlin: Für anderthalb Zimmer ist sie bereit, bis zu 900 Euro zu zahlen. (Quelle: privat)
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Der Wohnungsmarkt in Berlin ist seit Jahren ein Problem. Eine 37-Jährige geht nun einen besonderen Weg – und nutzt Tinder für ihre Suche.

"Ich habe keine Wohnung", schreibt Tinder-User Eden*. "Aber einen Platz frei in meinem Herzen, möchtest du einziehen?" Eine Nachricht, über die Ray** nicht einmal mehr müde lächeln kann. Sie ist 37 Jahre alt, gelernte Arzthelferin und verzweifelt. Seit Wochen sucht sie dringend eine Wohnung in Berlin.

Aber über die üblichen Kanäle ist nichts zu holen. Ray durchwühlt Immobilienbörsen und Ebay Kleinanzeigen, bemüht erfolglos Facebook und Instagram. Anfang August hat sie sich darum zu einer Verzweiflungstat entschieden, wie sie selbst sagt: Sie hat sich bei Tinder angemeldet, um vielleicht dort eine Bleibe aufzutreiben.

"Bitte nur schreiben, wenn ihr einen Tipp für mich habt", hat sie in ihrem Tinder-Profiltext vermerkt. Die Nachrichten, die sie darauf erhält, verraten viel über die Flirtkultur bei der Dating-App – aber auch einiges über die Lage auf dem Berliner Wohnungsmarkt.

"Ein Apfel reicht halt auch nur für eine Person"

Dass der Wohnungsmarkt in der Hauptstadt bis zum Zerreißen angespannt ist, ist kein Geheimnis. Die Preise pro Quadratmeter haben sich innerhalb von zehn Jahren praktisch verdoppelt: von 6,65 Euro im Jahr 2012 auf zuletzt 11,41 Euro. Die Kurve zeigt steil nach oben, mit nur einer kleinen Delle ab Ende 2018. Doch auch die ist Geschichte: Seit das Bundesverfassungsgericht den Berliner Mietendeckel gekippt hat, ziehen die Preise wieder unbarmherzig an.

Die Kosten sind aber nicht das einzige Problem. Ray zum Beispiel wäre bereit, bis zu 900 Euro warm für eine kleine Wohnung zu zahlen. Anderthalb bis zwei Zimmer hätte sie dafür gerne, auch ins nähere Berliner Umland würde sie ziehen. Solche Wohnungen gibt es – nur viel zu wenige für die große Nachfrage.

Mit Rays Worten: "Das ist wie am überlaufenen Obststand. Ein Apfel reicht halt auch nur für eine Person und nicht für 50."

In nüchternen Zahlen ausgedrückt: Zuletzt standen nur etwa 0,9 Prozent der Wohnungen in Berlin leer, im Jahr 2003 waren es noch 5,1 Prozent. Bundesweit ist die Leerstandsquote etwa dreimal so hoch wie in Berlin – was verdeutlicht, wie knapp bemessen die Angebote in der Hauptstadt sind.

"Ich suche nicht nach Flirts. Ich will nur meine Reichweite erhöhen"

Im Augenblick lebt Ray in einer überbelegten Wohnung. Die Freundin einer Freundin hat sie zähneknirschend bei sich aufgenommen, nachdem Ray die vergangenen zwölf Monate in Düsseldorf Soziale Arbeit studiert und dort in einem Wohnheim gelebt hat. Jetzt studiert sie in Berlin weiter, außerdem hat sie eine Teilzeitstelle in Spandau angenommen, um nebenher Geld zu verdienen.

"Die Bekannte möchte mich schnell wieder raus haben", sagt Ray. "Darum bin ich unter Zeitdruck, was mich natürlich belastet."

Um ihre Chancen zu erhöhen, hat sie eine radikale Tinder-Strategie entwickelt: Wenn sie abends Leerlauf habe und im Bett liege, wische sie kurz vor dem Einschlafen so viele Profile nach rechts wie eben möglich. Sie fliege förmlich durch Tinder, schildert Ray. Ohne auf Hobbys, Fotos oder Selbstbeschreibungen zu achten.

Denn: "Ich suche ja nicht nach Sympathien oder Flirts, das ist mit total egal. Ich will nur meine Reichweite erhöhen."

Pro Minute schaffe sie so bis zu 40 Likes. Rund die Hälfte der Herren reagiere ebenfalls mit einem Swipe nach rechts. Was also etwa 20 Matches pro Minute eingesetzter Arbeitszeit macht.

"Ich kann dir mein Hotelzimmer anbieten"

Das klingt viel, bringt aber nur wenig: Die meisten Männer haben Rays Profiltext nämlich offensichtlich gar nicht gelesen – und genau wie sie völlig wahllos alles nach rechts gewischt, was es nach rechts zu wischen gab.

Fast alle ihrer Matches würden probieren, mit harmlosem und austauschbarem Smalltalk bei ihr zu landen, sagt Ray. Nur wenige Männer würden überhaupt bemerken, dass sie wegen einer Wohnung bei Tinder ist.

Von denen baggere sie ein Teil mit blöden Sprüchen an: "Solange du heute einen Platz zu schlafen hast, mache ich mir keine Sorgen", schrieb zum Beispiel einer der Herren. "Ich kann dir mein Hotelzimmer anbieten."

Ein paar andere würden sie beschimpfen oder belehren: "Einer von denen wurde richtig frech", berichtet Ray. Tinder sei nicht für Wohnungssuchende gedacht, empörte sich der. Als ob sie das nicht selber wüsste.

Ein unmoralisches Angebot

Unter der ganzen Flut an Zuschriften waren laut Ray bloß eine Handvoll aufrichtig gemeinter. Und auch die brachten sie bisher nicht zum ersehnten Ziel: Einige Männer hätten sie auf bestimmte Webseiten oder Genossenschaften hingewiesen, was wohl immerhin nett gedacht war, aber mehr auch nicht.

Einer sagte, er ziehe demnächst aus und sie könne seine alte Wohnung haben. Ray und er tauschten Telefonnummern, dann meldete sich der Mann nie wieder.

Und schließlich war da ein Mann, der ihr ein windiges Angebot machte: Er sei vor Jahren aus seiner Wohnung im Wedding ausgezogen, sagte er. Um seinen alten, noch günstigen Mietvertrag nicht zu verlieren, vermiete er seither unter der Hand an Freunde und Bekannte. Ohne Vertrag, aber zu einem geringen Preis.

Wohnung in Berlin gesucht: Wer weiß Hilfe für Ray?

Dass Ray dieses Angebot fast angenommen hätte, illustriert ihre Lage. "Dass die Nummer nicht der legalste Weg ist, wäre mir egal gewesen", sagt sie. "Weil die Situation in Berlin einfach katastrophal ist. Die Leute sind alle verzweifelt. Und dann greift man eben auch zu solchen Mitteln."

Am Ende hat Ray die Wohnung nicht bekommen. Sie war noch zur Besichtigung da, danach kam die Absage. "Der Mann hat die Wohnung doch jemand anderem gegeben", berichtet sie. "Einem Kumpel wohl. Schade."

Jetzt hofft Ray, dass vielleicht ein t-online-Leser weiter weiß: Wer ihr helfen kann, kann sich unter der Mailadresse missesflex85@yahoo.com an sie wenden.

* Name geändert.
** Ray ist ein Spitzname. Der richtige Name ist der Redaktion bekannt.

Verwendete Quellen
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