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Berliner Rettungsdienst: Lange Wartezeiten im Notfall – Feuerwehr am Limit


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Ausnahmezustand bei Notfalleinsätzen
Teilweise nur ein Rettungswagen für ganz Berlin: "Wir kommen an unsere Grenzen"


Aktualisiert am 17.06.2022Lesedauer: 4 Min.
Ein Rettungswagen der Berliner Feuerwehr im Einsatz (Symbolbild): Der Verletzte musste notoperiert werden.Vergrößern des Bildes
Ein Rettungswagen der Berliner Feuerwehr im Einsatz (Symbolbild): Immer wieder kommt es zu Engpässen bei den Rettern. (Quelle: Frank Sorge/imago-images-bilder)

Der Berliner Rettungsdienst am Limit: Immer wieder müssen die Retter im Ausnahmezustand arbeiten. Zu wenig verfügbare Rettungswagen, zu wenig Personal. Doch dafür sind die Berliner zum Teil selbst verantwortlich.

Wer in medizinischer Not ist, ruft den Rettungsdienst. Blöd nur, wenn der dann viel zu lange braucht, bis er kommt. In Berlin ist das häufig Realität. Denn die Berliner Feuerwehr, hauptsächlich zuständig für Notfallrettungen in der Hauptstadt, ist am Limit. Es gibt zu viele Einsätze für zu wenige Rettungswagen (RTW) und Notfallsanitäter.

"Wir haben fast jeden Tag Ausnahmezustand", sagt Lars Wieg im Gespräch mit t-online. Er ist Vorsitzender des Berliner Landesverbandes der Deutschen Feuerwehr-Gewerkschaft (DFeuG). Der Ausnahmezustand ist dadurch definiert, dass weniger als 20 Prozent der Rettungswagen noch frei sind und das Ziel gefährdet ist, Einsatzorte innerhalb von zehn Minuten zu erreichen.

Berlin: Mehrmals nur noch ein Rettungswagen für die ganze Stadt frei

Im Tagdienst sind bei der Berliner Feuerwehr knapp 140 RTW im Einsatz, nachts etwa 110. Müsste das Land also einfach mehr Fahrzeuge anschaffen? "Wir könnten gar nicht mehr Fahrzeuge benutzen, weil wir einen massiven Fachkräftemangel bei den Notfallsanitätern haben", sagt Wieg.

Schlecht für Patienten, die einen Notfall haben, aber auch Dauerstress für die RTW-Besatzungen. "Wir sind einfach kaputtgespielt", sagt Brandmeisterin Caroline Kals. "Der Ausnahmezustand heißt bei uns jetzt auf der Wache nur noch Allgemeinzustand. Dementsprechend schlecht sei die Moral und hoch der Krankenstand. Teilweise werde der Ausnahmezustand zwei bis dreimal am Tag ausgerufen, sagt Kals.

Wie ein Feuerwehrsprecher bestätigt, war die Auslastung in diesem Jahr bisher zweimal so hoch, dass der Lagedienst eine Meldung an alle Dienststellen verschicken musste: Für ganz Berlin war nur noch ein Rettungswagen frei.

"In 50 Prozent der Fälle werden wir unseren Ansprüchen nicht gerecht"

Das führt zu längeren Wartezeiten bei Notrufen. 2021 konnten in nicht einmal der Hälfte aller Fälle die angepeilten zehn Minuten eingehalten werden. Das geht aus der Jahresbilanz der Berliner Feuerwehr hervor, die am Donnerstag vorgestellt wurde. "In 50 Prozent der Fälle werden wir unseren Ansprüchen nicht gerecht", erklärte Landesbranddirektor Dr. Karsten Homrighausen bei der Vorstellung.

Die maximal zehn Minuten zwischen Notruf und Eintreffen der Retter sei im übrigen lediglich das Planungsziel der Feuerwehr – ohne Rechtsanspruch. "Auch, wenn der RTW zu spät kommt", so der Landesbranddirektor.

So viele Einsätze wie noch nie

Grund für den häufigen Ausnahmezustand: Die drastisch steigende Zahl von Notrufen und Einsätzen. Alle 29 Sekunden ging 2021 bei der Berliner Feuerwehr ein Notruf ein – insgesamt klingelte dort 1.095.932 das Telefon. Daraus resultierten 492.226 Einsätze, ein Rekord in der Geschichte der Hauptstadtfeuerwehr. "Die Steigerung der Einsatzzahlen ist keine Überraschung für uns, Berlin verändert sich und wird stetig größer", so Homrighausen. "Und dieser Trend wird sich fortsetzen. Wir bereiten uns in den kommenden Jahren auf mehr Einsätze vor." Für die aktuelle Lage fand der Landesbranddirektor klare Worte: "Wir kommen an unsere Grenzen."

Für die steigende Zahl an Einsätzen gebe es neben der steigenden Einwohnerzahl der Hauptstadt allerdings noch andere Gründe: Zum einen sei dies mit dem Altern der Gesellschaft und einer Zunahme von chronischen Krankheiten zu erklären. Zum anderen gebe es ein weiteres Problem: Oftmals würden Retter gerufen, ohne dass ein medizinischer Notfall das rechtfertige. "Wir müssen die Bürger zu gewissenhaftem Umgang mit der 112 sensibilisieren", so Homrighausen.

"Oft sind Patienten keine richtigen Patienten"

Brandmeisterin Kals kann das aus der Praxis bestätigen: "In 20 bis 30 Prozent aller Fälle, in denen wir ausrücken, ist es eigentlich nicht ernst genug für einen RTW. Dann hätte ein Pflaster oder eine Kopfschmerztablette gereicht." Dabei gebe es auch immer wieder kuriose "Notfälle", so Kals. "Das Skurrilste war eine Patientin, die einfach nur einen Pickel am Hintern hatte." Bei dem Anruf in der Notrufzentrale habe sich die Situation wesentlich bedrohlicher angehört.

Auch Gewerkschafter Wieg sieht das Problem: "Teilweise werden wir gerufen, wenn sich jemand mit Papier in den Finger geschnitten hat." Das Abfrageprotokoll der Leitstellen sehe aber keine Möglichkeit vor, Anrufenden zu raten, sich ein Pflaster aufzukleben. "Wenn es heißt, dass der Finger stark blutet, muss ein Rettungswagen ausrücken", so Wieg.

Seiner Ansicht nach fehle es sowohl an Selbsthilfefähigkeit der Bevölkerung als auch an Kapazitäten im gesamten Gesundheitssystem. "Früher kam der Hausarzt nach Hause, heute gibt es kaum Termine." Da sei es kein Wunder, wenn Menschen sich nur mit dem Notruf zu helfen wüssten.

Folge des Mangels sei teilweise eine schlechtere Versorgung, so Wieg. Wenn kein Rettungswagen verfügbar sei, fahre ein Löschfahrzeug als Ersatz raus. "Hilfe kommt immer, aber die ist dann teilweise nicht so qualifiziert wie mit dem Rettungswagen", sagt Wieg.

Erschwerend kommt hinzu: 2021 gab es knapp 22.000 medizinische Fehleinsätze – gemeldete Notfälle, in denen ein RTW gerufen wurde, aber kein Patient mehr vorzufinden war.

Ein Drittel der Beschäftigten über 50

Gegen die massiven Probleme im Rettungsdienst helfe laut Landesbranddirektor Homrighausen vor allem eines: mehr Personal. Aktuell seien rund 400 bereits geschaffene Stellen unbesetzt, der tatsächliche Bedarf sei noch viel größer. Der Personalengpass sei die größte Herausforderung, so der Landesbranddirektor. Hinzu komme, dass ein Drittel der Beschäftigten über 50 ist und in den kommenden sieben Jahren 1.500 Angehörige der Feuerwehr in den Ruhestand gehen werden.

Der Gegenfahrplan der Berliner Retter: Ausbildung von Nachwuchs. Dazu wurde das Projekt "Ausbildung 500" ins Leben gerufen. 500 Auszubildende sollen jedes Jahr die Reihen der Kameraden verstärken. Um diese große Zahl bewältigen zu können, soll die Berliner Feuerwehr- und Rettungsdienstakademie (BFRA) auf das Gelände des Flughafens Tegel ausweichen. Erste Bauarbeiten sind für 2025 vorgesehen.

Wenn Politik und Feuerwehr keine schnelleren Lösungen finden, müssen sich Berliner wohl an den Ausnahmezustand beim Rettungsdienst gewöhnen.

Verwendete Quellen
  • Pressekonferenz zur Vorstellung der Jahresbilanz 2021der Berliner Feuerwehr
  • Eigene Recherchen
  • Presseanfrage an die Gewerkschaft der Feuerwehr
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