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Aachen: Rotlichtviertel könnte bald umziehen – ungewöhnlicher Plan


Ungewöhnliche Diskussion
Prostitution mit Ausblick – Idee erhitzt die Gemüter


Aktualisiert am 18.10.2024 - 19:01 UhrLesedauer: 4 Min.
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Die Profite aus Zwangsarbeit steigen stark. Zwangsprostitution trägt dazu einen Großteil bei. (Quelle: Hauke-Christian Dittrich/dpa/dpa-bilder)

Der Aachener Rotlichtbezirk ist seit Jahren Streitthema. Zwei Architekten bieten jetzt eine außergewöhnliche Lösung an: einen Umzug aller Prostituierten auf ein Dach. Die Zuhälterrolle könnte die Stadt übernehmen.

Ein alter Mann läuft mit einem Rollator am Platz der Demokratie vorbei, nur wenige Meter Luftlinie von der Antoniusstraße, dem Aachener Rotlichtbezirk, entfernt. Früher, so sagt er, sei er dort ein guter Kunde gewesen: "Als es da noch schön war." Doch schön findet der ehemalige Freier den Aachener Rotlichtbezirk seit vielen Jahren schon nicht mehr, sondern traurig.

Die Antoniusstraße in Aachen ist ein ewiger Zankapfel. Seit Jahren versuchen Architekten, Politiker und die Stadtverwaltung, eine gute Lösung für alle zu finden: Anwohner, Prostituierte und Stadtbesucher. Einige fordern, dass das Rotlicht heraus muss aus der Innenstadt. Andere finden, das gehe zu weit.

Zankapfel Rotlichtviertel: viele Ideen, bisher keine Umsetzung

Zuletzt war es ein Engländer, Chapman Taylor, der die Idee hatte, die Bordellbetriebe auf einen kleineren Teil der Straße zu konzentrieren und das umliegende Quartier durch diverse Maßnahmen aufzuwerten. Die Stadtverwaltung fasste daraufhin einen Plan, den sogenannten Bebauungsplan 999, der vor allem Schaffung von Wohnraum in dem Quartier vorsah.

Für kurze Zeit schien es eine Lösung für den ewigen Streit zu geben. Doch das Oberverwaltungsgericht Münster machte der Stadt Aachen einen Strich durch die Rechnung und stoppte die Pläne. Die Begründung: Wohnen und Prostitution, das gehe städtebaulich einfach nicht zusammen.

Dieses Urteil rief zwei andere Architekten, Martin Jochum und Kai Kleicker, mit einer ungewöhnlichen Idee auf den Plan: Man könnte doch das ganze Rotlichtviertel umziehen lassen, von der Straße auf ein Dach. Ein Dach, so hoch, dass die Prostituierten in Ruhe ihrer Arbeit nachgehen könnten, ohne dabei von der Stadtbevölkerung gesehen zu werden.

Die Idee, irgendetwas mit den Flachdächern zu machen, hatte der Architekt Martin Jochum eigentlich schon lange. Seit 1975 ist er Inhaber einer Luftbildfirma. Mit Drohnen überfliegt er Straßen und imposante Gebäude in Aachen und Köln. Dabei ist ihm eines immer wieder aufgefallen: In den Innenstädten steht zwar alles dicht an dicht, aber oben auf den Flachdächern ist eine Menge Platz. "Ungenutztes Potenzial", sagt der Architekt dazu.

"Haus der Neugier": Prostitution und Bildung zusammenlegen?

Besonders viel "ungenutztes Potenzial" gibt es in Aachen auf dem Horten-Haus, einem riesigen ehemaligen mehrstöckigen Kaufhaus, in dem früher einmal das "Lust for Life" war. Seit Jahren steht der riesige Klotz mitten in der Innenstadt leer. Die Wände sind mit Graffitis beschmiert, der Putz bröckelt.

Für die Stadt Aachen war es Zeit, zu handeln – und das Horten-Haus zurückzukaufen, für etwa 100 Millionen Euro. In ein "Haus der Neugier" will sie es jetzt verwandeln. Das bedeutet konkret: In dem Haus sollen künftig die Volkshochschule und die Stadtbibliothek untergebracht werden.

Und als all diese Ereignisse zusammenfielen – die Entdeckung der Flachdach-Potenziale, das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Münster und die Planung um den städtischen Kauf des Horten-Hauses – war für die Architekten Jochum und Kleicker klar, auf welches Dach das Aachener Rotlichtviertel umziehen könnte.

Architekt möchte ein Penthouse für Prostituierte bauen

Ein Penthouse mit Rundlauf könnte man auf das Dach setzen, sagt Kai Kleicker. Groß genug dafür wäre es allemal – nämlich etwa 94 mal 40 Meter. Es könnte genau so funktionieren wie die Antoniusstraße, nur oben auf dem Dach. Die Frauen hätten alle ihre eigenen Kabinen, und rund um die herum könne man Büsche und Hecken pflanzen. Der Vermieter des Ganzen könnte dann die Stadt Aachen werden, der das Haus dann ja gehöre, ergänzt Jochum. Das bringe der Stadt auch einiges an Einnahmen. Und den Frauen mehr Sicherheit. "Unten an den Eingang setzen wir dann einfach einen bulligen Sicherheitsmann mit Schäferhund, der die Leute kontrolliert", sagt Jochum und lacht.

Würde der bullige Sicherheitsmann mit dem Schäferhund dann auch die Besucher der Volkshochschule und der Stadtbibliothek kontrollieren? Nein. Das wären separate Eingänge, erklärt der Aachener. Einer, der direkt aufs Dach führe, und ein Haupteingang für die anderen Besucher des "Hauses der Neugier". Kai Kleicker nickt: "Die würden sich nicht begegnen."

Die Stadt Aachen würde die "Zuhälterrolle" übernehmen

Der einzige Verlierer des ganzen Unterfangens wären die Zuhälter, sagt er. Denn wenn die Einkünfte in die Stadtkassen flössen, würde es in den Portemonnaies der Zuhälter fehlen. Aber die beiden stadtbekannten Zuhälter seien auch schon über 80, sagt Jochum, da würde man schon eine Einigung finden.

Ob die Stadt Aachen aber überhaupt so eine Zuhälterrolle übernehmen wolle, ob man ein Rotlichtviertel so einfach umziehen lassen könne und ob die Sexarbeiterinnen sich dazu überhaupt bereit erklärten, ist bisher noch unklar. Jochum stellt klar, dass das Ganze bisher nur eine Idee ist, die die Architekten mit der Stadtgesellschaft teilen wollen: "Wir wünschen uns nur, dass wir in Aachen die ausgetretenen Pfade einmal verlassen und neue Ideen diskutieren."

Wollen die Aachener überhaupt neue Ideen diskutieren?

Auf dem Platz der Demokratie sitzt eine Frau und raucht. Sie arbeitet in einem Modegeschäft auf der anderen Straßenseite. Einen der beiden Zuhälter kennt sie persönlich: "Den, der am Stock geht", sagt sie. Die Prostitution in der Parallelstraße sei auch nur ein Geschäft, findet sie. Und dass man damit in der Einkaufsstraße längst seinen Frieden gemacht habe. Mehr noch: "Ich glaube, die Antoniusstraße gehört einfach zu Aachen und ich finde, deswegen sollte sie genau da bleiben, wo sie jetzt ist."

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Eine junge Frau ist anderer Meinung. Als sie das erste Mal von der Idee der Architekten hört, sagt sie: "Das ist doch ein Scherz" und lacht. Doch dann denkt sie nach. "Ich kann mir vorstellen, dass das für die Frauen viel besser sein könnte, in solchen kontrollierten Verhältnissen zu arbeiten." Wenn man die Frauen so besser schützen und ihre Arbeitsbedingungen verbessern könnte, sagt sie, dann könne sie das Unterfangen nur unterstützen.

Aber sie könne sich auch vorstellen, dass die Besucher der VHS und der Stadtbibliothek – erfahrungsgemäß ältere Semester – ihre Probleme damit haben könnten, dass Prostitution und Bildungsangebote in Aachen unter demselben Dach stattfänden. "Ich kann mir vorstellen, dass ältere Leute das Haus der Neugier dann meiden." Dabei sei es auch egal, wie wenig die einen von den anderen Besuchern mitbekämen. Es sei allein eine Frage des Gefühls und der Ressentiments.

Der ehemalige Freier mit dem Rollator findet die Idee allerdings uneingeschränkt gut. Wenn der Rotlichtbezirk auf das Dach des Hortenhauses ziehe, könne er sich auch noch einmal vorstellen, den Damen dort einen Besuch abzustatten.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherche
  • Gespräch mit Kai Kleicker und Martin Jochum
  • Umfrage
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