Auffrischungsimpfung Was Sie über eine dritte Corona-Impfung wissen müssen
Berlin (dpa) - Ab September sollen bestimmte Gruppen in Deutschland eine Auffrischimpfung gegen Covid-19 bekommen können. Das haben die Gesundheitsminister von Bund und Ländern beschlossen, eine Empfehlung der Ständigen Impfkommission (Stiko) dazu gibt es bislang aber nicht. Fragen und Antworten.
Wie lange hält der Impfschutz gegen Corona?
Das können Fachleute bisher nicht genau beantworten. Dass vor allem der Schutz vor einer Ansteckung nach einiger Zeit nachlässt, galt aber als absehbar. Von anderen Atemwegserkrankungen ist bekannt, dass es schwierig ist, durch eine Impfung, die in einen Muskel verabreicht wird, eine dauerhaft effektive Abwehr auf den Schleimhäuten hervorzurufen. Der Schutz vor schwerer Erkrankung wird jedoch als länger anhaltend eingeschätzt, das gilt nach bisherigen Erkenntnissen auch bei der Delta-Variante.
An wen richtet sich das Angebot zur Auffrischung?
Laut Beschluss soll in Pflegeeinrichtungen, Einrichtungen der Eingliederungshilfe und weiteren Einrichtungen mit gefährdeten Gruppen eine Auffrischimpfung angeboten werden - in der Regel mindestens sechs Monate nach Abschluss der ersten Impfserie. Patientinnen und Patienten mit geschwächtem Immunsystem die zu Hause leben, oder auch daheim lebende Pflegebedürftige sollen das Angebot von ihrem Arzt bekommen.
Auch Menschen, die vollständig mit Vektorimpfstoffen geimpft wurden - zwei Dosen Astrazeneca oder einer Spritze Johnson & Johnson - sollen dem Beschluss zufolge die Möglichkeit zu einer Impfung mit einem mRNA-Impfstoff von Biontech/Pfizer oder Moderna erhalten. Das soll in Impfzentren, bei Ärzten oder im Betrieb möglich sein. In Kliniken wie der Berliner Charité laufen die Angebote für Beschäftigte an.
Was spricht für eine Auffrischung?
Begründet wird der Schritt von der Politik mit gesundheitlicher Vorsorge und ersten Studienergebnissen, die darauf hinwiesen, dass es bei bestimmten Gruppen vermehrt zu einer reduzierten oder schnell nachlassenden Immunantwort kommen könne. Dies gelte insbesondere für relevant immungeschwächte Menschen sowie für Höchstbetagte und Pflegebedürftige, hieß es.
Hintergrund ist: Das Immunsystem alter Menschen reagiert nicht so gut wie das von Jüngeren. Die eigentlich hohe Wirksamkeit der Impfstoffe kommt bei ihnen nicht voll zum Tragen. Ähnlich kann das bei Menschen mit bestimmten Vorerkrankungen sein.
Was sagt die Stiko?
Sie beschäftigt sich mit dem Thema, sah bislang aber noch nicht die für eine offizielle Empfehlung notwendige Datengrundlage. Dabei geht es um Fragen wie: Nimmt die messbare Immunantwort im Labor ab? Treten mehr Erkrankungen bei Geimpften im echten Leben auf? Welche Gruppe würde vom Booster profitieren?
Zur Entscheidung Israels, dritte Impfungen für Ältere anzubieten, hatte Stiko-Chef Thomas Mertens kürzlich gesagt, dass nichts dagegen spreche, wenn ein Staat aus Fürsorgepflicht so handle - auch ohne Evidenz. Daten zu nachlassendem Impfschutz aus Israel etwa waren teils wegen möglicher Verzerrung kritisiert worden.
Welche Rolle spielt die Delta-Variante?
Die in Indien entdeckte und mittlerweile auch hierzulande vorherrschende Delta-Variante ist deutlich ansteckender als ihre Vorgänger - mit Windpocken verglich sie die US-Gesundheitsbehörde CDC. Befürchtet wird eine zunehmende Ausbreitung im Herbst und Winter.
Im Vergleich zu früheren Varianten wird bei Delta-Infizierten eine deutlich höhere Menge von Viren im Blut gefunden. Außerdem hat Delta ein Stück weit die Fähigkeit, Antikörpern von Geimpften und Genesenen zu entkommen. Angenommen wird, dass vor diesem Hintergrund auch die Wahrscheinlichkeit einer Ansteckung für Geimpfte steigt.
Sind Auffrischimpfungen eine Corona-Besonderheit?
Nein. Zweit- und Drittimpfungen nach einem und sechs Monaten seien ein erprobtes Impfschema, etwa von Kinderimpfungen, sagte Christine Dahlke von der Abteilung Klinische Infektionsimmunologie am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE). Dass abgesunkene Antikörperspiegel auf diese Weise geboostet (angekurbelt) werden könnten, sei recht bekannt.
Warum soll es auch nach Vektorimpfstoffen einen Booster geben?
Der Beschluss sieht dies unabhängig von Alter und Vorerkrankung zur Vorsorge vor. Der Hintergrund dürfte sein, dass unterschiedliche Impfstoffarten auch unterschiedliche Immunantworten bewirken. Es gebe Hinweise, dass nach zwei Dosen Astrazeneca der Spiegel neutralisierender Antikörper etwas geringer ist als nach einer mRNA-Impfung und auch geringer als nach einer Kreuzimpfung, sagte Dahlke. In Hinblick auf das Infektionsgeschehen könne die Auffrischung daher demnächst sinnvoll sein.
Angenommen wird aber, dass Astrazeneca gut auf den zweiten Arm der Immunantwort wirkt, die sogenannten T-Zellen. Diese sind wichtig für den Schutz vor schwerer Erkrankung.
Welche Impfstoffe werden verwendet?
Zunächst stehen keine speziell auf Delta oder andere neue Varianten ausgerichteten Impfstoffe zur Verfügung, auch wenn mehrere Hersteller daran bereits arbeiten. Aus Sicht des Charité-Impfstoff-Experten Leif Sander heben aber auch die bereits verfügbaren Impfstoffe die Immunantwort "wahrscheinlich deutlich an".
Kann eine dritte Dosis Risiken bergen?
Es könne sein, dass ein kürzerer Abstand zu einer vorangegangenen Impfung zu stärkeren Impfreaktionen führt, sagte Sander. Diese seien zwar unangenehm, aber in der Regel harmlos. Wenn, wie nun vorgesehen, mindestens sechs Monate seit der vorangegangenen Impfung vergehen, mache er sich keine Sorgen um verstärkte Impfreaktionen. Bei älteren Menschen sei die Verträglichkeit ohnehin sehr gut gewesen. Aber es gelte natürlich, die Drittimpfung engmaschig zu überwachen.
Kann man nicht messen, ob jemand noch immun ist?
Laboruntersuchungen zu Antikörperspiegeln sind möglich - diese erlauben allerdings keine direkte Schlussfolgerung auf die Schutzwirkung beim Menschen. Es gibt bisher keinen definierten Schwellenwert, der aussagen könnte, ob jemand immun oder vor einem schweren Verlauf geschützt ist.
Es bilden auch nicht alle Geimpften messbare Level an Antikörpern - was aber nicht bedeute, dass man nicht geschützt ist, sagte Dahlke. Das liege an den Gedächtniszellen, die in kürzester Zeit nach einer Infektion die Antikörper wieder auf ein ausreichendes Niveau höben. Jene Zellen können aufwendig etwa für Studien untersucht werden, aber im Alltag gilt das nicht als Option.
Ist ausreichend Impfstoff für Auffrischimpfungen verfügbar?
Mehrere reiche Länder halten das Auffrischen nun für möglich, global gesehen kann von ausreichend Impfstoff jedoch keine Rede sein. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) forderte vor einigen Tagen einen vorübergehenden Stopp von Auffrischimpfungen, solange noch viele ärmere Länder auf Impfdosen warten.
Bereits begonnene Auffrischimpfungen sollten ausgesetzt und Pläne dafür bis mindestens Ende September auf Eis gelegt werden, bis mindestens zehn Prozent der Menschen in allen Ländern der Welt geimpft seien, so die Forderung. Auch Charité-Experte Sander sprach von einem "ethischen Dilemma". Die Drittimpfungen hierzulande seien aber medizinisch zu rechtfertigen.
Werden dauerhaft alle sechs Monate Auffrischungen nötig sein?
Davon gehen Fachleute nicht aus. Von anderen Impfstoffen wisse man, dass eine späte Auffrischung die Gedächtniszellen nochmals so anrege, dass man dann auch ein, zwei Jahre, hoffentlich mehr, keine Impfung mehr benötige, sagte Dahlke. Auch das Virus dürfte sich Experten zufolge später - wenn die meisten Menschen immun sind - nicht mehr so schnell verändern: Nach einigen Jahren sei daher mit einer längeren Haltbarkeit der Impfstoffe zu rechnen, lautete das Fazit von Charité-Forschern zu ihrer Studie im Fachmagazin "Virus Evolution".