Gefährdungsanalyse Aerosolforscher: Sport im Freien ohne Corona-Gefahr
Frankfurt/Main (dpa) - Die Luft ist rein! Fußball oder Tennis spielen, Joggen oder im Achter rudern: Beim kontaktlosen Sporttreiben im Freien gibt es laut der Gesellschaft für Aerosolforschung (GAeF) so gut wie keine Gefahr für Corona-Infektionen.
In der Berliner Politik wurde diese Entwarnung monatelang ignoriert, bis ein Offener Brief der GAeF an Kanzlerin Angela Merkel wie ein Weckruf wirkte. "Es ist ein gewisser Erfolg für uns, wenn die Menschen keine Angst mehr haben, nach draußen zu gehen, und ihnen klargemacht wurde, wo die Gefahren lauern: im Innenraum", sagte GAeF-Präsident Christof Asbach im Interview der Deutschen Presse-Agentur.
"Wir haben einen Grundstein zum Verständnis gelegt, dass draußen sehr wenig passieren kann", betonte Asbach. Bei Teamsportarten oder auch Tennis, das auch mal nicht erlaubt war, sehe er "ein extrem geringes Infektionsrisiko". Dies gelte auch für das Rudern mit mehreren Scullern im Boot. Man sitzt mit dem Rücken zueinander, bekomme den Atem nicht direkt ins Gesicht, und das Boot bewege sich, was "starke Verwirbelungen und damit eine Verringerung der Virenkonzentration" erzeuge, erläuterte Asbach. Ebenso hätten zwei nebeneinander laufende, keuchende Jogger wegen der Bewegung kaum etwas zu befürchten.
"Ein Virus macht noch keine Infektion", stellt Asbach fest. "Dazu braucht man einige hundert bis einige tausende." Bei aller Zuversicht warnte Asbach aber auch vor Risiken: "Wir sehen die Gefahren in Umkleidekabinen, Toiletten oder bei der Anfahrt im Auto oder Bus."
Sein Kollege Gerhard Scheuch, ehemaliger Präsident der International Society for Aerosols in Medicine, hält im Fußball Zweikämpfe und normales Mannschaftstraining für problemlos. "Kleingruppen und Training streng nach Abstand ergeben keinen Sinn", sagte er dem Onlineportal "dfb.de". Zudem hält er die Altersbeschränkung für Sport im Freien für überflüssig: "Das Alter ist egal, weil es so gut wie keine Ansteckungen im Freien gibt."
Eine Studie in Irland bestätigte die deutschen Aerosolforscher in ihrer Gefährdungsanalyse. Danach seien laut einem Bericht der "Irish Times"von 232.000 Infektionsfällen nur 260 im Freien aufgetreten. "In anderen Worten: 99,9 Prozent der Covid-19-Ansteckungen erfolgen in geschlossenen Räumen", fasste Scheuch zusammen.
Die Erkenntnisse der GAeF-Wissenschaftler sind schon seit Winter 2020 bekannt, ohne das die Politik daraus Entscheidungen für eine generelle Öffnung des Sports unter freien Himmel abgeleitet hat. "Das ist definitiv ein Versäumnis", kritisierte der Nürnberger Pharmakologe Fritz Sörgel. "Wir brauchen Training und Veranstaltungen und die Hoffnung. Sonst könnte es in der Gesellschaft explodieren."
DOSB-Präsident Alfons Hörmann weist darauf hin, dass regionale Konzepte und Modellprojekte Sportausübung im beschränkter Form möglich gemacht hätten. Angesicht der geplanten Änderung des bundesweiten Infektionsgesetzes fürchtet er nun aber Rückschritte beim Bemühen um einen schrittweisen Re-Start. "Jetzt haben wir die Situation, dass durch das Infektionsgesetz eine Verschlechterung entstehen kann", sagte der Chef des Deutschen Olympischen Sportbundes.
Eine wesentliche Verbesserung wird es wohl nach der geplanten Verabschiedung des Infektionsgesetzes am Mittwoch im Bundestag nicht geben: Nur kontaktloser Individualsport allein, zu zweit oder mit Angehörigen des eigenen Hausstands soll erlaubt sein. Für Berufs- und Leistungssportler gibt es Ausnahmen. Und für Kinder im Alter bis zu 14 Jahren soll Sport in Gruppen weiter möglich sein. Bei den vorgesehenen Ausgangsbeschränkungen ab 22.00 Uhr sollen Joggen und Spaziergänge bis Mitternacht erlaubt bleiben - aber nur allein.
Hörmann sieht die Öffnungsbestreben des Sports durch die Aerosolforscher gestärkt, mahnt aber, wachsam bei der Befolgung der Hygienemaßnahmen und Corona-Regeln zu bleiben. Auch diese Medaille habe zwei Seiten: Der Sport sei wegen des Gesundheitsaspektes ein wertvoller Bestandteil der Lösung der Pandemie, müsse jedoch "super diszipliniert und regelorientiert" bleiben.
Dass Hertha BSC als erster Fußball-Bundesligist wegen Corona-Fällen trotz bester Hygienekonzepten in Quarantäne geschickt wurde, sieht Hörmann nicht als Belastung für das Bestreben des DOSB, den organisierten Sport wieder aus der Bewegungsstarre zu befreien: "Bei einer solchen Masse an Sport, der getrieben wird, kann es immer den einzelnen Ausreißer an irgendeiner Stelle geben."