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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Deutsches U-Boot-Wrack im Video "An Bord muss die Hölle geherrscht haben"
Es ist eine Sensation: Der Forscher Tomas Termote hat vor Belgien das Wrack eines deutschen U-Boots aus dem Ersten Weltkrieg identifiziert. Das Schicksal der Mannschaft war besonders grausam.
t-online: Herr Termote, Ihnen ist eine archäologische Sensation gelungen: Sie haben das Wrack des deutschen Unterseeboots "UB-32" aus dem Ersten Weltkrieg identifiziert. Was ist das Besondere daran?
Tomas Termote: Das Ende von "UB-32" war überaus dramatisch. Und zwar ist es das einzige deutsche Unterseeboot im Ersten Weltkrieg, das von einem feindlichen Flugzeug versenkt worden ist. Es gab in dieser Zeit nur einen ähnlichen Fall überhaupt: 1915 versenkte ein österreichisch-ungarischer Flieger die französische "Foucault" in der Adria.
Ist es für ein Flugzeug nicht ungeheuer schwer, ein Unterseeboot aus der Luft zu bombardieren?
Es ist sehr, sehr schwierig. Die britischen Piloten hatten ein ungeheures Glück, die Deutschen wiederum unfassbares Pech. Stellen Sie sich die Situation vor: Das britische Flugzeug sichtete auf dem offenen Meer das deutsche U-Boot, das in Richtung der belgischen Küste fuhr. Und ging zum Angriff über. Die Deutschen hatten die Gefahr natürlich bemerkt und versuchten wiederum, möglichst schnell abzutauchen. Dann warfen die Briten ihre zwei Bomben ab – und trafen auch noch.
Welche Maße hatte ein deutsches U-Boot des Typs UB II eigentlich? Es war doch nur ein kleiner Punkt im Meer, oder?
Es war 36 Meter lang und beinahe 5 Meter breit. Besonders tragisch wird die Geschichte, wenn man berücksichtigt, dass "UB-32" fast in Sicherheit gewesen wäre. Die Mannschaft hatte gerade erst die Hölle überwunden, um dann doch zu sterben.
Bitte erklären Sie das näher.
Zum Schutz vor den deutschen U-Booten hatte die Royal Navy die sogenannte Dover-Sperre errichtet. Es war im Prinzip eine tödliche Barriere aus Minenfeldern und Netzen, die den Feind aus dem Ärmelkanal fernhalten sollte. Sie war außerordentlich gefürchtet bei den U-Boot-Besatzungen. Diese Minenfelder hatten die Männer von "UB-32" überlebt. Um dann von dem Flieger versenkt zu werden.
Tomas Termote, Jahrgang 1975, ist maritimer Archäologe. Seit Jahrzehnten sucht und erforscht der Belgier Schiffswracks auf dem Meeresgrund. So identifizierte er 2017 etwa das Wrack des deutschen U-Boots "UB-29" vor Ostende. Termote ist Autor des Standardwerks "Krieg unter Wasser. Unterseebootflottille Flandern 1915-1918". Das Buch ist im Handel erhältlich.
Wo liegt das Wrack genau?
Es befindet sich ungefähr 35 Meilen nordwestlich von Ostende. Das sind gerade eben noch belgische Gewässer. Es liegt in einer Tiefe von rund 40 Metern.
Und in welchem Zustand befand es sich, als Sie es im Sommer vorgefunden haben?
"Gefunden" im engeren Sinne wurde es eigentlich schon vom Flämischen Hydrographischen Dienst in den Achtzigerjahren. Wegen des regen Schiffsverkehrs wird der Meeresgrund regelmäßig untersucht, um Gefahren rechtzeitig zu entdecken. Allerdings hat sich keiner groß um das Wrack gekümmert, es gibt eben sehr viele. Vor allem hat niemand vermutet, dass es sich um "UB-32" handeln könnte.
Auch Sie selbst wussten erst gar nicht, welche Entdeckung Ihnen gelungen ist.
Das ist richtig. Es hat mit dem Zustand des Wracks zu tun. Der gesamte Bug des U-Boots ist zerstört, nur das Heck bis hin zum Turm ist intakt. Der vordere Teil wirkt, als wäre ein Riese daraufgetreten.
Tatsächlich sind die Schäden, die zum Sinken von "UB-32" führten, außergewöhnlich.
Wenn ein U-Boot auf eine Seemine läuft, springt diese gewissermaßen unter die Hülle und detoniert. Was man am Wrack dann gut erkennen kann. Wir haben vier gesunkene U-Boote in unseren Gewässern mit derartigen Schäden. Bei "UB-32" ist es anders, es ist wie bei dem schon beschriebenen Tritt eines Riesen von oben.
Wie ist es Ihnen denn überhaupt gelungen, das Wrack als "UB-32" zu identifizieren?
Zunächst sind wir davon ausgegangen, dass es sich um einen anderen U-Boot-Typ handelt. Und zwar um ein UB I. Das Wrack liegt auf der Seite, ein Teil wird von Schlamm verdeckt. So sahen wir nur einen Propeller, was typisch ist für ein UB I. Bei einem Tauchgang gelang es mir und meinen Kameraden aber, Netze und Seile, die sich im Laufe der Jahrzehnte dort festgesetzt hatten, zu entfernen. Dann kam ein zweiter Propeller zum Vorschein. Wir waren sehr glücklich.
Und dieser Propeller verriet dann auch, um welches U-Boot vom Typ UB II es sich handelte.
Genau. Es handelt sich um eine Drei-Klingen-Schraube aus Bronze, darauf ist die Inschrift "STB Schiffsschr. 6, UB.32" enthalten. Damit war auch dieses Rätsel schnell gelöst. In Verbindung mit dem Bericht der britischen Flieger, die "UB-32" versenkt haben, ist kein Zweifel mehr vorhanden.
Was stand denn in diesem Bericht?
Sie berichteten zuhause, dass sie zwei Bomben auf ein gerade untertauchendes deutsches U-Boot abgeworfen hätten. Es legte sich dann auf die Seite und versank inmitten von Öl, Wrackteilen und aufsprudelnder Luft. Die britischen Piloten waren übrigens ausgezeichnete Flieger und Navigatoren. Sie haben damals die Position des Wracks auf dreizehn Meilen genau verzeichnet. Und das in einem Flugzeug in der Luft und lediglich mit einem Sextanten. Bis zum GPS sollte es noch lange dauern.
Was geschah mit "UB-32", als die britischen Bomben einschlugen?
An Bord muss die Hölle geherrscht haben. Eben noch waren die Deutschen entspannt auf Heimfahrt, dann brach das Chaos über sie her. Wenn die Mannschaft Glück hatte, tötete sie die Explosion sofort. Schlimmstenfalls mussten sie auf den Tod in der Tiefe warten. Das aber nur, wenn durch die Detonation nicht ohnehin das gesamte Innere voll Wasser gelaufen ist. Dann sind die Männer jämmerlich ertrunken.
Sie vermuten allerdings, dass nicht nur die britischen Bomben explodierten?
Ja. Ich glaube, dass auch einer der Torpedos detoniert sein muss. Das ist meine Schlussfolgerung aufgrund der immensen Schäden am U-Boot. Der Meeresgrund ist dort ein Trümmerfeld.
Aber gehen wir noch etwas weiter zurück in die Geschichte: Was war die Mission von "UB-32" vor der Versenkung?
Am besten fangen wir ganz vorne an. "UB-32" ist am 4. Dezember 1915 in der Reiherstiegwerft in Hamburg vom Stapel gelaufen, dann wurde es zunächst in der Ostsee eingesetzt.
Allerdings ziemlich erfolglos, oder?
Vollkommen, deswegen wurde es 1917 zur Unterseebootflottille Flandern versetzt. Unter dem Kommandanten Max Viebeg war "UB-32" dann wiederum sehr erfolgreich. Die Mannschaft versenkte damals 21 gegnerische Schiffe, darunter mit der "SS Ballarat" auch einen Truppentransporter mit mehr als 11.000 Tonnen Wasserverdrängung. Als "UB-32" im Juni 1917 die britische "SS South Point" versenkte, machte die Mannschaft ein Foto davon. So etwas ist sehr, sehr selten.
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Max Viebeg sollte "UB-32" allerdings nicht auf der letzten Fahrt kommandieren.
Als "UB-32" am 10. September 1917 zum letzten Mal aus seinem Stützpunkt Zeebrügge auslief, wurde es von Benno von Ditfurth befehligt. Es dürften 24 Mann an Bord gewesen sein, zwei Offiziere und 22 Seeleute. Ich schätze von Ditfurth als einen vorsichtigen, besonnenen Offizier ein, der nicht das große Risiko suchte. Es gibt eine Fotografie von ihm, wie er vor dem Turm von "UB-32" sitzt.
Trotz seiner Vorsicht sollte von Ditfurth mit seinen Männern aber niemals zurückkehren.
Das ist leider so. Ich vermute, dass er auf seiner zweiten und letzten Patrouillenfahrt mit "UB-32" in die Biscaya gefahren ist und dann auf der Rückfahrt einen weiten Bogen in Richtung der Themse-Mündung gemacht hat.
Um den besagten Minenfeldern auszuweichen?
Ganz richtig. Damit kam er schon in gefährliche Nähe zum niederländischen Territorium. Dort wo wir das Wrack von "UB-32" dann gefunden haben, hätten wir es auch nie vermutet. Wahrscheinlich hatten sich zu diesem Zeitpunkt am 22. September 1917 alle schon im sicheren Hafen gewähnt. Von Ditfurth lag wahrscheinlich in seiner Koje, dann kam die tödliche Überraschung über die Deutschen.
Sprechen wir einmal grundsätzlich über die Bedeutung der deutschen U-Boote im Ersten Weltkrieg. Winston Churchill, der spätere große Kriegspremier im Kampf gegen Adolf Hitler, gestand einst ein, dass ihm der U-Boot-Krieg schlaflose Nächte bereitet habe.
Und das zurecht. Wir müssen immer bedenken, dass Großbritannien ein Inselreich ist und im Ersten Weltkrieg dringend auf die Versorgung aus den Kolonien und vor allem aus den USA angewiesen war. Was auch der deutschen Kriegsmarine sehr bewusst gewesen ist. Bei Kriegsanfang 1914 waren nur 28 deutsche Unterseeboote einsatzbereit, im Mai 1918 waren es schon 330. Weitere 600 waren dazu im Bau. Mit den U-Booten hätten die Deutschen England in die Knie zwingen können. Theoretisch zumindest.
Wenn der uneingeschränkte U-Boot-Krieg der Deutschen nicht 1917 zur amerikanischen Kriegserklärung geführt hätte.
Genau. Damit war die Niederlage der Deutschen besiegelt.
Wie aber genau haben wir uns die Kriegsführung mit U-Booten im Ersten Weltkrieg genau vorzustellen?
Der Typ UB II ist ein gutes Beispiel. Es handelte sich dabei um Unterseeboote für den küstennahen Einsatz, aber mit größerer Reichweite als die Vorgänger-Typen: Etwa 1.600 Seemeilen bei Fahrt über Wasser. Und genau darin liegt ein weit verbreiteter Irrglaube: Die Unterseeboote befanden sich einen Großteil der Einsatzzeit über Wasser. Sie tauchten in der Regel nur bei Gefahr ab. Das lag unter anderem an den Elektromotoren für die Fahrt unter Wasser, die nach einiger Zeit wieder aufgeladen werden mussten.
Entsprechend versenkten sie die meisten feindlichen Schiffe auch gar nicht mit Torpedos, wie man es aus dem Kino kennt.
Torpedos waren absolute Mangelware, der Kommandant muss sehr geizig damit sein. "UB-32" hatte nur vier Stück davon an Bord. Feindliche Schiffe wurden stattdessen mit dem Deckgeschütz versenkt. Oder mithilfe von Sprengladungen, die nach Betreten des gegnerischen Schiffes platziert worden sind.
Wie lange waren die U-Boote denn auf See?
Das war sehr unterschiedlich. Sie hätten wochenlang ausfahren können, tatsächlich waren die Einsätze oft kürzer. Meist zehn bis 14 Tage. Denn einerseits war die Verpflegung bisweilen schwierig, zum anderen die nervliche Belastung gewaltig. Es gab U-Boot-Kommandanten, die nach einem Einsatz auf Kur geschickt werden mussten. Sie trugen eine enorme Verantwortung, das U-Boot und vor allem ihre Männer heil nach Hause zu bringen.
Was waren das für Männer, die an Bord der U-Boote dienten?
Sie verstanden sich als absolute Elite-Einheit, in den ersten zwei Kriegsjahren wurden auch nur Freiwillige aufgenommen. Ich habe aber Belege gefunden, dass später Soldaten direkt aus dem Schützengraben auf ein U-Boot kommandiert wurden. Wahrscheinlich lag es an den vielen Verlusten und dem Ausbau der Flotte.
Und diese Männer lebten dann unter schrecklichen Bedingungen auf See.
Das Leben dieser Männer muss furchtbar gewesen sein. Sie waren eingesperrt in einen potenziellen Sarg aus Stahl. Es gab keinerlei Luxus oder Privatsphäre. Der Maschinist starrte etwa den ganzen Tag auf die Motoren, er bekam nichts von der Außenwelt mit. Kein Tageslicht, dafür nur der Lärm der Dieselmotoren. Dazu herrschte ein Gestank etwa aus Öl und menschlichen Gerüchen. Nicht zu vergessen die allgemeine Todesgefahr durch feindliche Angriffe.
Kommen wir aber wieder auf die Gegenwart zu sprechen: Was ist das für ein Gefühl, ein solches Wrack zu entdecken?
Es ist ein Wechselbad der Gefühle. Natürlich gibt es mir einen Kick, ein solches Wrack zu entdecken: ein U-Boot, das seit mehr als 100 Jahren verschollen war. Anderseits macht es mich im Fall von "UB-32" eben auch traurig. Ich sah die geschlossen Luken und wusste: Da ist niemand lebend herausgekommen. Hoffentlich musste wenigstens niemand lange leiden. Denn das ist eine Wahrheit: Im Krieg gibt es keine Gewinner.
Sehen Sie Ihre Arbeit auch als eine Art Versöhnung zwischen den früheren Kriegsgegnern?
Ja. Ich bin mit dreizehn Jahren zum ersten Mal mit meinem Vater zu einem Wrack getaucht. Es war ein deutsches Torpedoboot aus dem Zweiten Weltkrieg. Mittlerweile sind es sicher mehr als 600 Wracks, die ich am Meeresgrund besucht habe. Darunter sind Fischkutter, Segelschiffe und Frachter. Aber ein Wrack wie "UB-32" zu identifizieren ist etwas Besonders. Denn nun wissen die Angehörigen der Toten, was aus den Männern geworden ist.
Die sterblichen Überreste der Mannschaft sind noch an Bord.
Davon ist mit hoher Wahrscheinlichkeit auszugehen. Deswegen müssen wir mit dem Wrack auch respektvoll umgehen. Denn es ist im Grunde ein Grab. Aus diesem Grund werden wir auch nicht ins Innere vordringen. Von der Gefahr ganz abgesehen.
Werden Sie in der Zukunft noch weitere spektakuläre Funde am Meeresgrund machen?
Das hoffe ich sehr. Es gibt noch so Vieles zu entdecken.
Herr Termote, vielen Dank für das Gespräch.
- Persönliches Gespräch mit Tomas Termote via Telefon