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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Weltwunder der Antike Errichtete Pharao Cheops seine Pyramide mit einem genialen Trick?
Unzählige Sklaven sollen sich beim Bau der Cheops-Pyramide zu Tode geschunden haben. Aber stimmt das überhaupt? Ein Experte hat eine ganz andere Vermutung: Stichwort: Köpfchen statt Muskeln.
Der griechische Geschichtsschreiber Herodot nahm es einst sehr genau mit seinen Angaben zum Bau der Cheops-Pyramide auf dem Plateau von Gizeh. Pharao Cheops, so berichtet er in seinem Werk "Historien", habe das Land mit seinem Bauprojekt in großes Unheil gestürzt.
Je 100.000 seiner Untertanen habe er zu Drei-Monats-Schichten verpflichtet, während derer sie die tonnenschweren Steine zum Bauplatz hätten schaffen müssen. Dort sei bereits seine Grabkammer angelegt gewesen – auf einer Insel in einem künstlichen See. 20 Jahre lang habe der Bau gedauert.
Ein Vermögen für Zwiebeln
Immerhin sorgte der Pharao demnach für die Verpflegung seiner Sklaven: 1.600 Silbertalente habe er einer Inschrift an der Pyramide zufolge allein für Rettich, Knoblauch und Zwiebeln gezahlt. Den Höhepunkt seiner Tyrannei aber bekam angeblich des Pharaos Tochter zu spüren: Diese schickte er ins Bordell, um Geld für sein Bauvorhaben zu verdienen.
Dort aber sei sie so erfolgreich gewesen, dass sie von ihren Freiern nicht nur Geld, sondern auch Steine erbeten habe – für den Bau einer eigenen Pyramide. "Aus diesen Steinen", schließt Herodots Bericht, "wurde die mittlere der drei Pyramiden gebaut, die vor der großen steht."
Als Herodot seinen Bericht schrieb, stand die Pyramide des Cheops bereits rund 2.000 Jahre lang im Wüstensand. Außerdem, so vermuten die Historiker, hätten die ägyptischen Priester, die er als Informanten nutzte, ebenso wie seine Dolmetscher es wohl mit der Wahrheit nicht ganz so ernst genommen. Jüngere Forschungen legen nahe, dass der griechische Geschichtsschreiber tatsächlich vieles falsch verstanden hat – oder es falsch erzählt worden ist. Allerdings mehren sich auch die Hinweise, dass in anderen Belangen mehr als nur ein Körnchen Wahrheit in seiner fantastischen Erzählung liegt.
Ein künstlicher Berg
Die Suche nach der Wahrheit beginnt mit der Frage, wie viel Arbeit denn tatsächlich zu verrichten war. Sechseinhalb Millionen Tonnen Stein stecken in dem Bauwerk. Das meiste davon sind riesige Blöcke mit einem Gewicht von bis zu neun Tonnen. Derartige Massen konnten in der Vorstellungswelt des Griechen Herodot nur Sklaven bewegt haben.
Kein freier Bürger des antiken Griechenlands hätte sich dafür das Kreuz verhoben. Verfestigt wurde diese Vorstellung in den Köpfen der europäischen Gelehrten späterer Zeit noch von den biblischen Geschichten des jüdischen Volkes in ägyptischer Gefangenschaft. Zwischen dem Bau der Pyramiden von Gizeh und dem – historisch im Übrigen gar nicht belegten – Auszug der Juden aus Ägypten liegen jedoch rund 1.500 Jahre.
Um eine derart große Menge von Steinen zu bewegen, braucht es in der Tat sehr viele Menschen. Und diese Arbeiter müssen des Nachts irgendwo geschlafen haben. Es bräuchte Köche und Ärzte, um sie zu verpflegen bzw. zu pflegen. Und mit einer Diät aus Rettich, Knoblauch und Zwiebeln allein werden sie nicht lange durchgehalten haben. Unterkünfte und Mahlzeiten aber hinterlassen archäologische Spuren.
Megalopolis der Antike
Das dachte sich auch der amerikanische Ägyptologe Mark Lehner, als er sich gezielt auf die Suche danach machte. Er fand tatsächlich eine Siedlung – und die bestand keineswegs aus ärmlichen Sklaven-Hütten, sondern aus anständigen Häusern. Rund 20.000 Menschen, schätzt Lehner, fanden dort einst Unterkunft, während sie die Pyramide des Cheops errichteten.
Damit war die Stadt für damalige Verhältnisse eine Mega-City, vergleichbar nur mit den kulturellen Zentren Mesopotamiens wie Uruk oder Ur. Eine massive Flutmauer, der sogenannte Krähenwall, sollte das Hochwasser des Nils abhalten. Mit einer Länge von etwa 180 Metern und einer ursprünglichen Höhe von rund neun Metern ist die Mauer eine der größten erhaltenen ihrer Zeit.
Innerhalb der Stadt grub Lehner Werkstätten aus, Bäckereien, sogar eine Fischfabrik. Auch palastartige Strukturen entdeckte der Ägyptologe, gefüllt mit Hunderten von Siegeln aus der Zeit von Cheops Sohn und Enkelsohn. Nur Anzeichen von Sklaverei fand er keine. Dafür Knochen von Rindern, Schafen und Ziegen – in rauen Mengen und von den besten Stücken der Tiere, die Überreste üppiger Mahlzeiten höchster Qualität.
Nicht das Werk von Sklaven?
Dazu passen die Funde von Gräbern, die der ehemalige Leiter der ägyptischen Altertümerbehörde, Zahi Hawass, im Jahr 1990 entdeckte. In ihnen wurden, vermutet Hawass, Arbeiter bestattet, die beim Bau der Pyramiden ums Leben gekommen waren. Auch hier gilt: Es wurde niemand hastig verscharrt. Die Gräber sind nicht nur sorgfältig in den Fels gehauen, die Toten wurden auch mit Beigaben für das Jenseits bedacht.
Hawass und Lehner sind sich einig, dass die Pyramiden nicht von Sklavenhand, sondern von freien, geachteten Männern errichtet wurden. Lehner vergleicht die Arbeitsleistung mit Gemeindearbeit, wie sie zum Beispiel bei religiösen Gemeinschaften in Nordamerika üblich ist. Wenn bei den Amish eine neue Scheune errichtet werden muss, dann sei es sowohl eine Ehre wie auch religiöse Verpflichtung für alle Gemeindemitglieder, dabei behilflich zu sein.
Ähnlich ehrenvoll, vermutet der Ägyptologe, war auch für Cheops Volk die Aufgabe, zum Bau seiner Pyramide beizutragen. Immerhin war der ägyptische Pharao nicht nur König, sondern auch ein Sohn der Götter. Mit der Massen-Versklavung der Bevölkerung lag Herodot also möglicherweise daneben.
Ein Aufzug der Superlative
Was aber hat es mit dem See auf sich, den er am Bauplatz der Pyramiden beschreibt? Dass der Grieche damit durchaus recht gehabt haben könnte, vermutete unlängst der Architekt Bernhard Kerres. Denn ein Transport der großen Steinblöcke über schräge Rampen, wie die meisten Ägyptologen vermuten, ist extrem energieaufwändig. Besser sei es, die Blöcke auf dem Wasserweg zum Bauplatz und dann mit einem Wechselaufzug durch einen Schacht senkrecht nach oben zu bewegen.
Ein von ihm rekonstruierter Wechselaufzug nahe der Mittelachse könne mit einem Gegengewicht von rund 500 Arbeitern auskommen und damit in einem Zuge Gewichte von bis zu 30 Tonnen in beliebige Höhe transportieren. Das würde zugleich auch erklären, warum die 20.000 Einwohner der von Lehner entdeckten Stadt ausgereicht hätten, die Cheops Pyramide zu bauen –, statt der von Herodot angenommenen 100.000.
Bei der Versklavung des ägyptischen Volkes hatte Herodot also unrecht, die Geschichte vom See unter der Pyramide könnte hingegen wahr sein. Und was ist mit der traurigen Legende über die Tochter des Pharao? So weit bekannt, hatte Cheops vier Töchter: Hetepheres II., Meresanch II., Chamerernebti I. und möglicherweise auch Neferetiabet. Zwar stehen bei seiner großen Pyramide tatsächlich drei kleinere – jedoch wird keine von ihnen auch nur verdachtsweise mit einer der vier Prinzessinnen assoziiert.
- Eigene Recherche
- Bernhard Kerres: CHEOPS. In der Mitte der Pyramide, Edition Esefeld & Traub 2018
- t-online: Rätsel um Bau der Cheops-Pyramide gelöst?
- Harvard Magazine: Who Built the Pyramids?