Mehr als 150 Journalistinnen und Journalisten berichten rund um die Uhr für Sie über das Geschehen in Deutschland und der Welt.
Zum journalistischen Leitbild von t-online.Weltwunder der Antike Rätsel um Bau der Cheops-Pyramide gelöst?
Seit Jahrhunderten zerbrechen sich Archäologen den Kopf, wie die Cheops-Pyramide errichtet wurde. Jetzt schlägt ein Architekt eine Lösung vor. Sie ist bestechend einfach.
Es klingt fantastisch, was der griechische Geschichtsschreiber Herodot im 5. Jahrhundert vor Christus über die ägyptische Cheops-Pyramide berichtet. In das Bauwerk hinein, schreibt der Historiker, führe ein Graben, "in den fließt das Wasser durch einen gemauerten Eintrittskanal hinein und bildet eine Insel." Ein See mit einer Insel unter der größten Pyramide Ägyptens? Die Forschung tut diese Vorstellung traditionsgemäß als Hirngespinst ab.
Immerhin stand das beeindruckende Bauwerk von Gizeh bereits 2.000 Jahre lang, als Herodot seine Zeilen zu Papyrus brachte. Die Ägypter, die ihm von diesem merkwürdigen Konstrukt berichteten, echauffierten sich die modernen Forscher, hätten ihm da wohl einen gewaltigen Bären aufgebunden.
Dass der Grieche aber durchaus recht gehabt haben könnte, legt der Architekt Bernhard Kerres in seinem vor Kurzem bei der Edition Esefeld & Traub erschienen Buch "In der Mitte der Pyramide" sehr überzeugend dar. Der See, so Kerres, habe allerdings weder eine religiöse Funktion gehabt, noch zur Dekoration gedient – sondern sei für die Baumeister der Pyramide ein elementarer Knotenpunkt in der Transportkette für die tonnenschweren Steinblöcke gewesen.
Das Problem ist die Schräglage
Denn wie die gewaltigen Brocken die Pyramide hinauf in die Höhe geschafft wurden, ist bis heute ein Rätsel. Zwar haben Archäologen immer wieder versucht, den Vorgang mit abenteuerlichen Rampenkonstruktionen zu erklären. Die seien aber, erklärt Kerres, allesamt praxisfern.
Er betrachtet das Problem des Steintransports ganz nüchtern als Architekt und schlussfolgert: "Wenn der Transport schwerer Lasten beim Bau der Cheops-Pyramide so kompliziert und aufwendig gewesen wäre, wie allgemein angenommen wird, hätte man sicherlich mit kleineren Steinen gebaut. Die Verwendung großer Steinblöcke ohne statische Notwendigkeit auch in den oberen Steinlagen zeigt aber die offensichtlich geringe Bedeutung der Transportproblematik für die damaligen Bauleute."
Das Problem bei einer Pyramide ist die Schräglage ihrer Wände. Große Lasten lassen sich nur unter sehr großen Mühen und mit viel Aufwand schräg nach oben bewegen. Relativ leicht ist es dagegen, sie entweder horizontal oder senkrecht nach oben zu bewegen. Und genau das, sagt Kerres, haben die Baumeister des Cheops getan. Sie ließen die Steine nicht schräg die Wände hinaufziehen – sondern beförderten sie durch Schächte im Inneren der Pyramide mit einem Wechselaufzug senkrecht nach oben.
Merkwürdigkeiten beim Prozessionsweg
"Der vorgestellte Wechselaufzug nahe der Mittelachse arbeitet mit einem Gegengewicht von rund 500 Arbeitern", schreibt der Architekt, "und kann damit in einem Zug Gewichte von bis zu 30 Tonnen in beliebige Höhe transportieren." Die Steinblöcke wurden also mit dem Schiff vom Nil über einen Kanal bis zu dem See direkt unter der Pyramide geschafft, dort ausgeladen und mit dem Aufzug zu der Höhe befördert, auf der sie gerade gebraucht wurden. Nach Abschluss der Bauarbeiten wurden dann sowohl die Schächte als auch der Kanal verfüllt.
Diese Anordnung würde außerdem noch zwei Merkwürdigkeiten der gesamten Anlage erklären. Zum einen verläuft der Prozessionsweg vom Totentempel am Nilufer zur Pyramide nicht gerade, sondern knickt in einem merkwürdigen Winkel ab – und das obwohl die Erbauer der Pyramide in allen anderen Belangen größten Wert auf eine exakte Ausrichtung der Bauelemente nach den Himmelsrichtungen und die Einhaltung von Fluchten legten.
Der seltsame Verlauf des Prozessionsweges wäre aber nur logisch, wenn stattdessen der Kanal die gerade Verbindung vom Nilufer zur Pyramide – also die kürzeste Strecke – beansprucht habe. Und zum zweiten liegen auch die Kammern innerhalb der Pyramide, die Königskammer mit dem Sarkophag des Pharao darin und die etwas kleinere Königinnenkammer, nicht auf der Mittelachse der Pyramide, sondern leicht daneben. Denn in der Mitte der Pyramide, erklärt Kerres, habe ein Vermessungsschacht gelegen und unmittelbar daneben die beiden weiteren Schächte für den Aufzug.
Wo blieb der Schutt?
Auch für noch ein weiteres Rätsel um die Pyramide bietet Kerres in seinem Buch eine Lösung an: die fehlenden Schutthaufen. Üblicherweise wurden die Steine als rohe Blöcke zur Baustelle geschafft und erst vor Ort in die benötigte passgenaue Form gebracht. "Bei diesen Tätigkeiten entstehen große Mengen Abfall in Form von Steinbrocken und Schotter", schreibt er. "Schätzungen gehen von insgesamt mindestens 50 Prozent Abfall bei einem solchen Produktionsprozess aus." Würde die Pyramide also aus soliden Steinblöcken bestehen, wären dabei Schutthalden von noch einmal dem gleichen Volumen angefallen.
Von denen fehlt in der Umgebung der Pyramide aber jede Spur. Kerres hat eine andere Vermutung: "Der vor Ort entstandene Abfall befindet sich weitgehend im Gebäude selbst." Das bestünde nämlich keineswegs aus massiven Felsquadern, sondern aus Steinwaben, die mit Sand, Schutt und Geröll gefüllt sind. So abwegig ist die Idee gar nicht. Denn wäre sie komplett aus Stein gebaut, wäre die Cheops-Pyramide eine absolute Ausnahme: "Die Auffassung vieler Ägyptologen, die Pyramide bestehe durch und durch aus massiven Steinblöcken, … kann sich nicht auf Beispiele anderer Grabbauten berufen. Nirgends hat man komplett im Verband durchgemauerte Steinbauten gefunden." Tatsächlich gibt es weder in Ägypten noch anderswo entsprechende Bauwerke.
Bauprojekt der Superlative
Auch wenn die Cheops-Pyramide nicht aus soliden Steinblöcken gebaut wurde, billig war sie deswegen noch lange nicht. Der Geschichtsschreiber Herodot hat auch hierzu einiges zu berichten: "Und in ägyptischer Schrift ist auf der Pyramide angegeben die Gesamtsumme, die ausgegeben worden ist allein für Rettich und Zwiebeln und Knoblauch zur Betreuung der Arbeiter, und wie ich mich ganz gut erinnere, … sind eintausend und sechshundert Talente Silber dafür ausgegeben worden. Wenn sich das wirklich so verhält, was muss da sonst noch alles draufgegangen sein für all das Eisen, mit dem sie die Steine bearbeiteten, und für die eigentliche Beköstigung und die Kleidung der Arbeiter."
- Mär vom finsteren Mittelalter: Wie die Pest die Lebensqualität verbesserte
- Ausbruch des Vesuv im Jahr 79: Gekochtes Blut, geborstene Schädel
- Medizinischer Befund: Wie Hitler sich gleich zweifach umbrachte
Die Kosten jedenfalls waren so hoch, dass Cheops angeblich seine eigene Tochter ins Bordell schickte, damit sie ihm die benötigte Summe dort verdiene. Sie tat, wie ihr geheißen wurde. "Sie gedachte aber auch, sich selber ein Denkmal zu hinterlassen, und jeden, der mit ihr schlief, bedrängte sie, dass er ihr einen ganzen Stein verehrte, einen aus den Werkstätten", schreibt Herodot. "Aus diesen Steinen, sagten sie, sei ihre eigene Pyramide gebaut, die in der Mitte steht von den dreien vor der großen Pyramide." Dieser Teil der Geschichte wird sich aber wohl nicht so leicht beweisen lassen.
- Eigene Recherche
- Bernhard Kerres: CHEOPS: In der Mitte der Pyramide, Edition Esefeld & Traub 2018