Vor 30 Jahren in Moskau Als Panzer gegen Gorbatschow auffuhren
Im August 1991 putschten Reaktionäre gegen Michail Gorbatschow. Sie wollten den Zerfall des Kommunismus aufhalten. Und beschleunigten nur das Ende der Sowjetunion. Gorbatschow hadert bis heute damit.
Eigentlich war die Welt 1991 sicherer geworden. Die beiden Deutschlands hatten sich friedlich wiedervereinigt, die atomare Bedrohung durch den Kalten Krieg zwischen den USA und der Sowjetunion war geringer geworden. Zu verdanken war diese Entspannung Michail Gorbatschow. Im August 1991 weilte der Staatspräsident der Sowjetunion in Foros auf der Krim, um sich zu erholen.
Entspannung fand der Friedensnobelpreisträger dort allerdings keine. Putschisten setzen Gorbatschow am 18. August 1991 fest, in Moskau rollten einen Tag später Panzer. Ewiggestrige wollten "Gorbi", wie er im Westen genannt wurde, zur Unterzeichnung eines "Erlasses über die Ausrufung des Notstandes" zwingen. Doch Gorbatschow weigerte sich. So nahm der Umsturzversuch seinen Lauf.
Manche Truppen blieben loyal
Dass der Putsch, zu dessen Unterstützern der Chef des immer noch gefürchteten Geheimdienstes KGB und der Verteidigungsminister gehörten, ohne Erfolg blieb, war verschiedenen Menschen geschuldet. Gorbatschow verweigerte sich als Vater von Perestroika (Umgestaltung) und Glasnost (Offenheit) der Nötigung durch die Umstürzler. Boris Jelzin, Präsident der russischen Teilrepublik, bot vor und im Weißen Haus, dem russischen Regierungsgebäude, den Putschisten die Stirn.
Nicht zu vergessen die vielen sowjetischen Bürger, die sich vor dem Weißen Haus versammelten, um es vor der Erstürmung zu bewahren. Und auch militärische Eliteverbände blieben loyal. Am 21. August 1991 war der Spuk vorüber, Gorbatschow kehrte nach Moskau zurück. Die Sowjetunion konnte er jedoch nicht retten, Ende des Jahres war sie Geschichte.
Auf die Tage, die damals die Welt in Atem halten, schaut der inzwischen 90-jährige Gorbatschow in Moskau gelassen zurück. "Es zeigt, dass ich schwach bin. Ich habe keinem von ihnen den Kopf abgehauen", sagt er über die "Verräter" von damals. Die Unzufriedenheit im Land über Gorbatschows Politik der Perestroika war zu der Zeit groß. Das Land versank in Schulden, der für den Haushalt der Rohstoffgroßmacht wichtige Ölpreis war im Keller. Die drei baltischen Staaten hatten sich bereits von der UdSSR losgesagt. Weitere Unionsstaaten drohten, dem Beispiel zu folgen.
"Ich hätte es verhindern können"
Gorbatschow erzählt in einem Gespräch mit dem Dokumentarfilmer Vitaly Mansky, dass er den Zerfall nicht gewollt habe. "Ich hätte es verhindern können. Das hätte ich machen müssen", sagt er in dem Streifen "Gorbatschow. Paradies". In dem intimen Porträt betont der Friedensnobelpreisträger aber auch, er bereue nicht, auf die gewaltsamen Methoden seiner Vorgänger für den Machterhalt verzichtet zu haben.
In Moskau war zu der Zeit – seit der ersten russischen Präsidentenwahl am 12. Juni 1991 – Boris Jelzin als machtbewusster Politiker auf der Bühne, der sich gegen Gorbatschow und die Kommunisten positionierte. Während der sowjetische Präsident isoliert auf der Krim saß, stellte sich Jelzin auf einen Panzer, um den Staatsstreich abzuwenden. Und sich als neuer starker Mann in Moskau zu profilieren.
Wenig später ließ Jelzin die Kommunistische Partei verbieten. Und auch Gorbatschow musste im Dezember abtreten. Jelzin war die neue Macht im Kreml. Er hätte Jelzin, "eine impertinente Person", verjagen sollen, meint Gorbatschow in Manskys Film.
30 Jahre nach diesen historischen Ereignissen macht die Mehrheit der Russen Gorbatschow weiter für den Zusammenbruch der Sowjetunion verantwortlich, wie aus einer Umfrage des staatlichen russischen Meinungsforschungsinstituts Wziom hervorgeht. 67 Prozent der in einer repräsentativen Studie Befragten bedauern demnach aktuell auch den Zerfall des Imperiums, darunter viele junge Menschen. Der Wert sei seit 2005 stabil, erklärt der Wziom-Experte Michail Mamonow. Befragt, welche Gefühle das Ende der UdSSR in ihnen hervorruft, nennen viele Trauer, Enttäuschung, Verärgerung und Gekränktheit.
Kommt ein neuer Gorbatschow?
Der Zerfall des kommunistischen Imperiums – wie auch anderer in der Vergangenheit – hatte eine eigene Dynamik, wie der Politologe Andrej Kolesnikow von der Denkfabrik Moskauer Carnegie Center feststellt. "Diesen Prozess des Zerfalls aufzuhalten, war unmöglich. Das ist die Logik der Geschichte." Zwar sähen die Geheimdienstler in Moskau in solchen Fällen stets die USA als Strippenzieher hinter den Kulissen. Sie glaubten nicht an eine eigene Kraft des Volkes.
Im heutigen autoritären politischen System unter Präsident Wladimir Putin seien Modernisierung, Demokratisierung und Liberalisierung wie unter Gorbatschow unmöglich, meint Kolesnikow. "Damit Veränderungen beginnen können, müssten der erste Mann im Staat und sein engster Kreis abtreten." Das Beispiel Gorbatschows schrecke die aktuellen Machthaber aber ab. Nach Jelzins Rücktritt in der Nacht zum Jahr 2000 habe Putin beinahe sofort damit begonnen, Russland einzufrieren. Erst ein neuer Gorbatschow könne das ändern.
Der Filmemacher Mansky äußert im Gespräch mit Gorbatschow in seiner Dokumentation die Ansicht, dass Russland unter Putin heute wieder eine Diktatur sei. Der frühere sowjetische Präsident, der einst mit seinen Reformen und seiner Politik von Glasnost dem Land und dem Ostblock samt DDR beispiellose Freiheiten brachte, sagt allerdings auch, er glaube weiter an eine Demokratiefähigkeit Russlands.
- Eigene Recherche
- Mária Huber: Moskau, 11. März 1985, München 2002
- Nachrichtenagentur dpa