Gedenken zum 75. Jahrestag Der verzweifelte Aufstand im Warschauer Getto
Vor 75 Jahren wehrten sich die Juden im Warschauer Getto gegen die Nazis. Der Aufstand wurde brutal niedergeschlagen. Zum Jahrestag lässt eine Künstlerin alte Zeiten wieder aufleben.
Aus Ruinen richtet sich die im Krieg zerstörte Große Synagoge von Warschau virtuell wieder an ihrem alten Standort auf. Mit dem Multimediaprojekt erinnert eine Künstlerin an den Widerstand mutiger jüdischer Getto-Bewohner gegen die Nazis vor 75 Jahren.
Von den Nazis in die Luft gesprengt, erstrahlt die Große Synagoge von Warschau 75 Jahre später wieder im Zentrum der Stadt. Der Gesang ihres einstigen Kantors Gershon Sirota hallt durch die Straßen. Allerdings nur für kurze Zeit.
Zum Jahrestag des Aufstands im Warschauer Getto bringt die Künstlerin Gabi von Seltmann die Synagoge als Multimediaprojektion an ihren früheren Standort zurück. Heute steht an der Stelle des jüdischen Gebetshauses ein fast 30-stöckiges Glashochhaus. In seinen Fenstern spiegelt sich nun die Große Synagoge und zieht die Blicke neugieriger Passanten auf sich.
"Viele Menschen wissen gar nicht mehr, dass hier einst die Synagoge stand", sagt von Seltmann. Sie wollte das ändern. Ihr Projekt entstand in Zusammenarbeit mit der sich gegen Antisemitismus engagierenden Organisation "Offene Republik" und mehreren jüdischen Institutionen Warschaus.
"Deswegen haben wir die Synagoge aus Archivmaterial wiederaufgebaut", sagt die Künstlerin. Für die virtuelle Rekonstruktion verwendete sie auch Fotos der Ruinen. Während der knapp sechsminütigen Projektion richtet sich das Gebäude aus dem Schutt wieder auf. "Es ist ein Projekt, das die Erinnerung wiederherbringen soll an den Ort und an die jüdische Gemeinschaft."
Heute vor 75 Jahren begann der Aufstand im Getto
Fast eine halbe Million Juden aus Warschau und Umgebung wurden während des Zweiten Weltkriegs im größten Getto der Nazis für die jüdische Bevölkerung eingesperrt. Es gab nur wenige Überlebende. Viele Menschen starben bereits in dem überfüllten Getto an Hunger oder Epidemien. Tausende wurden erschossen oder von den Nazis in Vernichtungslager deportiert.
Verzweifelt versuchten etwa 750 jüdische Aufständische schließlich, sich gegen die massenhafte Deportation in die NS-Todeslager zu wehren. Am 19. April 1943, also heute vor 75 Jahren, fielen die ersten Schüsse ihrer Rebellion, die als Symbol des jüdischen Widerstands in die Geschichte einging. Die jungen Männer und Frauen wollten lieber mit Würde und im Kampf statt in den Lagern sterben. Nach fast einem Monat scheiterten sie, die Deutschen waren zahlenmäßig weit überlegen.
Nach der blutigen Niederschlagung ihres Widerstands wurde die Synagoge auf Befehl von SS-Gruppenführer Jürgen Stroop zerstört. Zur symbolträchtigen Sprengung schrieb er am 16. Mai 1943 in seinem Tagesbericht: "Es gibt keinen jüdischen Wohnbezirk Warschau mehr." Doch der Kampfgeist der jüdischen Aufständischen wurde bereits während des Krieges über die Grenzen Polens hinaus bekannt.
Künstlerin von Seltmann, deren Großvater in Auschwitz starb, will mit ihrem Projekt ein positives Zeichen setzen. Obwohl die Synagoge nur an einigen Abenden wieder an ihrem alten Standort erscheinen wird, will die Polin ihre Landsleute langfristig bewegen. "Das Projekt soll berühren. Ich hoffe, dass dadurch bei den Menschen ein Gefühl geweckt wird, das für länger bleibt."
Umstrittenes neues Holocaust-Gesetz
Auch 75 Jahre später will Polen den Mut der Aufständischen ehren. Dazu werden Tausende Freiwillige in der ganzen Stadt gelbe Osterglocken aus Papier verteilen, die an den Judenstern erinnern. Marek Edelman, der letzte überlebende Anführer des Aufstands, legte sie jedes Jahr vor dem Denkmal der Getto-Kämpfer nieder, bis zu seinem Tod 2009.
Vor dem zentralen Ehrenmal sind in diesem Jahr Feierlichkeiten mit Präsident Andrzej Duda geplant. Viele polnische Organisationen lehnen die Teilnahme an der offiziellen Feier ab. Aus Protest gegen die Regierung soll eine eigene Gedenkfeier in Warschau stattfinden. Der geladene jüdischstämmige Professor Henryk Szlajfer hat die Einladung des Präsidenten in einem offenen Brief abgelehnt. "Die Tätigkeit des politischen Lagers des Präsidenten Widerspreche den Werten, für die die Aufständischen kämpften", schrieb er.
Das von der polnischen Regierung eingeführte umstrittene Holocaust-Gesetz hat die Regierung Israels sowie viele Juden auf der ganzen Welt verärgert. Die Vorschrift sieht strenge Strafen und sogar Haft für diejenigen vor, die dem polnischen Staat oder Volk die Verantwortung oder Mitverantwortung für Verbrechen des Nazi-Regimes zuschreiben. Damit wolle die Warschauer Regierung von Polen begangene Verbrechen vertuschen, bemängeln Kritiker.
- dpa
- Bericht von polityka.pl