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Ukraine-Krieg | Greift Belarus an? Putin könnte seinen Joker ziehen


Belarus zieht Truppen zusammen
Lukaschenko könnte es den Kopf kosten


26.08.2024Lesedauer: 5 Min.
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Wladimir Putin und Alexander Lukaschenko: Belarussische Truppenverlegungen sorgen für Nervosität in der Ukraine. (Quelle: IMAGO/Alexander Kazakov)

Die ukrainische Führung wirft Belarus vor, Soldaten und Panzer an der gemeinsamen Grenze zusammenzuziehen. Befiehlt Wladimir Putin nun dem belarussischen Machthaber Alexander Lukaschenko den Angriff auf die Ukraine?

Es gibt kaum einen anderen Staatschef, den Wladimir Putin in den vergangenen Jahren häufiger getroffen hat als ihn: Alexander Lukaschenko. Der belarussische Machthaber und der Kremlchef fahren gemeinsam Ski, spielen Eishockey oder spazieren durch russische Wälder. Damit wollen Putin und Lukaschenko vor allem die enge Verbundenheit zwischen Russland und Belarus demonstrieren. Doch das ist nur Fassade.

Belarus war seit dem Zerfall der Sowjetunion abhängig von Russland, aber Lukaschenko ist in den vergangenen Jahren immer mehr zu Putins Marionette geworden. Nach der gefälschten Wahl 2020 und den massiven gesellschaftlichen Protesten gegen sein Regime in Belarus, hielt ihn auch Putin an der Macht. Russland drohte mit einer militärischen Intervention, schickte Spezialeinheiten, um das belarussische Regime zu unterstützen. Seither ist Diktator Lukaschenko im Westen geächtet und vollends in den Fängen des Kremls.

Es war eigentlich nur eine Frage der Zeit, bis Putin Lukaschenko seine Unterstützung in Rechnung stellt – und die Rechnung kam mit dem Beginn der russischen Invasion in der Ukraine. Belarus wurde zum Aufmarschgebiet für den russischen Vorstoß in Richtung Kiew, von belarussischem Staatsgebiet flogen Raketen auf Ziele in der Ukraine. Und nun könnte Putin noch mehr fordern.

Denn Belarus zog Soldaten, Panzer und Flugabwehr in der Nähe der ukrainischen Grenze zusammen. Zwingt Putin das belarussische Regime, die Ukraine anzugreifen oder zumindest dem Kreml dabei zu helfen, die südrussische Region Kursk gegen die ukrainische Offensive zu verteidigen?

Lukaschenko möchte eigentlich in dem Krieg nicht intervenieren, denn das könnte ihm am Ende den Kopf kosten.

Ukraine droht dem belarussischen Regime

Die ukrainische Regierung bestätigte die belarussischen Truppenverlegungen erstmals am Sonntag. Nach Angaben des Außenministeriums in Kiew wurden in der Region Gomel in Belarus neue Einheiten mit Panzern, Artillerie und Flugabwehr beobachtet. Daneben seien auch Söldner der ehemaligen russischen Wagner-Truppe erkannt worden.

Das ukrainische Außenministerium rief die Verantwortlichen in Minsk auf, "unter dem Druck Moskaus keine für das eigene Land tragischen Fehler zu begehen" und die Truppen auf eine angemessene Entfernung von der gemeinsamen Grenze zurückzuziehen. Kiew betonte zugleich, "keine wie auch immer gearteten feindlichen Aktionen" gegen das belarussische Volk zu planen.

Die deutliche Drohung gegenüber dem Nachbarland zeigt, dass die Nerven in Kiew schon jetzt blank liegen. Sollte Belarus wirklich in dem Krieg angreifen, würde das die Front weiter überdehnen und die ukrainischen Verteidiger müssten im Norden Truppen einsetzen, die an anderen Frontabschnitten dringend benötigt werden. Zudem ist noch immer unklar, welches Motiv der belarussische Diktator mit diesem Manöver verfolgen würde.

Lukaschenko hatte erst vor wenigen Tagen zwar die Truppenverstärkungen in Richtung der Grenze zur Ukraine angekündigt. Aber als Grund dafür nannte er umgekehrt starke Truppenansammlungen auf ukrainischer Seite. Dort habe die Ukraine bis zu 120.000 Soldaten stationiert, behauptete er. Doch Belege dafür gibt es nicht.

Ohnehin kann das nicht der eigentliche Grund für die belarussischen Truppenbewegungen sein, denn die ukrainische Armee würde wahrscheinlich nicht mitten im Krieg mit Russland Belarus angreifen. Denn trotz der politischen Unterstützung für Putin spielte Minsk bisher keine aktive Rolle in dem Krieg.

Lukaschenkos Angst vor der Meuterei

Ob sich das nun ändert, hängt in erster Linie von der Strategie des Kremls ab. Denn nicht nur für Lukaschenko wäre ein offizieller Kriegseintritt sehr risikoreich, sondern auch für Russland.

Es ist fraglich, ob die belarussische Armee überhaupt kämpfen würde. In den vergangenen Jahren gab es immer wieder Gerüchte, dass Belarus die Ukraine angreifen könnte. Allerdings gab es auch immer wieder Berichte über meuternde Militärs in Belarus. Auch gibt es belarussische Söldner, die an der Seite der Verteidiger in der Ukraine gegen Russland kämpfen.

Lukaschenko weiß: Wenn er sein Land in diesen Krieg zieht, könnte das sein politisches Ende sein. Sein Regime ist zwar dank der russischen Unterstützung an der Macht, doch es steht auf tönernen Füßen. Eine Mehrheit der Gesellschaft in Belarus befürwortet eine Unabhängigkeit von Russland und steht im Kampf gegen die ehemalige Kolonialmacht eher an der Seite der Ukraine. Deshalb gibt es in Belarus aktive Partisanengruppen, die Infrastruktur wie Bahnschienen angreifen, um die russische Kriegslogistik zu verlangsamen. Und Lukaschenko verzichtete zumindest öffentlich darauf, in dem Informationskrieg als Sprachrohr des Kremls zu agieren.

Im Gegenteil. Für den belarussischen Machthaber, der vor allem um seine eigene Macht bangt, ist dieser Konflikt ein Albtraum. Er startete Vermittlungsversuche, sprach sich erst im vergangenen Jahr für eine Waffenruhe aus. Der Kreml lehnte ab. Außerdem streckte Lukaschenko in den vergangenen Monaten dem Westen gegenüber mit Visaerleichterungen für Bürger aus westlichen Staaten die Hand aus. Davor hatten die USA, Kanada oder Großbritannien neue Sanktionen gegen Belarus verhängt, die das Land seitdem empfindlich treffen.

Bislang waren diese diplomatischen Vorstöße nicht erfolgreich, denn eine Entspannung zwischen dem Westen und Belarus wird es mit Lukaschenko wahrscheinlich nicht geben. Deswegen ließ er in diesem Jahr auch die Information streuen, dass er sich aus gesundheitlichen Gründen zurückziehen könnte. Doch Experten sehen darin ein Manöver und sie attestieren Lukaschenko Versuche, seine möglichen Nachfolger trotzdem kontrollieren zu wollen.

Belarus wäre militärisch keine große Hilfe

Während das Regime in Belarus also bislang mit diesem Krieg haderte, hätte ein belarussischer Angriff auch für Putin viele Nachteile. Belarus verfügt – Stand 2020 – über gerade einmal 45.000 aktive Soldaten und könnte im Ernstfall noch auf bis zu 300.000 Reservisten zurückgreifen. Das ist nicht viel.

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Sollte die belarussische Armee bei einem Angriffsbefehl meutern und Lukaschenkos Regime ins Wanken geraten, hätte auf einmal nicht die ukrainische Armee eine neue Front, um die sie sich kümmern müsste. Putin müsste sich dann aus seiner Perspektive um ein weiteres Land in seinem Einzugsfeld kümmern. Zudem könnte sich auch Polen im Falle eines belarussischen Kriegseintritts gedrängt fühlen, sich in der Ukraine direkter militärisch zu engagieren.

Für Putin wäre all das ein strategisches Fiasko – und das Risiko, das mit einem belarussischen Angriff verbunden wäre, stünde in keiner Relation zu dem tatsächlichen Effekt, den Lukaschenkos Truppen auf den Gefechtsfeldern der Ukraine erzielen könnten.

Ablenkungsmanöver oder Einsatz in Kursk?

Auch deshalb geht es für die Ukraine und den Westen zunächst einmal um Geduld, um Lukaschenkos Pläne besser einschätzen zu können. Mit der Truppenverlegung in Belarus könnten Lukaschenko und Putin mehrere strategische Ziele verfolgen:

Einerseits könnte es ein Ablenkungsmanöver sein, um ukrainische Verbände im Norden des Landes zu binden. Es liegt auf der Hand, dass Kiew auf eine mögliche Bedrohung im Norden reagieren müsste. Da die Ukraine diese Soldaten eigentlich im Donbass oder in der russischen Region Kursk benötigt, hätte Moskau sein Ziel schon jetzt erreicht – die Ukraine ist durch die Truppenverlegung geschwächt.

Andererseits dürfte Putin nach dem ukrainischen Angriff auf Südrussland auf Rache aus sein und sein Staatsgebiet schnellstmöglich zurückerobern wollen, um nicht schwach zu wirken, weil er sein eigenes Staatsgebiet nicht verteidigen kann. Um Kursk zurückzuerobern und möglicherweise eingeschlossene russische Truppen zu befreien, wäre es für Russland kurzfristig strategisch sinnvoll, belarussische Truppen in Russland einzusetzen. Denn diese stehen jetzt schon bereit, müssen nicht mehr ausgebildet werden.

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In Kiew ist man sich dieser Gefahr bewusst und droht deshalb schon jetzt mit dem Angriff auf Ziele in Belarus. Doch ob die Ukraine das tatsächlich umsetzen würde, ist fraglich – denn auch die ukrainische Armee muss Ressourcen sparen.

Eines ist klar: Über einen möglichen Angriffsbefehl entscheidet nicht Lukaschenko. Sondern es ist Putin, der eventuell schon entschieden hat, ob er seinen Joker Belarus zieht oder ob er es bei der aktuellen Drohung belässt.

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