Bedeutung des AKW Saporischschja Die technische Geisel Russlands
Immer wieder kommt es zu Vorfällen im AKW Saporischschja. Die von Russland kontrollierte Anlage in der Ukraine spielt im Krieg eine besondere Rolle.
Nach einem Feuer im Atomkraftwerk Saporischschja ist der Brand zwar gelöscht, die Beschuldigungen von Russland und der Ukraine gehen aber weiter. Beide machen einander für die Flammen in einem Kühlsystem verantwortlich. Ein Kühlturm wurde dabei schwer beschädigt. Noch steht aber nicht fest, ob er repariert werden kann oder ersetzt werden muss.
Es geht aktuell aber wohl keine Gefahr von dort aus, erhöhte Strahlung wurde in der Umgebung nicht festgestellt. Doch ist es nicht das erste Mal, dass es zu Angriffen auf das AKW kommt. Russland hat das Kernkraftwerk im südukrainischen Enerhodar kurz nach Beginn seines Angriffskriegs erobert und hält es seither besetzt. Auch wenn die Reaktoren bereits 2022 heruntergefahren wurden, spielt das AKW nach wie vor eine besondere Rolle im Ukraine-Krieg. t-online beantwortet die wichtigsten Fragen zu dem Kernkraftwerk.
Was sind die wichtigsten Daten über das AKW Saporischschja?
Die Anlage in Saporischschja ist das größte Kernkraftwerk in ganz Europa und besitzt sechs 1.000-Megawatt-Druckwasserreaktoren. Früher deckte es ein Fünftel des ukrainischen Stromverbrauchs ab. Es befindet sich seit März 2022 unter russischer Kontrolle. Die Reaktoren wurden wegen dauerhaftem ukrainischem Beschuss im September 2022 heruntergefahren und sind seit Juni 2023 komplett abgeschaltet. Die Brennstäbe müssen allerdings weiterhin gekühlt werden.
Die Internationale Atomenergiebehörde IAEO war zeitweise mit Beobachtern vor Ort und weist immer wieder auf die ernsthaften Gefahren hin, denen das Kernkraftwerk weiterhin ausgesetzt ist.
Das AKW befindet sich am südlichen Ufer des Flusses Dnipro, der hier die Frontlinie bildet. Auf der anderen Seite liegt die Stadt Nikopol, die unter ukrainischer Kontrolle steht.
Welche Rolle spielt das AKW Saporischschja im Ukraine-Krieg?
Seit der russischen Übernahme ist das Kraftwerk eine Art technische Geisel Russlands. Die Besatzer profitieren zwar nicht mehr von der Stromversorgung, wollen das AKW aber nicht aufgeben. Eine Befreiung durch die Ukraine ist derweil mit hohen Risiken auch für die eigene Bevölkerung verbunden. Sollte das Kraftwerk ernsthaft beschädigt werden, droht eine enorme Strahlenbelastung für das gesamte Land und weit darüber hinaus.
"Solange die russischen Terroristen das Nuklearkraftwerk kontrollieren, ist und kann die Lage nicht normal sein", erklärte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj nach dem jüngsten Brand.
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Russland nutzt das Kernkraftwerk und die Kraftwerksstadt Enerhodar aber auch für andere Zwecke. So sollen dort nach ukrainischen Angaben offenbar Menschen verhaftet und gefoltert werden. "Etwa 200 Leute sind bereits inhaftiert worden, von einigen wissen wir nicht, was mit ihnen passiert ist, es gibt keinen Hinweis, wo sie sind", sagte Petro Kotin, Präsident von Energoatom, den Zeitungen der Funke Mediengruppe im September 2022.
Die staatliche ukrainische Betreibergesellschaft Energoatom befürchtet darüber hinaus, dass Russland das AKW langfristig an das Stromnetz der 2014 annektierten Krim anschließen will.
Welche Gefahr geht von dem Atomkraftwerk aus?
Die Druckwasserreaktoren des AKW sind durch eine dicke Stahlbetonschicht geschützt. Damit sollen sie sowohl den Absturz von kleinen Flugzeugen als auch Explosionen im Inneren überstehen können. Auch eine ernsthafte Beschädigung durch Sprengsätze oder Artilleriebeschuss ist wohl nur schwer möglich.
Durch Beschuss gefährdet ist jedoch das nahe der Reaktoren befindliche Atommüllzwischenlager. Über 170 Behälter aus Beton stehen unter freiem Himmel und würden bei einem Artillerieangriff zur Schwachstelle werden. Die Folgen wären dabei jedoch örtlich begrenzt.
Generell besteht aber weiterhin Gefahr. Auch wenn hier keine Kernspaltung mehr läuft, produzieren die Brennstäbe im AKW trotzdem radioaktive Strahlung und erzeugen Hitze. Nach dem jüngsten Brand sind die Strahlenwerte in der Region weiterhin normal. Größte Gefahr wäre wohl eine Unterbrechung der Stromversorgung. Allerdings besitzt das Kraftwerk mehrere Notstromversorgungen, die bei solchen Ausfällen eingreifen. Dies ist in der Vergangenheit bereits mehrfach geschehen.
Doch die Dieselgeneratoren könnten den Energiebedarf der Anlage nur für zehn Tage decken, erklärte der Energiekonzern Energoatom mit. Falls es einmal nicht gelingen sollte, die externe Stromversorgung des Kraftwerks in dieser Zeit zu erneuern, könne es zu einem "Unfall mit Folgen für die ganze Welt kommen".
Welche Angriffe auf das AKW Saporischschja gab es bereits?
Es gab bereits zahlreiche Angriffe auf das Atomkraftwerk. Am kritischsten war die Situation nach der Zerstörung des Kachowka-Staudamms. Damals verlor das AKW seine Kühlwasserzufuhr.
Im April gab es dann einen Angriff mit mehreren Kampfdrohnen. Europas größtes Kernkraftwerk sei laut der IAEO zum ersten Mal seit November 2022 direktes Ziel einer Militäraktion gewesen. Seitdem wirft Russland der Ukraine immer wieder Drohnenangriffe auf das Kraftwerk vor, so auch nach dem jüngsten Zwischenfall. Erst im Juni wurde eine externe Station zur Strahlungsüberwachung durch Beschuss und Feuer zerstört.
- Mit Material der Nachrichtenagentur dpa
- base.bund.de: "Zur aktuellen Situation in der Ukraine"