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Prigoschin auf Achse: Wie der Wagner-Chef durch Russland turnt


Russland-Tournee statt Exil in Belarus
Prigoschin auf Achse

Von t-online, cry

Aktualisiert am 09.07.2023Lesedauer: 4 Min.
imago images 0258536011Vergrößern des BildesWagner-Chef Jewgeni Prigoschin ist auf Russland-Tournee statt im belarussischen Exil. Das dürfte Präsident Putin nicht gerade fröhlich stimmen. (Quelle: IMAGO/Elena Kopylova)

Keine Woche hat es den Söldnerchef im belarussischen Exil gehalten. Seit dem Wochenende soll er zurück in Russland sein und könnte damit gegen Putins wichtigste Bedingung verstoßen. Wie kann das sein?

Wer als Gegner des Kreml gilt, wird in Russland häufig nicht alt. Daher lasen es viele Beobachter als Schwäche von Präsident Wladimir Putin, dass er den abtrünnigen Wagner-Chef Jewgeni Prigoschin ins Exil nach Belarus fliegen ließ. Immerhin hatte der Söldnerführer seine Privatarmee vor zwei Wochen gegen die russische Militärführung aufmarschieren lassen.

Nach wenigen Tagen in Minsk zog es Prigoschin allerdings wohl schon am vergangenen Wochenende zurück in die Heimat – wo über seinem Aufenthaltsort nun ein großes Fragezeichen schwebt.

Weder der Kreml noch der belarussische Präsident Alexander Lukaschenko, der die Exil-Vereinbarung zwischen Prigoschin und Putin vermittelt haben will, wissen nach eigenen Angaben, wo der Söldnerchef sich aufhält. Fest stehe, dass weder Prigoschin noch seine Wagner-Truppen sich zurzeit in Belarus befänden, bekräftige Lukaschenko am Mittwoch. Er bestritt jedoch, dass der Deal inzwischen geplatzt sei.

Aus Moskau heißt es derweil, man verfolge die Bewegungen von Prigoschin nicht und habe daran auch gar kein Interesse – eine Aussage, die Experten der Denkfabrik Institute for the Study of War (ISW) für "absurd" halten. Schließlich können der Geheimdienst FSB und die Polizei ihn auf russischem Gebiet jederzeit festnehmen oder seine Bewegungsfreiheit einschränken, sofern er gegen den Exil-Deal verstoße. Was genau darin steht, ist jedoch weiterhin nicht öffentlich bekannt.

Moskau, St. Petersburg und dann gen Süden

Russischen Medienberichten zufolge war Prigoschin bereits am vergangenen Samstag in Moskau gelandet und tauchte am Dienstag im mehr als 600 Kilometer entfernten St. Petersburg auf. Dort soll er seine persönliche Waffensammlung sowie mehr als 100 Millionen US-Dollar Bargeld und zahlreiche Goldbarren abgeholt haben, die zuvor vom FSB beschlagnahmt worden waren.

Video | Verstörende Bilder aus Prigoschin-Villa aufgetaucht
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Quelle: t-online

Bisher konnten diese Berichte noch nicht unabhängig verifiziert werden. Laut Einschätzung des ISW wäre es für den Kreml hochgradig unvernünftig, den Söldnerchef mit Waffen und großen Geldsummen auszustatten und ihn frei durchs Land ziehen zu lassen.

Dennoch: Am Donnerstag soll die Reise des Wagner-Chefs nach Informationen eines Oppositionsmediums bereits weitergegangen sein. Demnach ist er momentan im Süden des Landes, genauer in Rostow am Don.

Dort hatte die Meuterei seiner Wagner-Kämpfer vor zwei Wochen begonnen – die Söldner besetzten im Auftrag Prigoschins in der Stadt das südliche Militärhauptquartier Russlands, von dem aus auch der Krieg gegen die Ukraine koordiniert wird. Videoaufnahmen zeigen, wie Zivilisten der Privatarmee anscheinend zujubelten. Auch wenn der einstige Aufrührer momentan möglicherweise unbehelligt von Moskau am Ort seiner jüngsten Glanzstunde weilt, ist der Kreml wohl längst anderweitig gegen ihn aktiv.

Vom Kommandogeber zum Clown?

Beim ISW geht man davon aus, dass die anscheinende Freizügigkeit von Prigoschin darauf hindeuten könnte, dass er weiterhin gewisse Sicherheitsgarantien des Kremls genießt. Oder aber: Es könnte dem autokratischen Regime aktuell schlicht wichtiger sein, den Ruf des Wagner-Chefs zu zerstören, als ihn körperlich anzugreifen oder vor Gericht zu stellen.

Putin habe "wahrscheinlich beschlossen, dass er Prigoschin nicht direkt beseitigen kann, ohne ihn zum Märtyrer zu machen", vermutete das ISW bereits kurz nach dem Aufstand. Prigoschin hatte das russische Verteidigungsministerium in den vergangenen Monaten wiederholt sehr stark für Fehlentscheidungen zur Kriegsstrategie gegen die Ukraine, fehlende Munition und eine elitäre Abgehobenheit von der Realität an der Front kritisiert. Sowohl in der russischen Bevölkerung als auch in der Armee und bei Militärbloggern hatte ihm dies recht große Sympathien beschert.

Angesichts dessen scheint sich der Kreml inzwischen für eine Rufmord-Kampagne zulasten Prigoschins entschieden zu haben. Diese zielt darauf ab, den Wagner-Anführer als korrupten Lügner darzustellen. Das hat eine Analyse russischer Staatsmedien durch das ISW ergeben.

Seit dem Wagner-Aufstand haben Fernsehsender demnach ausgiebig über Razzien des Geheimdienstes in Prigoschins Büros und Privathäusern berichtet und den Fokus dabei auf seine Immobilien und sein Vermögen gelegt. Ein TV-Moderator habe beispielsweise sarkastisch vom "Palast des Korruptionsbekämpfers" gesprochen.

Auch durchgestochene Videoaufnahmen der Razzia in Prigoschins Landsitz nahe St. Petersburg kursierten in den vergangenen Tagen im Internet und flimmerten über russische Fernsehbildschirme. Sie zeigen nicht nur einen Indoor-Pool und einen Landeplatz für Helikopter, sondern auch eine angebliche Perücken-Kollektion sowie Fotos eines verkleideten Prigoschin mit unterschiedlichen Bärten, Haarteilen und Brillen.

Dazu mehrere gefälschte Pässe und eine Foto-Collage abgeschlagener menschlicher Köpfe an einer Wohnzimmerwand. Auch heißt es, in der Villa sei Rauschgift gefunden worden.

Ob die Filmaufnahmen echt sind und die Gegenstände tatsächlich aus dem Besitz von Prigoschin stammen, lässt sich bislang nicht klären.

Kritik auch von Militärbloggern

Es mag kaum überraschen, dass Wagner-nahe Militärblogs und Telegram-Kanäle dem Regime vorwerfen, den Wagner-Chef mit Falschbehauptungen an den Pranger zu stellen. Doch Gegenwind kommt auch von Kreml-nahen Bloggern.

Mehrere russische Ultranationalisten kritisieren laut ISW die mutmaßliche Propagandastrategie des Innenministeriums. So sei beispielsweise das Fazit eines regimenahen Militärbloggers: Prigoschins Landsitz sei eben das Zuhause eines wohlhabenden Mannes, aber längst nicht so verschwenderisch wie die Villen anderer russischer Milliardäre.

Die Rechnung des Kreml scheint also nicht ganz aufzugehen. Möglicherweise könnte Prigoschins Ansehen in der russischen Gesellschaft langfristig eine bessere Sicherheitsgarantie für ihn sein als Versprechen von Putin.

Verwendete Quellen
  • understandingwar.com: Russian Offensive Campaign Assessment, July 6, 2023
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