Selenskyjs USA-Reise Kritik an ARD-Kommentar: "Gehässiger Ton irritiert mich"
Ein "Tagesthemen"-Kommentar zu Selenskyjs Besuch in Washington erregt das Netz: War sein Treffen mit US-Präsident Biden wirklich nur "Symbolik"?
Es war eine viel beachtete Reise, manche sprachen gar von einer kleinen Sensation: Überraschend hat sich am Mittwoch der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj mit US-Präsident Joe Biden in Washington getroffen und vor dem Kongress der Vereinigten Staaten eine flammende Rede gehalten. Wichtigstes Ergebnis der Visite: Die USA liefern der Ukraine ein Flugabwehrsystem vom Typ Patriot, mit dem sich die Ukraine gegen die Luftangriffe Russlands verteidigen kann. Hier lesen Sie mehr dazu.
Doch nicht alle halten deshalb gleich viel von dem Schritt. In einem Kommentar für die ARD-"Tagesthemen" etwa fand Gudrun Engel – Leiterin des ARD-Büros in Washington – ganz andere Worte für den Besuch – und erntete dafür im Internet viel Kritik.
"Diese Reise nach Washington von Selenskyj, sie ist ein Akt der Verzweiflung", kommentierte Engel. Bislang habe sich der ukrainische Präsident online per Videotelefonat durch die Parlamente geschaltet. "Das reicht nun offenbar nicht mehr. Also ist er in die USA geflogen, zu seinem Hauptgeldgeber." Jetzt, kurz vor Weihnachten, seien das für alle Beteiligten "gute Bilder" gewesen, das Signal an Russland und die ukrainische Bevölkerung eindeutig: Amerika stehe fest an der Seite der Ukraine.
Scharfe Kritik aus der Politik am Kommentar
"Doch ob Biden, ob die USA, dieses Versprechen wirklich halten, das zweifle ich an", so Engel weiter. Noch mehr Geld müsste zunächst erst genehmigt werden. Zudem sei das eine Patriot-System, das die USA nun liefern wollen, bei Weitem kein Wendepunkt im Kriegsverlauf – zumal Russland sogleich weitere Angriffe ankündigte. Das Fazit der WDR-Redakteurin: "Für diese Reise hat Selenskyj also sein Leben riskiert. Aber sie bringt vermutlich nur Symbolik und hat die Welt keinen Meter näher an ein Ende des Krieges gebracht."
Im Netz wollten viele Nutzer diese Meinung so nicht stehen lassen. Insbesondere beim Kurznachrichtendienst Twitter echauffierten sich viele über die Wortwahl und den Tonfall Engels.
Der ukrainische Botschafter in Deutschland, Oleksii Makeiev, etwa postete ein Emoji, der symbolisiert, dass sich jemand die Hand vor den Kopf schlägt.
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Der außenpolitische Sprecher der FDP-Fraktion im Bundestag, Ulrich Lechte, warf der Kommentatorin "Anmaßung" vor, wenn sie von Verzweiflung auf ukrainischer Seite spreche: "Das ist schon sehr viel subjektive Meinung und ganz wenig Tatsachen."
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Auch der Europaabgeordnete Sergey Lagodinsky (Grüne), der sich in Brüssel stark für die Ukraine einsetzt, kritisierte die Wortwahl, schrieb auf Twitter: "Diese Reise ist – ganz im Gegenteil – ein Zeichen der (versuchten) Normalisierung."
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Weitere Nutzer belehrten Engel in Sachen Diplomatie und Außenpolitik. Mattia Nelles etwa twitterte: "Symbolik und kommunikative Elemente sind in der Außenpolitik zentral- gerade für die Ukraine." Der Besuch sei für ihn kein "Akt der Verzweiflung", sondern von großer Bedeutung, die große Unterstützung auszubauen. "Der gehässige Ton des Kommentars irritiert mich."
Und der bekannte Ökonom Jan Schnellenbach schrieb: "Unpolitisch, ahistorisch, eigentlich ungebildet."
- ARD-"Tagesthemen": Kommentar von Gudrun Engel
- Twitter-Profile von Oleksii Makeiev, Ulrich Lechte, Sergey Lagodinsky, Matthias Nelles und Jan Schnellenbach