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Ukraine droht Energiekatastrophe – diese Szenarien drohen nach Russlands Angriffen


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Attacken auf Stromnetz
Jetzt droht der Ukraine die Energiekatastrophe


Aktualisiert am 23.10.2022Lesedauer: 6 Min.
Ukraine-Krieg: Der andauernde Beschuss ukrainischer Energieanlagen könnte einen kalten Winter bescheren. (Quelle: Glomex)
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Die kalte Jahreszeit steht an und Russland beschießt in der Ukraine gezielt Kraftwerke und Versorgungsleitungen. Die Folgen könnten dramatisch sein.

Seit Tagen greift Russland die Energieversorgung der Ukraine an. Besonders Kraftwerke und Stromleitungen nimmt Putins Armee unter Beschuss, etwa 40 Prozent der Energie-Infrastruktur des Landes sollen bereits zerstört sein.

Die kriegsgebeutelte Ukraine stellt das vor dem Winter vor eine große Herausforderung: Häuser müssen beheizt, Wasser muss in Wohnungen transportiert werden – doch immer wieder ist das Energienetz gekappt. Wie geht es nun weiter? t-online beantwortet die wichtigsten Fragen.

Wie ist die aktuelle Lage?

Zurzeit extrem angespannt. Die russische Armee greift mit Raketen und Drohnen gezielt ukrainische Energie-Infrastruktur an. Etliche Kraftwerke, Umspannwerke, Übertragungsnetze, Leitungen und Infrastrukturgebäude wurden beschädigt oder komplett zerstört.

Nach jüngsten Angaben der Regierung in Kiew wurden in den vergangenen Tagen 30 bis 40 Prozent der gesamten Energie-Infrastruktur des Landes beschädigt. Russland habe seit dem 10. Oktober mehr als 300 Luftangriffe auf ukrainische Energieanlagen geflogen.

"Wir können durchaus vor einer Situation stehen, in der wir Wochen oder sogar Monate ohne Wasser, ohne Licht und Wärme oder mit großen Einschränkungen sitzen werden", sagte der Berater im Präsidialamt in Kiew, Olexij Arestowytsch, am Donnerstagabend.

Wo ist die Situation besonders kritisch?

Fast überall. Denn die Angriffe beschränken sich nicht mehr auf einzelne Gebiete, sondern werden aus allen Landesteilen gemeldet. Besonders betroffen ist demnach das Stromnetz.

Hunderttausende Menschen sind von der kritischen Infrastruktur abgeschnitten. Am Montag meldete der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj, dass in Hunderten Dörfern und Städten der Strom ausgefallen sei.

Allein in den von der Ukraine zurückeroberten Gebieten um Charkiw sind Schätzungen zufolge rund 140.000 Menschen auf humanitäre Hilfe angewiesen. Die Vereinten Nationen berichten, dass Millionen Menschen keine Möglichkeiten mehr hätten zu kochen.

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Allein die ukrainische Hauptstadt wurde zuletzt dreimal getroffen: Russische Raketen schlugen ukrainischen Angaben zufolge in Energieversorgungseinrichtungen im ländlicheren Kiewer Stadtteil Desnyansky ein. Dutzende Strom- und Wasserleitungen, Kraftwerke, Pumpstationen und Heizkraftwerke wurden beschädigt. Das Stromnetz kam zeitweise zum Erliegen.

In Schytomyr, knapp 150 Kilometer westlich von Kiew, fielen nach Angriffen der Strom und die Wasserversorgung aus. In der südöstlich gelegenen Stadt Dnipro, einer wichtigen Finanz- und Industriestadt der Region Dnipropetrowsk, gab es zwei Einschläge auf Energiestationen. Große Schäden nach einem russischen Angriff wurden auch an einem Wärmekraftwerk in Burschtyn im Westen nahe der polnischen Grenze gemeldet.

Die ukrainische Zeitung "Kyiv Independent" berichtete am Donnerstag, dass in der nordöstlichen Region Sumy, in der rund eine Million Menschen leben, durch Angriffe die Wasserversorgung gekappt worden sei. Hier zeigten sich außerdem im Stadtbild die Auswirkungen russischer Attacken: Weder der öffentliche Nahverkehr noch die Straßenbeleuchtung funktionierten.

Darüber hinaus ist die Lage im Atomkraftwerk von Saporischschja, das essenziell für die Energieversorgung der Südukraine ist, weiter besonders heikel. Das AKW ist von Russland besetzt, die ukrainischen Mitarbeitenden müssen unter den Okkupanten den Betrieb aufrechterhalten. Hochspannungsleitungen von dort führen zur Versorgung in mehrere Landesgebiete, werden aber ebenfalls teilweise angegriffen und lahmgelegt.

Das Sicherheitslevel sei nie so gering gewesen wie in der derzeitigen Situation, warnte Direktor Igor Muraschov jüngst in einem Interview. Neben dem Ausfall der Stromerzeugung herrscht die Furcht vor einem nuklearen GAU infolge eines Angriffs. Mehr dazu lesen Sie hier.

Was unternimmt die Ukraine nun?

Als Reaktion auf die starken Angriffe will die ukrainische Regierung landesweit den Energieverbrauch um 20 Prozent reduzieren. Dafür schaltet sie nun selbst landesweit Versorgungsanlagen ab.

Am Donnerstag und Freitag etwa wurde in Städten und Orten planmäßig für vier Stunden der Strom abgeschaltet. Menschen können online einsehen, wann der Strom wo gekappt wird, auf Telegram tauschen sie sich rege dazu aus. Unterdessen ändert sich vielerorts auch das Stadtbild: Unternehmen schalten beleuchtete Banner ab, Werbetafeln werden nachts nicht mehr beleuchtet.

Zugleich bittet die Regierung ihre Bürger, Energie zu sparen. Zwischen 7 Uhr morgens und 23 Uhr abends sollen die Ukrainer demnach deutlich weniger Strom verbrauchen. Präsident Selenskyj und das Energieministerium appellieren an die Menschen, so dem Land zu helfen.

Auf Twitter schreibt das Energieministerium: "Vermeiden Sie die Verwendung energieintensiver Elektrogeräte während der Stoßzeiten." Ein Schaubild listet entsprechende Geräte auf. Demnach soll man Waschmaschinen zwischen 23 und 6 Uhr nutzen, die Heizung zwischen 9 und 17 Uhr nur eingeschränkt.

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Aus verschiedenen Städten ist allerdings zu hören, dass der Strom auch unplanmäßig immer wieder ausfällt oder die Wasserversorgung gekappt ist. Eine Ukrainerin, die am 9. Oktober nach Österreich floh, berichtet t-online, die Energieversorgung sei jetzt ein großes Thema bei Familien in der Ukraine. Auch bei ihrer, die zurückbleiben musste. Bei ihrem Großvater in der Ostukraine bleibe der Strom für mehrere Stunden am Tag aus. Die Sorge vor Verschlechterungen im Winter sei groß.

Ihre Familie, die teils in der Zentralukraine lebt, bereite sich auf die kalte Jahreszeit vor, indem sie einen alten Boiler repariere, Vorräte anlege und warme Kleidung sammele. Ihr Vater habe Holz gekauft, um das Haus ihrer Großmutter über den Winter heizen zu können. "Und das im 21. Jahrhundert", sagt sie. "Das ist absurd." Als Nächstes wolle die Familie einen Generator anschaffen.

Parallel läuft in der gesamten Ukraine die Rekonstruktion zerstörter Energieanlagen. Am 8. Oktober zum Beispiel gelang es ukrainischen Fachleuten, eine der wichtigen beschädigten 750-kV-Hochspannungsleitungen des Atomkraftwerks von Saporischschja zu reparieren.

Welche Szenarien drohen in der Ukraine?

Die Vereinten Nationen befürchten eine humanitäre Katastrophe in der Ukraine, sollte im Winter die Energie-Infrastruktur weitgehend zerstört sein. Hunderttausende Menschen hätten kaum Zugang zu Nahrungsmitteln, Wasser, Gas, Strom und medizinischer Versorgung, heißt es von der Koordinatorin des UN-Programms für humanitäre Hilfe für die Ukraine, Denise Brown. Ohne Strom und Heizung würden viele Menschen wahrscheinlich erfrieren.

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Es wird erwartet, dass sich auch deswegen wieder mehr Menschen auf den Weg in sicherere Länder machen werden. Im ukrainischen Nachbarland Polen könnte die Zahl der neuen Geflüchteten aus der Ukraine bis Jahresende nach Schätzungen der Vereinten Nationen 500.000 bis 750.000 betragen. Die Hälfte könnte demnach in Polen bleiben, die anderen in andere europäische Länder weiterziehen. Rumänien, Moldau und Deutschland rechnen ebenfalls wieder mit mehr Menschen aus der Ukraine.

Wie hilft der Westen – und was macht Deutschland?

Organisationen wie die Vereinten Nationen sowie viele Staaten, darunter die USA und Länder der EU, helfen der Ukraine beim Wiederaufbau zerstörter Anlagen. Es werden Geräte und Ausrüstung für die Energieversorgung geliefert. Ukrainische Diplomaten hatten in der Vergangenheit eindringlich um Generatoren, deren Komponenten und Ersatzteile gebeten.

Außerdem geht die humanitäre Hilfe über Nichtregierungsorganisationen weiter, die warme Kleidung, Wasser oder Unterkünfte bereitstellen. Aus Deutschland kommt neben den viel diskutierten Waffen auch humanitäre Hilfe und Wiederaufbauhilfe, etwa vom Technischen Hilfswerk (THW).

Man liefere beim Wiederaufbau der Infrastruktur Wassertanker, Kühltransporter und Feldkochherde, teilt das THW auf Anfrage von t-online am Donnerstag mit. Der Einsatz in der Ukraine sei einer der größten überhaupt für das Hilfswerk und umfasse ein Volumen von mehr als 40 Millionen Euro. Zum Winter würden nun Heizgeräte, Generatoren und dicke Schlafsäcke beschafft.

Wie können wir helfen, wenn wir selbst Energie sparen sollen?

Rouven Stubbe, Energieökonom und Experte für Energie- und Klimapolitik in der Ukraine bei "Berlin Economics", entgegnet auf diese Frage: "Die Bedarfe unterscheiden sich deutlich. Die Krise in Deutschland ist eine Krise auf dem Gasmarkt, auch wenn diese sich auf den Strommarkt auswirkt. Doch unser Problem ist der Gasmangel – bei uns wird nicht massiv Infrastruktur zerstört, unser System ist intakt. Transformatoren, Leitungen oder Generatoren können wir liefern, definitiv."

Zudem sei denkbar, dass die EU und Deutschland Strom, der auf dem europäischen Markt derzeit eigentlich zu teuer für die Ukraine ist, mit finanzieller Hilfe für die Ukraine verbilligt. Dann könnte der Export des Stroms dem Land helfen.

Außerdem könnte die Bundesregierung Netzbetreibern und anderen Energieunternehmen entgegenkommen, wenn diese Equipment und Know-how in die Ukraine schicken, was bereits auf Eigeninitiative geschehe, sagt Stubbe. Finanzielle Kompensationen könnten Anreiz sein, noch mehr Ausrüstung zum Wiederaufbau zu entsenden.

Stubbe gibt jedoch eines zu bedenken: Neben dem Stromnetz ist auch die Gasversorgung in der Ukraine potenziell unsicher. Die Ukraine nutzt Gas, das beispielsweise die Slowakei aus Russland bezieht und über die Ukraine ausführen lässt, in Teilen für sich.

Bei einem Stopp dieses Transits über die Ukraine könnte der Aggressor dem Land noch mehr schaden. Dann, sagt Stubbe, müsse auch in der EU und in Deutschland darüber nachgedacht werden, unter Berücksichtigung der Versorgungslage und in Zeiten eigener Gasknappheit Gas in die Ukraine zu liefern – wenn man eine noch größere humanitäre Katastrophe abwenden wolle.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherchen
  • Telefongespräch mit Rouven Stubbe am 21.10.2022
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