Die Nacht im Überblick Einschläge in Charkiw – Türkei nährt Hoffnung auf Verhandlungen
Ein Dreiergipfel könnte den Weg zu neuen Verhandlungen ebnen. In Charkiw schlagen Geschosse ein. Selenskyj warnt vor neuen Explosionen. Ein Überblick.
Die Türkei und die Vereinten Nationen wollen bei einem Treffen mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj über diplomatische Wege aus dem von Russland aufgezwungenen Krieg reden. Dazu kommen UN-Generalsekretär António Guterres, der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan und Selenskyj am Donnerstag in Lwiw (Lemberg) in der Westukraine zusammen. Nach türkischer Ankündigung soll dort auch die "Beendigung des Krieges zwischen der Ukraine und Russland auf diplomatischem Wege erörtert" werden. Das teilte das türkische Präsidialamt in Ankara am Dienstag mit.
In Charkiw, der zweitgrößten Stadt der Ukraine, schlugen am Dienstagabend russische Geschosse ein. Es gab Schäden an Häusern, in einigen Vierteln fiel der Strom aus. Ukrainische Militärs berichteten von heftigen Kämpfen besonders im Osten des Landes im Donbass. Für die Ukraine ist Mittwoch der 175. Tag ihres Abwehrkampfes gegen die russische Invasion.
Selenskyj griff in einer Videoansprache die verheerenden Explosionen in russischen Militäranlagen auf der Halbinsel Krim auf. Er mahnte die Bevölkerung in russisch besetzten Gebieten, solche Orte zu meiden. "Bitte gehen Sie nicht in die Nähe der militärischen Einrichtungen der russischen Armee und all jener Orte, an denen sie Munition und Ausrüstung lagern, wo sie ihre Hauptquartiere unterhalten!", sagte er.
Vor dem Dreiergipfel in Lwiw
UN-Generalsekretär Guterres reise auf Einladung Selenskyjs nach Lwiw, teilte UN-Sprecher Stephane Dujarric am Dienstag in New York mit. Die UN schlossen Gespräche über ein Ende der Kämpfe nicht aus, zeigten sich aber zurückhaltend. "Es gibt eine Reihe von Fragen, die angesprochen werden: der Konflikt im Allgemeinen, die Notwendigkeit einer politischen Lösung dieses Konflikts", sagte Dujarric. Guterres betont immer wieder, er sei ein Freund der stillen Diplomatie, die Wege aus einem Konflikt hinter geschlossenen Türen verhandelt.
Guterres und Erdoğan hatten Russland und die Ukraine zuletzt Ende Juli bei dem Abkommen zur Ausfuhr von ukrainischem Getreide zu einer Einigung gebracht. Aus New York hatte es damals geheißen, dass man auf diesem Erfolg aufbauen wolle. UN-Kreise halten Verhandlungen für eine landesweite Waffenruhe jedoch nur für möglich, wenn keine der Kriegsparteien nennenswerte Geländegewinne mehr verzeichnen kann und vom Ziel eines Sieges Abstand nimmt.
Gespräche zwischen Kiew und Moskau in den ersten Kriegswochen waren ohne Ergebnis abgebrochen worden. Die Ukraine will ihre verlorenen Gebiete um jeden Preis zurückerobern, damit ihre Landsleute nicht weiter der Willkür der russischen Besatzung ausgesetzt sind. Russlands Kriegsziele laufen weiterhin auf eine weitgehende Unterwerfung der Ukraine hinaus.
Dujarric sagte weiter, es gebe "keinen Zweifel" daran, dass auch die gefährliche Lage um das ukrainische Atomkraftwerk Saporischschja sowie eine angepeilte internationale Expertenmission zu dem Kraftwerk angesprochen würden. Das von Russland besetzte größte Kernkraftwerk Europas wird seit Tagen beschossen. Die Ukraine und Russland machen sich gegenseitig dafür verantwortlich. Erdoğan kündigte ein Gespräch mit Selenskyj über alle Aspekte der bilateralen Beziehungen an.
Bis zu 60.000 Schüsse auf ukrainische Soldaten am Tag
Die russische Armee feuert nach Schätzungen des ukrainischen Oberkommandeurs Walerij Saluschnyj täglich 40.000 bis 60.000 Schuss Munition auf Stellungen der ukrainischen Armee ab. Am schwersten sei die Lage derzeit bei Donezk, wo die ukrainischen Stellungen bei Awdijiwka, Pisky und Marjinka unter heftigem Feuer liegen, schrieb Saluschnyj auf Facebook.
Der Kiewer Generalstab sprach in einem Lagebericht ebenfalls von heftigen Angriffen auf ukrainische Stellungen am Nordwestrand der Separatistenhochburg Donezk. Weiter nördlich im Donbass bei Bachmut und Soledar sei es gelungen, russische Sturmangriffe abzuwehren. Der Feind habe sich unter Verlusten zurückziehen müssen. Unabhängige Bestätigungen gab es nicht. Ein Fliegerhorst bei Schytomyr in der Westukraine sei von russischen Flugzeugen mit Marschflugkörpern beschossen worden, teilte die ukrainische Luftwaffe mit.
Explosionen auf der Krim – Stau vor der Brücke
Auf der 2014 von Russland annektierten Halbinsel Krim war am Dienstagmorgen zum zweiten Mal in einer Woche ein russischer Militärstützpunkt von Explosionen erschüttert worden. Getroffen wurde laut Krim-Verwaltung ein Munitionslager bei der Stadt Dschankoj im Norden. Das russische Verteidigungsministerium sprach von einem "Sabotageakt". Auch zivile Objekte seien beschädigt worden, darunter Stromleitungen, ein Kraftwerk, Bahngleise sowie Wohngebäude.
Selenskyj reklamierte die Detonationen nicht als Angriffe durch die Ukraine. Die Auslöser seien "sehr verschieden", die Russen könnten auch selbst schuld sein. Trotzdem gelte: "Je weniger Möglichkeiten die Besatzer haben, Böses zu tun und Ukrainer zu töten, desto eher können wir diesen Krieg beenden, indem wir unser Land befreien."
Die Warteschlange an der Brücke aufs russische Festland beweise, "dass die absolute Mehrheit der Bürger des Terrorstaates bereits versteht oder zumindest das Gefühl hat, dass die Krim kein Ort für sie ist", sagte Selenskyj. Videos in sozialen Netzwerken zeigen, dass seit Tagen viele russische Feriengäste die Halbinsel verlassen und es Staus vor der Brücke von Kertsch gibt.
Das wird am Mittwoch wichtig
Nach den Explosionen werden für Mittwoch weitere Angaben zu Schäden wie auch zu möglichen Ursachen erwartet. Vergangene Woche war ein russischer Luftwaffenstützpunkt im Westen der Krim schwer beschädigt worden, das Ausmaß der Zerstörung ließ sich aber erst einen Tag später anhand von Satellitenbildern ermessen. Die Detonationen weit hinter der Front geben immer wieder Anlass zu Spekulationen, wie groß die Reichweite ukrainischer Raketen ist.
- Nachrichtenagentur dpa