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Schicksalsschlacht um Cherson: Wladimir Putin droht eine Blamage


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Ukraine-Krieg
Hier droht Putin die nächste Blamage

Von Margaryta Biriukova

Aktualisiert am 11.08.2022Lesedauer: 6 Min.
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Satellitenaufnahmen belegen: Dieser Militärstützpunkt wurde durch Artilleriegeschosse zerstört. (Quelle: reuters)
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Trotz Unterlegenheit könnte eine ukrainische Gegenoffensive in Cherson Russland empfindliche Schäden zufügen. Eine Niederlage wäre für Putin eine Blamage.

In der Region Cherson bahnt sich eine Entscheidungsschlacht an. Nach den hart erkämpften Erfolgen im Donbass in der Ostukraine Anfang Juli sah sich das russische Kommando gezwungen, eine Kampfpause anzukündigen. Die Kremltruppen brauchten Zeit, um sich neu zu formieren. Moskau brachte einen riesigen Nachschub an Munition und Ausrüstung an die Front. Das Ziel: die nächste Offensive.

Doch es lief nicht nach Plan.

Denn es gab ein zentrales Hindernis: Der Beginn der Kriegspause fiel mit einer neuen Serie von Waffenlieferungen an die Ukraine durch ihre ausländischen Partner zusammen. Dazu gehörten moderne Artillerie- und Raketensysteme. Vor allem das US-Raketensystem Himars ist bei Putins Truppen mittlerweile gefürchtet, weil es zahlreiche russische Munitionsdepots und Kommandozentralen mit einer Präzision zerstörte, die alles Dagewesene in den Schatten stellte.

All dies schränkte die russischen Fähigkeiten für einige Zeit ein und eröffnete der Ukraine neue Möglichkeiten, insbesondere in der südlichen Region Cherson. Hier konzentrieren sich derzeit die Bemühungen, Russland in einer Gegenoffensive zurückzudrängen. Cherson wird in den nächsten Wochen das zentrale Schlachtfeld zwischen Kiew und Moskau.

Schicksalsschlacht um Cherson

Warum ist Cherson so wichtig? Neben der wirtschaftlichen Rolle als großer Produzent landwirtschaftlicher Güter schielt Moskau vor allem auf die strategische Bedeutung des Territoriums: Die Region grenzt im Süden an die Halbinsel Krim und ist die einzige Verbindung zu anderen Teilen der Ukraine.

Als Russland die Halbinsel 2014 besetzte und annektierte, war das größte Problem für Moskau der fehlende Landkorridor zwischen der Krim und Russland. Der Kreml investierte zwar Milliarden von Dollars für den Bau einer Brücke über die Straße von Kertsch. Aber ein direkter Landkorridor kann nur über die Region Cherson und den Donbass verlaufen.

Der Hauptgewinn für die Russen in Cherson ist jedoch das Wasser: Die Ukraine deckte bis zu 85 Prozent des Frischwasserbedarfs der Krim über den Nord-Krim-Kanal, der den Fluss Dnepr mit der Halbinsel verbindet. Die ukrainischen Behörden hatten die Wasserlieferungen aber bereits 2014 eingestellt. Sie begründeten den Stopp damit, dass nach internationalem Recht das Land, das ein Gebiet besetzt, zur Wasserversorgung verpflichtet ist, und nicht das Land, dem es geraubt wurde.

Tatsächlich war es eines der ersten operativen Ziele der russischen Invasion, den Dnepr zu erreichen und die Wasserversorgung der Krim wiederherzustellen. Cherson ist aber auch eine der wenigen ukrainischen Großstädte, die Russland bisher erobern konnte, und daher ein symbolisch wichtiges Beutestück für den Kreml.

Teile und erobere?

Die Region Cherson und einige andere Teile der Südostukraine gingen in den ersten Tagen des russischen Angriffs schmerzhaft schnell verloren. Der Vormarsch der russischen Armee auf die nahe gelegenen Großstädte Mykolajiw und Dnipro konnte jedoch aufgehalten werden. Seit Mitte März – als Russland sich auf den Donbass konzentrierte – gelingt es der Ukraine zunehmend, die Frontlinie in Cherson zu stabilisieren und Gegenangriffe auszuführen.

Doch auch die Russen waren nicht untätig: Sie nutzten die Zeit, um ihre Stellungen zu befestigen und die Region in Angst und Schrecken zu versetzen. Das russische Besatzungsregime versucht mit allen Mitteln, die Entstehung möglicher Widerstandsnester im Keim zu ersticken. Bislang konnte es sich weitgehend sicher fühlen, da russische Stellungen nur gelegentlich von ukrainischen Guerillakämpfern angegriffen wurden.

Mit der Ankunft westlicher Langstreckenartillerie in der Ukraine änderte sich die Lage schlagartig: Die ukrainischen Verteidiger unternahmen zahlreiche Angriffe auf Munitionsdepots, Kommandostellen und Nachschubwege. Einen empfindlichen Schlag versetzten sie den Russen auch durch die Attacke auf die Antoniwskyj-Brücke, die die Stadt Cherson mit der Region verbindet.

Auch Eisenbahnbrücken wurden beschädigt, wodurch das russische Militär gezwungen war, auf Pontonbrücken und Fähren auszuweichen, um überhaupt noch Ausrüstung und Truppen in die Stadt zu bekommen. Der Abgeordnete des Regionalrats von Cherson, Serhij Chlan, sagte zu t-online, dass das realistischste Ziel für die ukrainische Armee im Moment die Befreiung des rechten Dnepr-Ufers sei, wo die Stadt Cherson liegt. Die Zerstörung der Logistikwege und Brücken sei die "Vorarbeit" gewesen für eine militärische Offensive in den kommenden Wochen. In einem zweiten Schritt könnte dann der Rest der Region befreit werden.

Wie stark ist der russische Einfluss in der Region?

Nach Angaben des ukrainischen Geheimdienstes planen die russischen Besatzer für den 11. September sogenannte "Volksabstimmungen" in den Regionen Cherson und Saporischschja. Cherson ist als Verwaltungszentrum der Region die politisch bedeutendste ukrainische Siedlung, die Russland kontrolliert.

Doch ob Russland die Pseudoabstimmung in Cherson durchboxen kann, ist derzeit unklar. Die Stadt ist praktisch von den anderen besetzten Gebieten abgeschnitten. Verstärkung kommt nur schwer an. Zudem ist die Stadt schlecht befestigt. Zu allem Übel – für Moskau – gibt es eine wachsende Widerstandsbewegung.

"Wir werden alles dafür tun, die Pläne der Besatzer zu durchkreuzen. Die lokale Bevölkerung unterstützt Russlands Fake-Referendum nicht", meinte der Abgeordnete Chlan zu t-online.

Bislang haben die russischen Truppen viel investiert, um in Cherson als legitime Herrscher aufzutreten. Die Propaganda- und Repressionsmaschine richtet sich gegen die ukrainische Stadtgesellschaft und insbesondere gegen Aktivisten und kritische Medien. Alles Ukrainische wird unterdrückt: Es gibt in der gesamten Region keine ukrainischen Telefongesellschaften mehr und keine Möglichkeit, die ukrainische Währung Hrywnja zu erhalten. Seit Juni haben die "Behörden" den Einheimischen mit Gewalt russische Pässe ausgehändigt. Die Einwohner von Cherson haben trotz der Drohungen der Besatzer wiederholt Protestmärsche unternommen.

Iryna Vereshchuk, Ministerin für die Wiedereingliederung der vorübergehend besetzten Gebiete der Ukraine, hat die Bewohner der besetzten Bezirke der Regionen Cherson und Saporischschja bereits aufgefordert, die Gebiete mit allen Mitteln zu evakuieren, um nicht zwischen die beiden Armeen zu geraten.

Wird Russland mit einem Angriff reagieren?

Die Russen haben unterdessen bereits damit begonnen, ihre Reserven im Donbass in die Südukraine zu verlegen. Der ukrainische Generalstab meldete, dass in den letzten Wochen einige Luftlandeeinheiten, die zuvor an der Offensive auf Stadt Slowjansk in Donezk beteiligt waren, in den Süden gebracht worden seien.

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"Das russische Kommando nimmt die Bedrohung durch die ukrainische Gegenoffensive offenbar sehr ernst", sagt Anton Muraveynyk, Leiter der analytischen Abteilung der ukrainischen NGO Come Back Alive, die das ukrainische Militär unterstützt. Anders sei die Verstärkung der russischen Flanke bei Cherson nicht zu erklären.

"Der Feind ist gezwungen, seine Reserven aus der Region Donezk zu verlegen. Das bedeutet im Umkehrschluss, dass es schwieriger für Russland sein wird, dort militärische Operationen durchzuführen und Donezk unter Kontrolle zu bringen", so Muraveynyk im Gespräch mit t-online.

Gleichzeitig sei nicht zu erwarten, dass eine massive Verlegung der gegnerischen Truppen die russischen Stellungen anderswo deutlich schwächen werde. Moskau habe genug Truppen, um die bereits eroberten Grenzen zu verteidigen, sagt Muraveynyk.

Ein Problem für die russische Propaganda

Die Einnahme von Cherson war ein wichtiger Sieg in der Anfangsphase des Krieges. Umso schwieriger würde es für den Kreml, eine mögliche Niederlage zu erklären: Der Verlust dieser Stadt kann die Propagandaerzählungen, dass der Krieg "nach Plan" verlaufe, zunichtemachen.

Zuvor hatten die russischen Staatsmedien bereits erklären müssen, warum man den Norden der Ukraine und die Schlangeninsel im Schwarzen Meer verlassen hat. Letzteres stellte der Kreml als "Akt des guten Willens" dar. Aber diese Erklärung hat ihre Grenzen: Eine Niederlage in Cherson wird sich kaum als Teil eines höheren "russischen Plans" verkaufen lassen.

Russland könnte sich daher unter Zugzwang sehen. Experten schließen nicht aus, dass die Russen als Erstes aus der Region Cherson in Richtung Mykolajiw zuschlagen werden. "Die Verlegung von Schocktruppen aus Donezk nach Cherson könnte darauf hindeuten, dass die Russen als Erste einen Gegenangriff starten werden", glaubt der Analyst Muraveynyk. Allerdings werde dies umso schwieriger, je stärker ihre Nachschubwege attackiert werden.

Muraveynyk geht daher eher von einem anderen Szenario aus: "Wenn Russland vor der Wahl steht, entweder die politisch wichtige Stadt Cherson oder die Wasserversorgung und den Landweg zur Krim zu verteidigen, wird es sich für Letzteres entscheiden."

War es bisher vor allem Russland, das die Marschrichtung des Kriegs vorgab, ist nun die Ukraine am Drücker. Die ukrainische Armee mag nicht über genügend Kräfte für eine groß angelegte Gegenoffensive verfügen, aber sie kann die russischen Truppen empfindlich schwächen. Indem sie russische Nachschublinien abschneidet und mit moderner Artillerie beschießt, kann sie den Gegner möglicherweise dazu zwingen, sich zurückzuziehen.

Die Russen stehen trotz ihrer militärischen Überlegenheit nun vor einer schwierigen Entscheidung. Plötzlich liegt die Initiative bei der Ukraine. Die nächsten Wochen werden zeigen, wer in der Entscheidungsschlacht um Cherson die Oberhand behält.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherchen
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