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Bundestag | Sommerpause sorgt für Erfolg der AfD: Peinlich und unnötig


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Tagesanbruch
Peinlich, fahrlässig, unnötig

  • Annika Leister
MeinungVon Annika Leister

Aktualisiert am 10.07.2023Lesedauer: 6 Min.
Christian Lindner, Robert Habeck und Olaf Scholz: Die Bundesregierung steht vor der dringenden Aufgabe, die "Zeitenwende" voranzutreiben.Vergrößern des Bildes
Minister Lindner (FDP), Habeck (Grüne) und Kanzler Scholz (SPD): Sie müssen in einer Frage dringend an einem Strang ziehen. (Quelle: Fabrizio Bensch/dpa)

Guten Morgen, liebe Leserin, lieber Leser,

das Parlament will in die Sommerpause gehen. Knapp zwei Monate lang wird es keine Sitzungen im Bundestag geben. Entspannung aber können sich die Abgeordneten eigentlich nicht leisten, stattdessen sollten sie sich einer Aufgabe widmen, die sie lange, viel zu lange, vernachlässigt haben. Das hat der letzte Sitzungstag am Freitag eindrücklich gezeigt.

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Da nämlich nutzte die AfD die Gunst der Stunde und führte alle anderen Fraktionen vor. Die Partei forderte in der Abstimmung um das Energieeffizienzgesetz einen Hammelsprung, um die Beschlussfähigkeit des Bundestags zu prüfen. Der Verdacht der AfD: Es seien am letzten Tag vor den Ferien zu wenige Abgeordnete vor Ort, um überhaupt Gesetze verabschieden zu können.

Und tatsächlich: Nur 241 Abgeordnete waren anwesend – beschlussfähig ist der Bundestag aber nur, wenn mehr als die Hälfte der Abgeordneten abstimmen, also 369. Die AfD verschlechterte das Ergebnis absichtlich, indem ein Teil ihrer Abgeordneten der von ihr geforderten Zählung fernblieb und erst danach wieder im Saal erschien. Doch selbst wenn die AfD-Fraktion in voller Stärke (78 Abgeordnete) aufgelaufen wäre: Es hätte immer noch nicht gereicht. Aus den anderen Fraktionen fehlten zu viele.

Ausgerechnet bei der letzten Abstimmung vor der Sommerpause, ausgerechnet beim bereits so hart umstrittenen Thema Energie, kamen die anderen Fraktionen ihrer Pflicht nicht nach. Die Ampelparteien demontierten so ihr eigenes Gesetz. Es kann nun erst im September verabschiedet werden. Alle gemeinsam ermöglichten der AfD somit einen Sieg nach allen Regeln des Parlaments.

Das ist peinlich. Das ist fahrlässig. Das ist unnötig.

Und das war nicht der einzige Erfolg für die AfD im Bundestag in der letzten Sitzungswoche. Bereits am Mittwoch hatten zwei CSU-Politiker – einer von ihnen: Ex-Verkehrsminister Andi Scheuer – ein Tabu gebrochen, indem sie im Europaausschuss für einen AfD-Antrag stimmten. Die beiden CSU-Politiker sprachen danach von einem Versehen, wirkten dabei aber nur bedingt glaubhaft.

Nicht für Anträge der AfD zu stimmen, ist Teil der Brandmauer, die auch die Union hin zur AfD zu halten verspricht. Experten empfehlen sie als wirksames Mittel, um Extremismus im Parlament einzudämmen. Und bei AfD-Anträgen im Bundestag stand die Brandmauer bisher fast immer. Unionspolitiker jedenfalls hatten noch nie zuvor für einen Antrag der AfD gestimmt.

Gerät hier etwas ins Rutschen? Werden sich Scheuer & Co. in Zukunft häufiger auf die Seite der AfD schlagen und ihre Positionen so legitimieren? Das bleibt abzuwarten. Das Vorgehen der CSU-Politiker ausgerechnet auf dem Höhepunkt der AfD-Popularität ist aber schon jetzt, ob Irrtum oder Absicht, bemerkenswert ungünstig.

Nach den gewonnenen Kommunalämtern in Thüringen und Sachsen-Anhalt setzte sich die Erfolgswelle der AfD in der letzten Sitzungswoche so auch im Bundestag fort.

"Das macht nachdenklich, auch für die Sommerpause", sagte Bundestagsvizepräsidentin Aydan Özoğuz (SPD) nach dem verpatzten Hammelsprung. Die Abgeordneten sollten in den Ferien darüber nachdenken, "wie wir Angriffen auf den Parlamentarismus vielleicht gemeinsam begegnen können in der Zukunft".

Dazu ist festzuhalten, dass der von der AfD geforderte Hammelsprung kein "Angriff auf den Parlamentarismus" war. Sondern ein Schachzug, den das Regelwerk im Bundestag legitim ermöglicht – und den die anderen Parteien hätten vorhersehen müssen.

Dass die mit diesem simplen Kniff offensichtlich überhaupt nicht rechneten, zeigt, dass die Parteien statt Sommerpause nun dringend eine Hausaufgabe machen müssen: Sich im Jahr 10 seit Gründung der AfD endlich ernsthaft mit ihr auseinandersetzen und überlegen, wie sie verhindern, dass sie in Zukunft weitere Erfolge verbucht. Es wird höchste Zeit.

Zwei Lektüren könnten den Ampelkoalitionären dabei helfen: Erstens die Beschlüsse, die der Vorstand der Linken am Wochenende verabschiedet hat. Die Partei nämlich ist durch die AfD bereits seit Längerem besonders bedroht. War sie einst äußerst erfolgreich im Osten, räumt dort statt ihrer nun die AfD ab.

Ein "Aktionsplan Ost" und ein "Aktionsplan gegen den Rechtsruck" sollen das nun ändern. Darin fordert die Linke unter anderem: Lohnangleichung von Ost- an Westgehälter bis 2025, mehr Investitionen in den Strukturwandel im Osten und nicht zuletzt: eine ausreichende und dauerhafte Finanzierung für Projekte gegen Rechtsextremismus.

Zweitens ist ein Blick in das Bundesland zu empfehlen, in dem die AfD derzeit nicht auf dem Vormarsch ist: Schleswig-Holstein. Bei der Landtagswahl 2022 scheiterte die AfD hier an der Fünfprozenthürde und flog aus dem Landtag. Auch aktuell liegt die Zustimmung zur AfD im Norden nur im einstelligen Bereich.

Warum ist das so? Mein Kollege Carsten Janz hat sich in Schleswig-Holstein umgehört und erklärt in diesem Text die Gründe. Zwei wichtige: In dem Bundesland gibt es ein parteienübergreifendes Bündnis gegen die AfD, das keine Risse hat. Hier stimmt niemand für einen AfD-Antrag. Und die Parteien gehen, ob Regierung oder Opposition, "fair in der Sache" miteinander um. Miese Tricks und verbale Ausfälle sind selten.

Berlin sollte davon lernen.


Massenproteste in Israel

Israel steht vor einer Zerreißprobe: Die rechts-religiöse Koalition von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu will eine umstrittene Justizreform durchdrücken – gegen massiven Widerstand im Land. Am Montag soll das Gesetz in der ersten von drei Lesungen gebilligt werden, am Wochenende demonstrierten Hunderttausende dagegen auf Israels Straßen.

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Die geplante Reform sorgt schon seit Monaten für Massenproteste, Israels Staatspräsident Izchak Herzog warnte deswegen bereits im März vor einer Staatskrise. Netanjahu stoppte die Pläne daraufhin vorerst, schwächte das Vorhaben etwas ab – und setzte es wieder auf die Agenda.

Am Montag geht es nun um einen Teil der Reform, der die Macht der Justiz im Land empfindlich beschneiden würde. Das Höchste Gericht soll den Plänen zufolge Entscheidungen der Regierung nicht mehr als "unangemessen" bewerten können.

Als "unangemessen" hatte das Höchste Gericht Anfang des Jahres die Ernennung des Vorsitzenden der streng religiösen Schas-Partei, Arie Deri, zum Innenminister eingestuft. Deri wurde mehrfach verurteilt, zuletzt 2021 wegen Steuerhinterziehung, zuvor wegen Bestechlichkeit, Korruption und Untreue. Aufgrund der Entscheidung des Gerichts musste Netanjahu seinen Minister entlassen.

Beobachter erwarten, dass er diesen Schritt nach der Reform wieder rückgängig machen will – und nicht nur die Korruption in Zukunft weiter um sich greifen könnte. Ein früherer Regierungschef warnt davor, dass Israel sich in eine "De-facto-Diktatur" verwandeln könnte.

Die Gegner der Reform wollen das mit der Macht der Straße noch verhindern. Für Dienstag rufen sie zu einem "Tag der Störung" auf und kündigen "nie da gewesenen Widerstand" an.


Was steht an?

Bund und Länder treffen sich in Berlin, um über die geplante Krankenhausreform zu diskutieren. Nach Monaten des Streits sollen endlich gemeinsame Eckpunkte verabschiedet werden. Allerdings lag man in der vergangenen Woche noch in einigen Punkten weit auseinander, Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) sprach von "sechs großen Problemen", bei denen man sich noch nicht habe aufeinander zubewegen können.

Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) geht auf Sommerreise durch Deutschland. Erste Station ist der Süden der Republik, am Montag besucht Habeck Betriebe bei Stuttgart, Renningen und Mannheim und diskutiert mit Bürgern in Heidelberg.

Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) empfängt seinen französischen Amtskollegen Sébastien Lecornu. Im Zentrum der Gespräche steht das deutsch-französische Kampfpanzerprogramm "Main Ground Combat System". Gemeinsam will man damit einen Panzer entwickeln, der in Deutschland die Leoparden und in Frankreich die Leclercs ablöst.

US-Präsident Joe Biden besucht London. Dort will er unter anderem König Charles III. und Premierminister Rishi Sunak treffen. Danach geht es für Biden weiter nach Litauen, wo ab Dienstag ein Nato-Gipfel tagt.


Was lesen?

Wladimir Putin bekriegt die Ukraine, doch seine Feindschaft gilt dem Westen insgesamt. Warum also sind die westlichen Regierungszentralen weiterhin so zögerlich, der ukrainischen Armee die Mittel zum Sieg zu liefern? Grünen-Vordenker Ralf Fücks nennt im Interview mit meinem Kollegen Marc von Lüpke Gründe.

In Österreich gibt es seit Juni die erste Bischöfin der Welt. Sie ist nicht Teil der römisch-katholischen, sondern der alt-katholischen Kirche. Die macht vieles anders: Priester müssen nicht im Zölibat leben, Frauen dürfen Priester sein. Mein Kollege Tobias Eßer hat mit Bischöfin Maria Kubin gesprochen.

Bayern buhlt weiter um Superstar Harry Kane. Doch auf der Gegenseite steht mit Tottenhams Präsident Daniel Levy einer der härtesten und gewieftesten Verhandler im Weltfußball – mit durchaus besonderen Transfervorlieben, wie mein Kollege Alexander Kohne beschreibt.


Ohrenschmaus

Für alle, die sich Urlaub wünschen, aber ihn noch nicht haben können: Lassen Sie sich mit diesem Klassiker an den Strand beamen, mit einem Cocktail in der Hand und der besten Begleitung an Ihrer Seite.


Zum Schluss

In Sachen Urlaub:

Ich wünsche Ihnen einen guten Start in die Woche. Morgen begleitet Florian Harms Sie wieder in den Tag.

Herzlichst

Ihre Annika Leister
Politische Reporterin im Hauptstadtbüro von t-online
Twitter: @AnnLei1

Was denken Sie über die wichtigsten Themen des Tages? Schreiben Sie es uns per E-Mail an t-online-newsletter@stroeer.de.

Mit Material von dpa.

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