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Zum journalistischen Leitbild von t-online.D-Mark-Einführung vor 75 Jahren "Das ist keine Währung, das ist ein schlechter Witz"
Vor 75 Jahren bekamen die Deutschen ihre geliebte D-Mark, 2002 hieß es Abschied nehmen. Dabei hätte das Ende die DM auch viel früher ereilen können. Sie war keineswegs unerschütterlich, wie ein neues Buch erklärt.
Wohin nur mit dem Geld? Millionen Westdeutsche stellten sich im Juni 1948 verzweifelt diese Frage. Geschäfte wurden belagert, Banknoten dienten als Anzündhilfe für Zigaretten, manche warfen mit Geld um sich. Wortwörtlich. Denn ab dem 18. Juni 1948 war eine Sache klar: Die Reichsmark war Geschichte.
"Mit Wirkung vom 21. Juni gilt die Deutsche-Mark-Währung", hieß es im Währungsgesetz. Mithilfe der "Deutschmark" wollten die Besatzungsmächte USA, Großbritannien und Frankreich nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs in ihren drei Zonen Stabilität herstellen.
Was auch dringend vonnöten war. Denn auf dem florierenden Schwarzmarkt war nicht die Reichsmark angesagt, sondern Zigaretten. "Das alte Geld", so brachte es einmal der frühere Bundesfinanzminister Theo Waigel auf den Punkt, "war nichts mehr wert."
Jede Menge Kohle
Nichts mehr wert für die Menschen auf der Straße, aber auch nichts mehr wert für die Wirtschaft. Eine neue Währung musste her: Damit die Deutsche Mark aber wachsen und gedeihen konnte, musste die aufgeblähte und in rauen Mengen vorhandene Reichsmark zunächst aus dem Verkehr gezogen werden. Wie das geschah, beschreibt der Historiker und Journalist Frank Stocker faktenreich und unterhaltsam in seinem Buch "Die Deutsche Mark. Wie aus einer Währung ein Mythos wurde" – und noch viel mehr rund um der Deutschen liebste Währung.
Mit 40 DM, bar auf die Hand, fing am 20. Juni 1948 alles an. Diesen Betrag in Reichsmark konnten die Menschen 1 zu 1 gegen Deutsche Mark eintauschen – auch Minderjährige. Die Banknoten – Münzen gab es zunächst nicht – waren ein Importprodukt. Produziert wurden sie in den USA, dann in mehr als 20.000 Kisten per Schiff nach Bremerhaven transportiert. Von da ging es nach Frankfurt am Main, ins Reichsbankgebäude, natürlich. Nur ein halbes Dutzend Mitarbeiter hätte dort der Legende nach vom Inhalt der Kisten gewusst, schreibt Stocker.
40 DM, das war der Betrag, den die Deutschen zunächst erhielten, andere Vermögenswerte, wie etwa auf Sparbüchern, waren mittels Vordruck zu verzeichnen. Denn der Plan der Westalliierten bestand darin, die Geldmenge radikal zu reduzieren – um der Deutschen Mark eine stabile Basis zu verschaffen. Mehr als 90 Prozent betrug der Währungsschnitt, also die Umrechnung des alten auf das neue Geld, am Ende, wie Stocker schreibt.
Schmerzhaft, aber heilsam, so lässt sich die Einführung der DM bezeichnen, die noch vor der Geburtsstunde der Bundesrepublik am 23. Mai 1949 entstand. Seit dem 21. Juni 1948 war die DM gesetzliches Zahlungsmittel in Trizonesien, wie die Besatzungszonen der westlichen Alliierten auch genannt wurden. "Die Einführung der D-Mark gilt noch heute vielen geradezu als konstituierendes Element der Bundesrepublik", so Stocker.
Ohne Gold nix los
Dabei war aller Anfang schwer, eine Teuerungswelle sorgte zunächst für Frust bei den Menschen. "Wer hat so viel Pinke-Pinke, wer hat so viel Geld", brachte es 1949 ein Karnevalsschlager auf den Punkt. Doch dann fand die neue Währung festen Boden, auch durch die Aufgabe der Wirtschaftslenkung, die Ludwig Erhard – der zu Unrecht als Vater der D-Mark gilt – vertreten hatte.
"Diese Währungsreform taugt nichts, in ein paar Wochen bricht die ganze Geschichte zusammen", hatte zuvor noch Hjalmar Schacht geätzt. Mit dieser Meinung war Schacht, der unter Adolf Hitler unter anderem als Präsident der Reichsbank fungiert hatte, nicht allein. "Das ist keine Währung, das ist ein schlechter Witz", zitiert Stocker einen ausländischen Notenbanker.
Woher stammt diese vernichtende Kritik? Sie basiert auf dem damaligen Mangel an zwei entscheidenden Ressourcen. Zum einen an Gold, das der Bank deutscher Länder als Vorläuferin der späteren Bundesbank, schlichtweg abging. Damit war keine "reale Wertbasis" gegeben, wie Stocker schreibt. Auf der anderen Seite waren Devisen Mangelware, denn die zukünftige Exportweltmeisterin Bundesrepublik führte in dieser Zeit mehr ein als aus. "Es kann nichts daraus werden", befand Camille Gutt, der immerhin damals den Internationalen Währungsfonds leitete.
"Sehr pragmatisches Verhältnis"
Diese düstere Prophezeiung drohte im Spätsommer 1949 Realität zu werden. Am 18. September wertete Großbritannien sein Pfund massiv ab. Klingt zunächst weit weg von Westdeutschland, aber in einer Zeit, als Devisenkurse an den US-Dollar als Ankerwährung gebunden waren und nicht "frei", hatte dies Auswirkungen auf die Bundesrepublik. Als ein Automatismus fand "auch eine Abwertung der britischen Währung gegenüber den anderen Devisen, also auch der D-Mark" statt, schreibt Stocker.
Ein großer Teil der deutschen Exporte ging in das Vereinigte Königreich, oder zum Teil eben in Länder, in denen das Pfund eine Rolle spielte. Zurück kam weit weniger. Daher stand auch die D-Mark unter Druck. Abwertung war angesagt. Für die Deutschen, die noch die Hyperinflation des Jahres 1923 in bester schlimmer Erinnerung hatten, ein ganz schlechtes Signal.
Was also tun? Das letzte und entscheidende Wort oblag den westlichen Alliierten. Frankreich fürchtete die deutschen Exporte, war maximal zu einer Abwertung der D-Mark bis 15 Prozent bereit. In Bonn wollte man 25 Prozent Abwertung. Schließlich wurden es etwas mehr als 20 Prozent – Währungskrise überstanden. Oder doch nicht?
Frank Stocker attestiert dem Langzeitbundeskanzler Konrad Adenauer ein "sehr pragmatisches Verhältnis zur Geldpolitik", er hätte "politische Erwägungen für wichtiger als die Stabilität einer Währung" gehalten. Im Oktober 1950 kam es zur Hiobsbotschaft. "Die Deutschen stehen vor dem Bankrott", schlug die "Sunday Times" Alarm, der Außenminister der Niederlande hätte dies gesagt. Ursache war weiterhin die westdeutsche negative Außenhandelsbilanz, die noch verschärft worden war durch den Ausbruch des Koreakriegs mit einer einhergehenden Verteuerung von Rohstoffen.
Noch mal gerettet
Ein Zusammenbruch der Deutschen Mark war keineswegs unmöglich damals. Rettung brachte die Europäische Zahlungsunion (EZU), der viele westeuropäische Staaten angehörten und die den Zahlungsverkehr im Handel mit dem Ausland einfacher machen sollte. Die Bundesrepublik hatte damals dort ihren sprichwörtlichen Kredit mächtig überzogen. "Doch die Partnerländer in der EZU taten etwas, wozu sie nicht verpflichtet gewesen wären", schreibt Stocker. Sie gaben der Bundesrepublik weiterhin Kredit.
Schuld an der Misere war auch Konrad Adenauer, der selbst angesichts der Dramatik tatenlos blieb. Erst als die Amerikaner mächtig Druck ausübten, handelte er, indem das Problem der zu geringen Exporte in Angriff genommen wurde. 1951 war das Schlimmste überstanden, die D-Mark sollte in den nächsten Jahrzehnten ihren legendären Ruf erwerben. Eine Währung, die Adenauer beinahe ruiniert hätte – und die nur durch europäische Solidarität gerettet worden ist.
- Eigene Recherche
- Frank Stocker: "Die Inflation von 1923: Wie es zur größten deutschen Geldkatastrophe kam", München 2023
- bundesregierung.de: "50 Jahre Deutsche Mark - Rede von Bundesminister Dr. Waigel in Bonn"