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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Prozesse gegen Tiere Als Menschen einen Elefanten gleich drei Mal hinrichteten
Über Jahrhunderte klagten Menschen Tiere vor Gericht an, die Urteile waren oft grausam. Vor nicht allzu langer Zeit landete gar ein Hund in einer US-Todeszelle.
Um ganz sicherzugehen, dass Topsy wirklich sterben würde, wählten ihre Henker drei Todesarten gleichzeitig aus. Zunächst bekam die etwa 27 Jahre alte asiatische Elefantenkuh Möhren zu fressen, die mit tödlichem Kaliumzyanid versetzt waren. Dann zog man ihr Kupfersandalen an die Füße, verkabelte die Schuhe mit einer Stromleitung aus einem der New Yorker Kraftwerke, und jagte zehn Sekunden lang mehr einige Tausend Volt durch ihren Körper. Topsy lag bereits zuckend am Boden, als dampfbetriebene Winden auch noch zwei Schlingen zuzogen, die man ihr um den Hals gelegt hatte.
Diese qualvolle Hinrichtung des ehemaligen Zirkuselefanten 1903 im Luna-Vergnügungspark auf Coney Island zog Hunderte Zuschauer an. Topsys Vergehen: Sie hatte einen betrunkenen Zirkusbesucher getötet, als dieser sich unberechtigten Zugang zu den Tieren verschafft und ihre empfindliche Rüsselspitze mit einer Zigarre verbrannt hatte.
Schon im Alten Testament
Ein ähnliches Schicksal ereilte gut 13 Jahre später die Elefantendame Mary im US-Bundesstaat Tennessee. Sie hat einen ungelernten Tierpfleger zu Tode getrampelt, der sie mit einem hakenbesetzten Stock malträtiert hatte. "Murderous Mary", wie die Zeitungen die Elefantenkuh betitelten, musste allerdings deutlich länger leiden. Vor den Augen von 2.500 Zuschauern wurden sie mit Ketten um den Hals von einem Industriekran in die Höhe gezogen.
Beim ersten Versuch rissen die Ketten. Mary stürzte zu Boden und brach sich das Becken. Erst als man das schwer verletzte Tier ein zweites Mal in die Höhe zog, schafften die Ketten es, sie zu strangulieren. Die beiden öffentlich hingerichteten Elefanten hatten nie ein ordentliches Gerichtsverfahren bekommen, als Tiere unterstanden sie einzig dem Willen ihrer Eigentümer.
Doch die Todesstrafe für Tiere steht in einer langen Tradition. Im Mittelalter war es durchaus üblich, Schweine, Ratten und sogar Heuschrecken oder Maikäfer vor Gericht zu stellen, die Menschen schweren "Schaden" zugefügt hätten. Und sogar im 2. Buch Mose heißt es schon: "Wenn ein Rind einen Mann oder eine Frau stößt, dass sie sterben, so soll man das Rind steinigen und sein Fleisch nicht essen; aber der Besitzer des Rindes soll nicht bestraft werden."
Oftmals bekamen die beschuldigten Tiere allerdings tatsächlich ein "ordentliches" Verfahren – wenn man die Anklage gegen Tiere unter menschlichen Rechtsvorstellungen überhaupt als solche bezeichnen kann. Mitunter erhielten die Tiere sogar einen prominenten Anwalt: Wie jene Ratten, die 1508 in der französischen Diözese Autun vor Gericht standen, weil sie "mutwillig die Gerstenernte zerstört" hatten.
Die Ratten hatten Glück
Sie wurden verteidigt von Barthélemy de Chasseneuz, einem der besten Juristen seiner Zeit, der zuvor bereits für Papst Julius II. gearbeitet hatte. Seine Klienten aber erschienen zum vereinbarten Termin nicht vor Gericht. Kein Wunder, sie hätten, argumentierte er, vermutlich die Vorladung gar nicht erhalten, da sie keinen festen Wohnsitz hätten. Und selbst wenn, so wären sie doch auf dem Weg zum Gericht von den Katzen bedroht gewesen.
Unter diesen Umständen, so schloss de Chasseneuz sein Plädoyer, sei es ihnen unmöglich gewesen, den Gerichtstermin wahrzunehmen. Da der Richter keine Möglichkeit sah, sämtliche Katzen Autuns für die Anreise der Ratten von den Straßen fernzuhalten, musste er die Nagetiere wohl oder übel ungestraft davonkommen lassen. Nicht ganz so erfolgreich verlief ein weiterer Prozess von de Chasseneuz, in dem er zwölf Jahre später die Holzwürmer von Mamirolle verteidigte.
Sie wurden beschuldigt, den Bischofsstuhl der Dorfkirche so zermürbt zu haben, dass er unter dem Gewicht des Bischofs von Besançon kollabierte. Auch die Holzwürmer weigerten sich, vor Gericht zu erscheinen. In Abwesenheit wurden sie zum Umzug in einen nahe gelegenen Baum verurteilt. Deutlich weniger Milde ließ das bischöfliche Gericht von Lausanne walten, das um 1500 gleich mehrere Prozesse gegen Maikäferlarven führte. Die Engerlinge hatten sich in den Feldern eingenistet und vernichteten fröhlich die Ernte.
Man schickte den Prokurator ins Feld und ließ ihn eine Vorladung verlesen. Zum festgesetzten Termin holte ein Gerichtsdiener eine Handvoll von ihnen in den Gerichtssaal, wo der Richter das Urteil verkündete: Abzug aus den betreffenden Feldern innerhalb von drei Tagen. Die widerspenstigen Larven weigerten sich jedoch, der Anordnung des Richters Folge zu leisten. Einige der Tiere wurden dafür mit dem Tod bestraft, den Rest versuchten Priester mit Kanistern voller Weihwasser aus den Feldern zu vertreiben.
"Ich exorziere euch"
Dafür gab es sogar bereits seit 1452 eine eigene Exorzismusformel: "Ich exorziere euch, Krankheit bringende Würmer (...), beim allmächtigen Gott, dem Vater, und Jesus Christus, seinem Sohn, und dem Heiligen Geist, (...) damit ihr sogleich von diesen Gewässern, Feldern oder Weinbergen verschwindet!"
Während Schädlinge wie Ratten oder Maikäfer in der Regel von Kirchengerichten verurteilt wurden, landeten Nutztiere meist vor einem weltlichen Richter. So erging es beispielsweise der Sau, die 1386 in Falaise (Frankreich) einen Säugling anfraß. Da das Kind infolgedessen starb, verurteilte der Richter das Schwein zum Tode. Gleiches sollte mit Gleichem vergolten werden: Zunächst riss man dem Tier einen Vorderlauf aus, bevor es an den Hinterbeinen aufgehängt das Ende fand. Die restlichen Schweine der Stadt wurden – als abschreckende Maßnahme – zum Zuschauen "genötigt".
Schweine wurden besonders oft vor Gericht angeklagt. Da sie eng mit den Menschen zusammenlebten und sich relativ frei unter ihnen bewegen konnten, kam es entsprechend oft zu "Konflikten". Mitte des 15. Jahrhunderts etwa nagten eine Sau und ihre Ferkel in der Schweiz ein Kleinkind an, es starb. Die Sau musste ihre Tat mit dem Leben bezahlen. Die Ferkel jedoch durften als freie Schweine das Gericht verlassen. Sie seien noch nicht strafmündig, ihre Mutter sei ihnen ein schlechtes Vorbild gewesen.
Hund im Todestrakt
Der letzte Fall, in dem ein Tier rechtskräftig zum Tode verurteilt worden ist, liegt noch gar nicht lange zurück. Drei Jahre lang saß der Hund Taro, ein Akita Inu, in einer Todeszelle im Hochsicherheitsgefängnis des US-Bundesstaates New Jersey. Getötet hatte er niemanden, aber an Weihnachten 1990 die damals zehnjährige Brie Halford mit einem Pfotenhieb an der Lippe verletzt – nachdem diese ihn bereits den ganzen Tag lang malträtiert hatte.
Sein Gefängniswächter bescheinigte indes, Taro verhalte sich wie ein "Vorzeige-Gefangener". Prominente Hilfe erhielt der Akita Inu von der Schauspielerin und Tierschützerin Brigitte Bardot, die sich persönlich an die Gouverneurin von New Jersey wandte. Nach mehr als 1.000 Tagen im Todestrakt kam Taro am Ende frei. Er starb 1999 friedlich im Alter von zehn Jahren im Schlaf.
- Eigene Recherche
- nationalgeographic.de: "Die Geschichte der Tierprozesse"
- welt.de: "Schuldig! – Tiere auf der Anklagebank"
- lto.de: "In der Strafsache gegen Hund, Katze, Maikäfer"
- watson.ch: "Exorziert die Würmer und hängt die Sau!"
- abendblatt.de: "Trauer um Taro"
- curiositas-mittelalter.blogspot.com: "Tierprozesse im Mittelalter"