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Tunnel 29 | Dramatische Flucht: So ließen sich die Mauerbauer von der SED überlisten


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Spektakuläre DDR-Flucht
Gegen den legendären Tunnel 29 war die Stasi machtlos

Von Marc von Lüpke

13.09.2022Lesedauer: 3 Min.
Tunnel 29 in Berlin: Unterirdisch entkamen Mitte September 1962 aus der DDR.Vergrößern des Bildes
Tunnel 29 in Berlin: Unterirdisch entkamen Mitte September 1962 29 Menschen aus der DDR. (Quelle: ullstein-bild)

Mit der Berliner Mauer sperrte die DDR ihre Menschen ein, doch unterirdisch gelang im September 1962 eine aufsehenerregende Flucht. Die noch für Ärger sorgte.

Sie hatten gehackt, geschaufelt und geschwitzt. Monatelang, unterirdisch. Begonnen hatte das ganze Unternehmen im Frühjahr 1962, in der Bernauer Straße 78 im West-Berliner Stadtteil Wedding. Genauer gesagt im Keller des Gebäudes, es beherbergte eine kleine Fabrik.

Das Ziel war gar nicht so weit entfernt, ein Gebäude in der Rheinsberger Straße. Leider befand sich ein Hindernis auf dem Weg: die Berliner Mauer. Weswegen die Männer um Domenico Sesta, Luigi Spina und Wolfhardt Schroedter den Weg in den Untergrund angetreten waren. Das Ziel bestand darin, den "Antifaschistischen Schutzwall" zu unterminieren – und Menschen aus dem millionenfachen Gefängnis zu befreien, in das die SED die DDR spätestens mit dem Mauerbau verwandelt hatte.

"Ein rotes Tuch"

Was die Gruppe um Sesta, Spina und Schroedter leistete, war beachtlich: Rund 250 Tonnen Erde holten die Männer aus der Tiefe heraus, dafür beförderten sie wiederum rund 20 Tonnen Holz hinunter. Als sprichwörtliche Stütze, wie der "Spiegel" 1962 aufzählte. Allerdings war die Arbeit gefährlich, schließlich war ein Einsturz oder eine Flutung des Tunnels durchaus möglich. Ganz abgesehen von der DDR-Staatssicherheit und den Grenzsoldaten, die auf der Lauer lagen.

Rund 40 Leute fanden sich schließlich zusammen, viele Studenten waren darunter, so wie die beiden Köpfe Sesta und Spina aus Italien. Die Motivation für die riskante Aktion bestand für viele darin, Menschen, die einem teuer waren, aus der DDR zu befreien. "Die Grenze war damals ein rotes Tuch für jeden", zitiert die "Berliner Morgenpost" den damaligen Fluchthelfer Joachim Rudolph.

Ganz selbstlos buddelte allerdings nicht jeder. Ein paar Zehntausend D-Mark hatte der US-Sender NBC für Spina, Sesta und Schroedter ausgelobt. Einiges davon investierten diese in die Ausrüstung, die mittels Belüftungsanlage für frischen Sauerstoff unter Tage sorgte sowie eine Pumpe, die bei Einbrüchen von Wasser das Schlimmste verhinderte. Doch ein Teil des Geldes ging auch direkt an das Trio, das es NBC im Gegenzug ermöglichte, eine Dokumentation über das Projekt "Fluchthilfe" zu drehen.

Das Wasser kam

Von derlei Abmachungen wusste der Großteil der Fluchthelfer nichts, der sich unverdrossen gen Osten grub. Es war harte Arbeit, schmutzige Arbeit. Im Schichtsystem, in einem Tunnel, dessen Höhe nicht einmal einen Meter betrug. "Eine Knochenarbeit", sagte Joachim Rudolph der "Berliner Morgenpost".

Wasser drang ein, es gab Verzögerungen, letztlich folgte der Triumph, am 14. September 1962 war der Trupp am Ziel angelangt. Nur war es die Schönholzer Straße 7, statt die Rheinsberger. Das Wasser hatte den ursprünglichen Plan zunichtegemacht. Aber immerhin: Die unterirdische Verbindung war hergestellt, mehr als 130 Meter lang.

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Nun konnte es losgehen. Nach und nach trafen die Fluchtwilligen ein, es gab rührende Szenen. "Sie fielen sich um den Hals. Das waren Momente, die werde ich nie in meinem Leben vergessen", erzählte Rudolph der "Berliner Morgenpost". Immer mehr Menschen kamen und krochen in die Freiheit, 29 an der Zahl. Womit der Fluchttunnel auch den Namen erhielt: Tunnel 29.

"Sie hatten die größte Flüchtlingsgruppe nach Westberlin gebracht, die jemals durch einen Tunnel unter der Mauer hindurchgeschleust wurde", lobte der "Spiegel" die fleißigen "Maulwürfe". Dass nicht mehr Leute den Tunnel 29 am 14. und 15. September 1962 passieren konnten, lag am leidigen Wasser. Irgendwann stieg es so hoch, dass der Weg versperrt war.

Geld und Moral

Eigentlich sollte bei allen Beteiligten Freude über das gute Gelingen des Plans herrschen. Doch als die hohe Summe bekannt wurde, die NBC für die Filmrechte an Sesta, Spina und Schroedter bezahlt hatte, in deren Genuss dann noch ein weiterer Helfer kam, war es mit dem Zusammenhalt vorbei.

Manche kritisierten, dass Geld für diese doch eigentlich selbstlose Tat geflossen war. "Wir distanzieren uns nachdrücklich von allen Leuten, die aus dem Versuch, Flüchtlingen zu helfen, ein lohnendes Geschäft machen", kritisierten dem "Spiegel" zufolge 17 am Bau Beteiligte.

Fluchthilfe gegen Bezahlung? Das war nicht nur eine moralische, sondern auch eine politische Frage. Denn wie sah es aus, wenn eher das Geld im Vordergrund stand, als die Hilfe für fluchtwillige Menschen? So lautete die Befürchtung. Am 14. und 15. September 1962 herrschte aber zunächst einmal die Freude vor, dass 29 Menschen der DDR hatten Adieu sagen können.

Verwendete Quellen
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