Erdbebenlawine am Everest Wie ein "50 Stock hohes Gebäude in Weiß"
Für tausende Menschen bedeutete das Erdbeben in Nepal den Tod. Auch auf dem Mount Everest kamen mindestens 18 Bergsteiger ums Leben. Überlebende berichten von einer gigantischen Lawine am Fuße des höchsten Berges der Erde, die durch die Erschütterungen ausgelöst wurde.
Als ob ein "50 Stock hohes Gebäude in Weiß" auf ihn zuraste: So beschreibt ein überlebender Bergsteiger den Augenblick der Katastrophe. Andere sprechen von einer "riesigen Druckwolke", die am Samstagmittag durch das Basislager am Fuße des Mount Everest pflügte, nachdem das Erdbeben die Himalaya-Region erschüttert hatte. Die Lawine hatte sich am gut 7000 Meter hohen Berg Pumori gelöst - nur wenige Kilometer vom Everest entfernt.
Überlebende berichten von unvorstellbarem Glück
"Ich rannte, und es warf mich um. Ich versuchte aufzustehen, doch es warf mich erneut um", sagt George Foulsham über den Moment, als ihn die Lawine traf. "Ich konnte nicht atmen, ich dachte, ich wäre tot."
Der Meeresbiologe Foulsham befand sich wie hunderte andere Bergsteiger, Führer und Träger in dem Basislager in 5270 Metern Höhe an der Grenze zu China, um sich auf die Besteigung des Mount Everest vorzubereiten. Als die Lawine große Teile des Lagers überrollte, hatte Foulsham unglaubliches Glück. "Ich konnte nicht glauben, dass es über mich hinweg gegangen war und ich fast unverletzt war", berichtet er einer Reporterin, die zum Zeitpunkt des Unglücks ebenfalls im Basislager war.
Pemba Sherpa - ein weiterer Überlebender - sagt, er sei überrascht, dass er überlebt habe. Er sei beim Erdbeben aus seinem Zelt gestürmt und habe draußen gestanden. "Ich hörte großen Lärm und das nächste, was ich weiß, ist, dass ich vom Schnee mitgerissen wurde. Ich muss fast 200 Meter mitgeschleift worden sein." Später habe er sein Bewusstsein wiedererlangt: "Ich war in einem Zelt, umringt von Ausländern. Ich wusste nicht, was passiert war oder wo ich war."
Über 100 Bergsteiger sitzen noch fest
Doch für mindestens 18 Menschen brachte die Lawine den Tod. Unter ihnen ist auch Google-Manager Dan Fredinburg. Augenzeugen vermuten allerdings, dass die Zahl der Todesopfer sogar deutlich höher liegt, denn Dutzende Menschen werden noch vermisst.
Nach Angaben der Polizei aus dem Ort Lukla klärte sich das schlechte Wetter am Sonntagmorgen auf und Helikopter konnten ins Basislager starten. 61 Verletzte seien ins Tal gebracht worden.
Mehr als 100 Bergsteiger säßen Zeugenberichten zufolge aber in höher gelegenen Camps fest. Der einzige Weg für sie zurück ins Basislager führt durch den gefährlichen und teils von 100 Meter tiefen Spalten durchzogenen Khumbu-Eisbruch. Die Route verläuft zwischen riesigen Eisblöcken (Seracs). Da der Gletscher in Bewegung ist, sind sie ständig vom Umstürzen bedroht. Besonders ausgebildete Sherpas sichern die Route zu Beginn der Saison mit Aluminiumleitern und Führungsseilen. All diese Sicherheitsvorkehrungen wurden jedoch durch die Lawine zerstört, berichtet der Bergsteiger Daniel Mazur von vor Ort auf seiner Homepage.
Ärztin: 25-jähriger Sherpa starb vor ihren Augen
Unter den Bergsteigern im Basislager war auch die Kardiologin Ellen Gallant. Nach der Lawine sei sie zusammen mit einem anderen Bergsteiger, einem Arzt der indischen Armee, ins Krankenzelt geeilt, um sich um Verletzte zu kümmern, erzählt sie. "Wir haben die ganze Nacht durchgearbeitet, uns abgewechselt, Medikamente verteilt, Infusionen gelegt", sagt Gallant. Die medizinischen Mittel seien rudimentär gewesen. Einen der neun Verletzten habe sie nicht retten können, einen 25 Jahre alten nepalesischen Sherpa.
"Sein Blutdruck war gefallen, es gab nichts, was wir tun konnten", so Gallant sichtlich erschüttert. Nachdem am Morgen der Schneefall aufgehört hatte, seien mehrere Helikopter eingetroffen und hätten acht Verletzte fortgebracht, sagt Gallant. "Wenn du Medizin studierst, lernst du, dich auf die anstehenden Aufgaben zu konzentrieren. Doch nun, da die Dinge sich beruhigt haben, hat es mich hart getroffen. Dieser junge Mann, der vor meinen Augen starb - ein 25-Jähriger sollte nicht sterben müssen."
"Dieser Berg bedeutet zu viel Leid"
Erst letztes Jahr hatte eine Lawine am Everest 16 Nepalesen in den Tod gerissen, die an der Aufstiegsroute Sicherungen legten. "Nach der Lawine letztes Jahr, hatte ich keine Angst zurückzukehren", sagt der nepalesische Koch Kanchaman Tamang. "Ich sagte meiner Familie, ich arbeite im Basislager, das ist sicher." Doch nun sei alles anders. "Die Saison ist vorbei, die Route wurde zerstört, die Eisleitern sind zerbrochen", berichtet Tamang. "Ich glaube nicht, dass ich nächstes Jahr zurückkomme. Dieser Berg bedeutet zu viel Leid."
Der Bergsteiger Foulsham, der die Lawine knapp überlebte, gesteht ein, dass sein Traum von der Besteigung des Everest nun womöglich nie wahr werde. Er hatte bereits letztes Jahr versucht, den Everest zu bezwingen, doch nach der tödlichen Lawine war die Klettersaison abgesagt worden. "Ich habe über Jahre gespart, um den Everest zu besteigen", so Foulsham, während er mit anderen Bergsteigern auf einen Helikopter wartet, um ins Tal zu fliegen. "Doch es scheint, der Berg sagt, dass er das derzeit nicht will."