Mehr als 150 Journalistinnen und Journalisten berichten rund um die Uhr für Sie über das Geschehen in Deutschland und der Welt.
Zum journalistischen Leitbild von t-online.Zwei Blitztote und mehrere Verletzte "Die Familie hat einen Riesenfehler gemacht"
Zwei junge Männer sind tot, ein Kind und ein Jugendlicher schweben in Lebensgefahr. Was hat es mit den vielen Blitzopfern vom Sonntag auf sich?
Am Sonntag sind mehrere Menschen in Deutschland und Österreich von Blitzen getroffen worden. Ein 18-Jähriger war als Ausflügler auf der Zugspitze und wollte gerade vom Gipfel zurück, als ihn ein Blitz erschlug. Ihn trennten keine 80 Meter vom sicheren Aufenthalt im Inneren der Bergstation.
In Osttirol geriet unterdessen ein 22-Jähriger mit Mutter und Bruder beim Wandern in ein Unwetter. Während die anderen unter einem Felsvorsprung Schutz suchten, wollte der junge Mann eine nahe Hütte erreichen. Auch er starb.
Und im niedersächsischen Delmenhorst erwischte es am selben Nachmittag eine ganze Familie: Acht Personen hatten sich unter einen Baum gestellt, als Blitz und Donner losbrachen. Ein fünfjähriger Junge und ein 14-jähriges Mädchen mussten reanimiert werden.
So viele Blitzopfer: Ist das noch normal?
"Das ist schon außergewöhnlich", sagt der Neurologe Berthold Schalke, der am Bezirksklinikum Regensburg die Arbeitsgruppe "Blitzopfer" leitet. "Normal ist das nicht."
Vor allem nicht, weil gar nicht so besonders viele Blitze einschlugen: Am Sonntag registrierte der Blitz-Informationsdienst Blids insgesamt 5.046 Wolke-Erde-Blitzentladungen in Deutschland. Das ist zwar die dritthöchste Zahl im aktuellen Juli, aber im vergangenen August erfasste Blids sogar an drei Tagen jeweils rund 10.000 Blitze über Deutschland. Schwer von einem Blitz getroffen wurde niemand an einem dieser drei Tage.
Aber Schalke zieht einen Vergleich zum Lotto: Als im Jahr 1977 kurz hintereinander erst in den Niederlanden und dann in Deutschland die exakt gleichen Gewinnzahlen gezogen wurden, sei das auch nicht normal gewesen – sondern ein aufsehenerregender Zufall im Rahmen des Möglichen.
Welche Verletzungen weisen Blitzopfer auf?
Im Plasmakanal eines Blitzes wird es viele Tausend Grad heiß, schildert Schalke. An der Einschlagstelle würden Blitzopfer daher Verbrennungen dritten Grades von der Größe eines früheren Fünf-Mark-Stückes erleiden – dieser Durchmesser entspricht laut dem Neurologen in etwa der Dicke eines Blitzes. Die Wunde an der Austrittsstelle sei hingegen meist deutlich kleiner.
Die größten Verbrennungen auf dem Körper entstünden, weil die Menschen nass von Regen und Schweiß seien und der Strom über die Haut abgeleitet werde, führt Schalke weiter aus. Es kann auch zu sogenannten Strommarken kommen, dann zeichnet sich Metallschmuck auf der Haut ab. Unangenehm kann zudem das Tragen von Kunststoffkleidung werden, die schmilzt und sich in die Haut brennt. Schalke empfiehlt: Direkt auf der Haut Naturfasern tragen.
Wann habe ich eine Überlebenschance?
"Bei einem Full Strike auf den Kopf sterben fast alle", sagt Schalke. Der Blitz zerfetzt dann lebenswichtige Blutgefäße, die Überlebenschancen gehen gegen null.
Bei einem sogenannten Ground Strike, also einem Blitz, der in der Nähe in den Boden fährt, oder auch bei einem Treffer in den Rumpf sehe es anders aus. Dann sei die größte Gefahr, dass man alleine ist – und einen niemand reanimieren kann, falls der Blitz einem das Herz ausschaltet.
Am Herzen entstünden nämlich zumeist keine strukturellen Schädigungen, so Schalke. Es bleibe durch den Blitz jedoch stehen. Wenn jemand da sei, der schnell Erste Hilfe leiste und den Kreislauf wieder in Gang bringe, lasse sich praktisch jedes dieser Blitzopfer reanimieren.
Welche Folgeschäden gibt es?
Oft wird laut Schalke das Trommelfell zerrissen. Es kann auch zu Schäden am Innenohr oder am Auge kommen, etwa zu Verbrennungen der Hornhaut. Oder der Blitz zerstört dünne Nervenfasern, die den Menschen Temperatur oder Schmerz fühlen lassen: "Einen Koch, der nicht mehr fühlt, wenn er etwas Heißes anfasst, kann das den Job kosten", sagt Schalke.
Relativ häufig komme es überdies zu neurokognitiven Ausfällen: Den Patienten falle es schwer, Zusammenhänge zu erkennen, das Kurzzeitgedächtnis sei geschädigt, Kopfrechnen kaum noch möglich. Lähmungen kämen hingegen seltener vor, aber auch sie seien möglich. Auch Herzrhythmusstörungen seien seltener als von vielen vermutet.
Sind die Menschen zu leichtsinnig bei Gewitter?
"Viele Leute unterschätzen die Gefahr", sagt Wolfgang Schulz, Leiter des Blitz-Informationsdienstes Blids. Alle Blitzunfälle seien vermeidbar. Die Menschen müssten sich nur informiert halten und sich rechtzeitig in Gebäuden oder in einem Auto in Sicherheit bringen, dann drohe kein Unheil.
Trägt die Zugspitzbahn Mitverantwortung am Tod vom Sonntag?
Als das Gewitter am Sonntag an der Zugspitze aufzog, war der tödlich verletzte 18-Jährige mit zwei Begleitern auf dem Gipfel. Ist es nicht fahrlässig, dass er bei Gewittergefahr das Gebäude der Bergstation überhaupt verlassen konnte?
"Nein", sagt dazu Blids-Chef Schulz. "Der Berg ist kein Spielplatz." Wer auf ihm unterwegs sei, sei für sich selbst verantwortlich. Jedem solle klar sein: "Bei einem Gewitter verlasse ich die Bergstation nicht."
Im Übrigen gelte: Je weiter man in den Bergen hinauf komme, umso höher sei die Blitzdichte. "Wenn ich bei einem am Nachmittag drohenden Unwetter trotzdem unbedingt zum Gipfel will, muss ich eben mit der ersten Gondel am Morgen fahren."
Was mache ich bei einem Gewitter im Park?
"Nur nicht auffallen", lautet die Devise der Blitz-Experten. Das heißt: Bloß nicht unter einen einzelnen Baum stellen. "Die Familie in Delmenhorst hat insofern einen Riesenfehler gemacht", sagt Professor Schalke von der Arbeitsgruppe "Blitzopfer".
Wir benötigen Ihre Einwilligung, um den von unserer Redaktion eingebundenen X-Inhalt anzuzeigen. Sie können diesen (und damit auch alle weiteren X-Inhalte auf t-online.de) mit einem Klick anzeigen lassen und auch wieder deaktivieren.
Allerdings sei es auch unklug, aufrecht 30 Meter neben einem einsamen Baum zu stehen, ergänzt Blids-Leiter Schulz. "Denn dann überlegt sich der Blitz vielleicht, schlag' ich jetzt in den Baum ein oder in die Person?"
Wer keinen Schutz in einem Gebäude finde, solle sich eine möglichst niedrige Stelle suchen, etwa eine Bodenmulde, und dort mit geschlossenen Beinen in die Hocke gehen.
Wieso kann es unter ein und demselben Baum Leichtverletzte und Tote geben?
Das Risiko von schweren Verletzungen hängt von verschiedenen Faktoren ab. Gefährlich werde es unter anderem, wenn der Blitzstrom etwa von einem Ast auf eine darunter stehende Person überspringe, sagt Schulz.
Aber auch wer nicht auf diese Weise vom Blitz getroffen wird, habe je nach Standort und Fußhaltung unterschiedliche Überlebenschancen. Über den Boden breite sich der Strom nach dem Einschlag kreisförmig aus. Stehe der eine Fuß deutlich näher zum Einschlag als der andere, gebe es eine hohe sogenannte Schrittspannung. Daher gilt: Je näher die Füße nebeneinander sind, umso besser. Schulz: "Wer kann, kann auch auf einem Bein stehen."
- Telefonate mit den Blitzexperten Berthold Schalke und Wolfgang Schulz
- Eigene Recherche