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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Erdbeben im türkisch-syrischen Grenzgebiet Helferin: Behörden behindern Hilfstransporte in Syrien
Kommt dringend benötigte Hilfe nicht bei den Erdbeben-Opfern an? Eine Helferin berichtet t-online von einem Checkpoint in kurdisch-syrischem Gebiet.
Nach der Erdbebenkatastrophe in der Türkei und Syrien mehrt sich Kritik, dass Hilfe insbesondere bei Opfern im Nordwesten Syriens nicht ankomme. Helfende von Nichtregierungsorganisationen hatten bereits kurz nach den verheerenden Beben darüber geklagt, dass Grenzposten die Zustellung von Transporten blockierten.
Der Nordwesten Syriens, der von den Erdbeben besonders stark getroffen wurde, wird in Teilen von verschiedenen Rebellengruppen und in Teilen vom syrischen Regime kontrolliert. Nahe Al-Bab, einem inländischen Checkpoint vom kurdisch geprägten zum syrischen Gebiet nordöstlich von Aleppo, ist derzeit Fee Baumann vom Kurdischen Roten Halbmond/Medico im Einsatz. Sie koordiniert Hilfstransporte an Bedürftige und kritisiert gegenüber t-online, dass sowohl von türkischer als auch syrischer Seite die Transporte blockiert würden.
"Wir wollen Zelte, Matratzen, Decken, Babynahrung und Medikamente transportieren. Und wir haben Ärzte, Paramedics und zwei Ambulanzen dabei", sagt Baumann am Sonntag am Telefon. Das Ziel: Shahbah, etwas weiter südlich, und Aleppo City, ein Stadtteil der auch hauptsächlich von Kurdinnen und Kurden bewohnt ist. Doch derzeit geht nichts voran. Statt passieren zu dürfen, warten Baumann und ihr Team vergeblich auf die Genehmigung der syrischen Behörden – seit eineinhalb Tagen. Im Erdbebengebiet mit zahlreichen unversorgten Verletzten komme es aber auf schnelle Hilfe an, sagt Baumann, die Zeit dränge.
Helferin spricht von "hochkorrupten Vorgängen"
"Am Telefon wurde uns mitgeteilt, dass wir nur eine Genehmigung bekommen, wenn wir mindestens die Hälfte aller Hilfsgüter abgeben, inklusive einer Ambulanz. Was damit genau passieren soll, wurde uns nicht gesagt." Auch sei nicht auf das Angebot eingegangen worden, in anderen Gebieten zu helfen, die betroffen sind, sagt Baumann. Sie spricht von "hochkorrupten Vorgängen". Gerade in dieser Situation könnte das tatsächlich Menschenleben kosten und "das ist inakzeptabel".
"Hier gehen normalerweise alle Transporte zwischen der kurdischen autonomen Selbstverwaltung und dem syrischen Regierungsgebiet durch", schildert Baumann weiter. "Wir hatten immer Probleme, Hilfslieferungen hier herzubringen, hatten aber gehofft, dass angesichts der Lage, politische Differenzen keine Rolle mehr spielen."
Ihren Schilderungen nach scheint das Gegenteil der Fall zu sein. 100 Trucks der kurdischen Selbstverwaltung, beladen vor allem mit Diesel zum Heizen und zum Betanken der Räumfahrzeuge und ein wenig Medizin, seien über Stunden an der Weiterfahrt ins kurdisch geprägte Afrin gehindert worden – von türkischen Behörden.
Baumann zufolge drehten die Trucks letztlich um und fuhren stattdessen nach Aleppo, wo ebenfalls Hilfsgüter dringend benötigt würden. Doch nur 50 konnten fahren, die andere Hälfte stehe am selben Punkt wie Baumann und ihr Team. Gemeinsam warteten sie auf Genehmigung, weiterfahren zu dürfen.
Die Türkei kämpft in der Grenzregion zu Syrien gegen Kurden und Kurdenrebellen. Baumann berichtet, die Türkei übe Druck auf das syrische Regime aus, keine Hilfsgüter aus Nordostsyrien durchzulassen.
UN: "Haben die Menschen im Stich gelassen"
Unterdessen räumten am Sonntag auch die Vereinten Nationen Versäumnisse in der Versorgung von Opfern in Syrien ein. "Wir haben die Menschen im Nordwesten Syriens bisher im Stich gelassen", schrieb der UN-Nothilfekoordinator Martin Griffiths am Sonntag bei Twitter während eines Besuchs in der syrisch-türkischen Grenzregion. Diese Menschen hätten das Gefühl, man habe sie aufgegeben. "Sie halten Ausschau nach internationaler Hilfe, die nicht eingetroffen ist." Es sei seine Pflicht, diese Fehler so schnell wie möglich korrigieren zu lassen, erklärte Griffiths.
Derzeit gibt es nur einen Grenzübergang (Bab al-Hawa), über den die Vereinten Nationen Hilfe in Gebiete liefern können, die nicht von der Regierung kontrolliert werden. Die syrische Regierung will humanitäre Hilfe komplett durch die von ihr kontrollierten Gebiete fließen lassen.
In Syrien herrscht seit fast zwölf Jahren ein Bürgerkrieg. Rund sieben Millionen Menschen sind im Land durch Kämpfe vertrieben worden, die meisten davon Frauen und Kinder. Krankenhäuser sind überlastet oder können wegen Treibstoffmangels nicht arbeiten, es fehlt an Trinkwasser, Lebensmitteln, Arzneimitteln und mehr. Der Nordwesten ist dicht besiedelt: Seit Beginn des Bürgerkriegs im Jahr 2011 hat sich die Bevölkerung durch die Vertriebenen hier verdreifacht.
- Telefonat und schriftlicher Kontakt mit Fee Baumann, 12. Februar 2023
- Mit Material der Nachrichtenagentur dpa