Entwicklung der Tierzucht 25 Jahre Klonschaf Dolly – was von der Sensation geblieben ist
Ein Schaf, das zu Weltruhm gelangte: Dolly war der erste Klon eines erwachsenen Säugetiers. Experten sahen großes Potenzial der Technologie, auch für die Tierzucht. Haben sich die Erwartungen erfüllt, 25 Jahre nach der Geburt von Dolly?
"Lebensfähige Nachkommen aus fötalen und adulten Säugetierzellen erhalten" – mit diesem nüchternen Titel verkündeten Forscher im Februar 1997 eine Sensation: die Geburt des ersten Klons eines erwachsenen Säugetiers – besser bekannt als Dolly. Fast acht Monate hatten die Wissenschaftler den Durchbruch geheim gehalten. Das Schaf war bereits am 5. Juli 1996 zur Welt gekommen.
Das Team um Ian Wilmut vom Roslin-Institut nahe Edinburgh in Schottland hatte den Kern aus der Euterzelle eines erwachsenen Schafs in eine entkernte Eizelle eines anderen Schafes eingesetzt. Der so entstandene Embryo wurde von einem dritten Schaf ausgetragen. Mit der Geburt von Dolly stand fest, was viele Wissenschaftler anzweifelten: Das Klonen von erwachsenen Säugetieren ist möglich.
"Ich bin noch immer fasziniert davon, dass Klonen überhaupt funktioniert", sagt Claudia Klein, Leiterin des Instituts für Nutztiergenetik am Friedrich-Loeffler-Institut, Bundesforschungsinstitut für Tiergesundheit (FLI). "Sie nehmen eine ausdifferenzierte Zelle wie etwa eine Bindegewebszelle, und wenn Sie die in eine Eizelle stecken, wird daraus auf einmal ein Embryo. Das ist für mich immer noch ein absolutes Wunder."
"Zum ersten Mal war der Mensch in der Lage, den Kreislauf der Vermehrung bei Säugetieren selbst zu gestalten", erinnert sich Christoph Then vom Institut Testbiotech in München. "Das hatte fast eine metaphysische, auf jeden Fall eine größere gesellschaftliche Dimension."
Vor 25 Jahren reagierte die Wissenschaftsgemeinde weniger staunend, sondern eher schockiert. Es gab Befürchtungen, das Klonen von Menschen sei der unvermeidliche nächste Schritt, Forderungen nach einem weltweiten Moratorium wurden laut. Andere fürchteten den Schwund der Artenvielfalt, sahen mit Beginn des "Klonzeitalters" die Einzigartigkeit des Lebens insgesamt infrage gestellt und warnten vor den unabsehbaren Folgen der Gentechnik.
Kein menschlicher Klon
Heute hat sich die Aufregung weitgehend gelegt. Ein menschlicher Klon wurde nicht nachweislich erschaffen. Eher im Stillen haben Forscher in den vergangenen Jahren andere Säugetiere zu Forschungszwecken geklont, darunter Mäuse, Ziegen, Rinder, Schweine, Katzen, Hunde, Pferde und auch Affen. Kommerziell genutzt wird die Technologie beim Klonen von geliebten Haustieren oder hochwertigen Renn- und Polopferden. Auch in der medizinischen Forschung spielt Klonen eine Rolle, etwa bei der Zucht von tierischen Spenderorganen.
Früh diskutierten Experten das Potenzial der Klontechnologie in der Tierzucht. Die grundlegende Idee dahinter: Man macht Klonkopien von jenen Tieren, die durch ihr gutes Fleisch, besonders viel Milch oder Wolle auffallen, und erhält diese Eigenschaften so über den Tod der Tiere hinaus. Wird so etwas heute gemacht – und gelangen damit womöglich auch Produkte geklonter Tiere in den Lebensmittelhandel?
In Deutschland und der EU spiele das Klonen in der Tierzucht bisher eine untergeordnete Rolle, sagt FLI-Forscherin Klein. "Das Verfahren ist so aufwendig, dass es – wenn überhaupt – nur in Spezialfällen zur Anwendung kommt." Geklonte Tiere dürften hierzulande nicht in die Lebensmittelkette gelangen.
Wenig praktikabel
Grundsätzlich scheint es wegen des hohen Aufwands wenig praktikabel, Tiere für den unmittelbaren Verzehr zu klonen. Naheliegender ist die Idee, Klone von besonders hochwertigen Zuchttieren zu erschaffen, um mit deren Sperma weiteren Nachwuchs zu zeugen. So könnte zum Beispiel ein Bulle mit der Resistenz gegen eine bestimmte Krankheit geklont werden, sein Nachwuchs wäre dann mit hoher Wahrscheinlichkeit ebenfalls resistent. In den USA wird das gemacht. "In Brasilien zum Beispiel klonen Rinderzüchter ihre Superkühe, die sind dort so etwas wie ein Statussymbol", erzählt Klein.
Dort kann das Fleisch von Nachkommen geklonter Tiere in geringem Umfang auch in Lebensmitteln zu finden sein. Und über die Einfuhr von Sperma zu Zuchtzwecken könnten zumindest Nachkommen geklonter Tiere auch den europäischen Markt erreichen. "Wir gehen allerdings nicht davon aus, dass das in größerem Stil passiert ist", sagt Then. Weder Verbraucher noch Tierzüchter hätten hierzulande Interesse an solchen Produkten.
Problematisch aus gesundheitlicher Sicht wäre der Verzehr von Klontieren oder ihren Nachkommen nach Ansicht von Experten nicht. In den USA urteilte die zuständige Behörde FDA bereits 2006, dass "Fleisch und Milch von Kuh-, Schweine- und Ziegenklonen und den Nachkommen aller Tierklone genauso sicher sind wie Lebensmittel, die wir täglich essen". Eine gesonderte Ausweisung von Produkten geklonter Tiere hält die Behörde für nicht nötig. Es sei höchst unwahrscheinlich, dass Fleisch von Klonen in Supermärkte gelange – eben weil Klone eher als Elite-Zuchttiere und nicht als Lebensmittel selbst verwendet würden.
Bedenken nicht nur beim Tierschutz
Zum gleichen Schluss hinsichtlich der Sicherheit kam 2008 auch die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) in einem mittlerweile mehrfach aktualisierten Gutachten. Allerdings äußerten europäische Experten tierschutzrechtliche Bedenken zum Klonen in der Tierzucht. Sterblichkeit und Krankheitsanfälligkeit sind bei geklonten Tieren höher als bei normal gezeugten. Sie können an Herz-Kreislauf-Versagen, Immundefekten, Leberversagen, Atemproblemen oder Abnormitäten von Nieren, Muskeln und Skelett leiden. Einige Nachkommen von Klontieren sind zudem extrem groß, was als "Large Offspring Syndrome" bekannt ist.
"Viele Klone haben bei der Geburt Gesundheitsprobleme", sagt FLI-Forscherin Klein. "Der Umprogrammierungsprozess ist nicht perfekt. Die Tiere brauchen am Anfang ihres Lebens eine Intensivbehandlung." Auch bei den Leihmüttern komme es oft zu Problemen in der Schwangerschaft und zu frühen Abgängen. Vor allem aufgrund dieser tierschutzrechtlichen Bedenken hat das EU-Parlament seit Vorstellung des Gutachtens mehrere Versuche unternommen, das Klonen von Tieren für die Lebensmittelerzeugung zu verbieten. Bisher erzielten die Mitgliedsländer darüber keine Einigkeit.
Neben ethischen Bedenken ist die nach wie vor hohe Komplexität sicher ein Grund dafür, dass sich Klonen nicht wie erwartet durchgesetzt hat. "Seit der Entwicklung des Verfahrens hat sich die Effizienz nicht wesentlich verbessert", erläutert Klein. Um Dolly zu erzeugen, waren mehr als 270 Eizellen nötig. Gut 300 Eizellen brauchte es, um zwei 2018 vorgestellte Klonaffen zu schaffen. Heute liege die Effizienz abhängig von der Tierart bei etwa drei bis vier Prozent, erläutert Klein. Das heißt, aus drei bis vier von 100 behandelten Eizellen geht ein lebensfähiger Klon hervor.
Bedeutung vom Klonen kann wachsen
Klonen könnte künftig mehr Bedeutung erlangen, wenn es in Kombination mit anderen mittlerweile verfügbaren Gentechnologien eingesetzt würde, etwa der Genschere Crispr/Cas9, sagt Klein. Damit könnten präzise Veränderungen in das Genom von Zellen eingefügt werden, deren Kerne dann wie beim Dolly-Verfahren in entkernte Eizellen übertragen würden. Am Institut erforsche man die Möglichkeit, etwa hornlose Rinder zu züchten oder Schweinepest-resistente Schweine, sagt Klein.
Anwendungen dieser Art hatte Ian Wilmut bereits im Kopf, als er an der Erzeugung von Dolly arbeitete. "Die Kerntransfer-Forschung am Roslin-Institut wurde mit dem Ziel initiiert, präzise genetische Veränderungen in Nutztierarten einführen zu können, indem man die gewünschte Veränderung in Zellen vornimmt, die dann als Kernspender verwendet werden", schrieb er 2015 in einem Artikel.
In den USA ist dieser Ansatz kommerziell umgesetzt. Im Dezember 2020 genehmigte die FDA erstmals gezielt gentechnisch-veränderte Schweine für die Herstellung von Lebensmitteln und für Medizinprodukte. Das Unternehmen Revivicor – ein Ableger des britischen Unternehmens PPL Therapeutics, das in Kooperation mit dem Roslin-Institut Dolly erschuf – hatte mithilfe der Genschere und des Klonverfahrens Schweine erzeugt, die aufgrund eines fehlenden Enzyms keine Alpha-Gal-Zucker mehr auf den Oberflächen ihrer Zellen tragen.
Fleisch dieser Tiere könne auch von Menschen verzehrt werden, die allergisch auf diese Zucker reagieren, so das Unternehmen. Auch bestimmte Medizinprodukte, die mithilfe von "GalSafe"-Schweinen produziert werden, etwa der Blutverdünner Heparin, seien für diese Allergiker sicherer.
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Nach Ansicht von Klein ließe sich Klonen darüber hinaus einsetzen, um vom Aussterben bedrohte Nutztierrassen zu erhalten. "Wir haben das hier exemplarisch am Institut mal ausprobiert und einen Lakenvelder-Bullen geklont. Das hat gut geklappt, Frodo lebte hier am Institut und hat auch mehrere Nachkommen gezeugt." Im größeren Maßstab werde das aber noch nicht praktiziert.
Hat Klonen die Tierzucht revolutioniert?
Noch sind es Nischen, in denen das Klonen in den vergangenen 25 Jahren Einzug gehalten hat. "Das hat die Tierzucht nicht revolutioniert", sagt Testbiotech-Geschäftsführer Then. Wie es mit dem Klonen im nächsten Vierteljahrhundert weitergeht? Dass die Technologie doch noch Mainstream wird, glaubt Then nicht, eher das Gegenteil. "Vielleicht ist das Klonen in 25 Jahren ein Fall fürs Museum."
Dieses Schicksal hat zumindest Dolly ereilt, den ersten Säugerklon der Welt: Das berühmte Schaf steht ausgestopft im schottischen Nationalmuseum in Edinburgh, wo es die Besucher freundlich und auch ein bisschen fragend aus einer Vitrine heraus anschaut. Ein langes Leben war der biologischen Sensation nicht vergönnt: Im Alter von nur sechs Jahren wurde Dolly eingeschläfert. Normalerweise können Schafe bis zu 20 Jahre alt werden.
Mit dem Klonen hatte ihr früher Tod nach Angaben der Forscher nichts zu tun. Sie litt an einem durch Viren hervorgerufenen Lungentumor und an einer Gelenkentzündung im Hinterbein. Letzteres könne, wenn wohl auch nicht unmittelbare Folge des Klonens, immerhin doch eine Konsequenz ihrer Berühmtheit gewesen sein: "Wir haben uns angewöhnt, sie mit Futter zu ermutigen, zu einem bestimmten Punkt für einen Fotografen zu kommen. Infolgedessen wurde sie übergewichtig, bis eine Diät eingeführt wurde", berichtete Wilmut 2015. Dies könne – genau wie ihre lebenslange Haltung auf Betonboden und ihre ungewöhnliche Angewohnheit, auf den Hinterbeinen stehend gegen einen Zaun zu lehnen – zur Entstehung der Arthritis beigetragen haben.