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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Rassismus in der High Society "Diese reichen Kinder denken so, das ist ihre Ideologie"
Feiernde haben auf Sylt rechtsextreme Parolen gegrölt und den Hitlergruß gezeigt. Dieser Rassismus ist immer da, sagt einer, der sich in der High Society auskennt.
Die Empörung nach den rechtsextremen Ausfällen auf der Ferieninsel Sylt ist groß. Gäste der Diskothek "Pony" hatten am Pfingstwochenende den Hitlergruß gezeigt und die rechtsextreme Parole "Deutschland den Deutschen, Ausländer raus" auf die Melodie der Techno-Hymne "L'amour toujours" des italienischen DJ Gigi D'Agostino skandiert. Wie Rechte sich den Song aneigneten, können Sie hier nachlesen.
Ramin Seyed kennt die High Society, die so gerne auf Sylt feiert, seit vielen Jahrzehnten. Der gebürtige Iraner organisiert Veranstaltungen und züchtet Sportpferde. Im Interview mit t-online erklärt er, warum er keine Geschäfte auf Sylt macht und welche rassistischen Erfahrungen er mit Deutschlands Reichen und Schönen schon gemacht hat.
t-online: Herr Seyed, Sie sind Veranstalter. Viele Promis sind über Ihre roten Teppiche gelaufen. Welche Erfahrungen haben Sie in ihrem Beruf schon mit dem Thema Rassismus gemacht?
Ramin Seyed: Sehr viele, und das schon seit vielen Jahrzehnten. Egal ob bei der Sponsorensuche für Veranstaltungen oder auf der Suche nach Locations: Viele Türen werden dir vor der Nase zugeschlagen, wenn du kein preußisches Aussehen oder einen deutschen Nachnamen hast.
Bemerken Sie die Vorurteile auch im Privaten?
Ja, definitiv. Ich bin mit einer Deutschen verheiratet, einer Springreiterin. Wir züchten Holsteiner Springpferde und Oldenburger Dressurpferde. Und wenn ich bei neuen Kontakten nicht direkt sage, dass ich in ihre Projekte investieren oder ein Pferd bei ihnen kaufen möchte, fragen die sich, was diese tolle Springreiterin mit so einem komischen Ausländer will.
Und wenn die Menschen dann erfahren, wer Sie sind?
Dann ändert sich deren Verhalten komplett. Sie googeln mich und sehen Bilder von mir mit Promis wie Til Schweiger. Dann wollen sie plötzlich, dass ich in ihr Unternehmen investiere oder bei ihnen ein Pferd kaufe. Dann ist egal, wo ich herkomme.
Das Video, in dem Gäste des "Pony" auf Sylt rechtsextreme Parolen riefen und den Hitlergruß zeigten, ist viral gegangen. Haben Sie auf der Insel ähnliche Erlebnisse gemacht?
Auf Sylt mache ich gar keine Geschäfte mehr. Ich war zweimal dort, werde aber nie wieder dorthin fahren. Anfang der 2000er-Jahre wollte ich dort eine Eventreihe veranstalten, mit einem Partner, der mir das angeboten hatte. Dann habe ich mit einem bekannten Gastronomen gesprochen, der damals zu mir sagte: "Solche Kanaken haben auf Sylt nichts verloren." Als ich nach Hamburg, wo ich lebe, zurückgekommen bin, habe ich lange gebraucht, um diesen Rassismus zu verarbeiten.
Was denken Sie über die Feiernden auf Sylt, die im Video "Deutschland den Deutschen, Ausländer raus" gesungen haben?
Was diese Leute dort gemacht haben, ist nicht unter dem Einfluss von Drogen oder Alkohol geschehen. Diese reichen Kinder denken wirklich so, das ist ihre Ideologie! Und das muss man sich mal reinziehen. Die sahen doch wirklich gut aus: gepflegte Haare, teure Kleider. Ich bin mir sehr sicher, dass die aus guten Familien kommen, die alles dafür tun werden, dass die Karrieren ihrer Kinder weitergehen. Das sind für mich Mafiastrukturen!
Was löst dieses Video in Ihnen aus?
Seit 37 Jahren lebe ich in Deutschland, seit 20 Jahren arbeite ich als Veranstalter. Die Gesichter im Video sind die gleichen Gesichter, die ich in dieser Zeit gesehen habe. Mir wird jetzt einiges klar. Das sind die Gesichter, die mir in den vergangenen 37 Jahren sämtliche Türen vor der Nase zuschlagen wollten.
Ramin Seyed
Der Veranstalter und Pferdezüchter Ramin Seyed ist 48 Jahre alt und wurde im Iran geboren. Seitdem er elf Jahre alt ist, lebt er in Hamburg. Seit den 90er-Jahren organisiert er Veranstaltungen und mauserte sich zu einem der Erfolgreichsten in seiner Branche. Prominente wie Til Schweiger, Uwe Ochsenknecht oder Hamburgs Innensenator Andy Grote liefen über seine roten Teppiche. Darüber hinaus züchtet Seyed mit seiner Frau Sportpferde.
Was meinen Sie damit?
Ich nenne Ihnen ein Beispiel: In Berlin wollte ich eine Location für ein Event buchen und bin selbst dort hingefahren, ich hatte sogar einen Besichtigungstermin. Die Vermieter dieser Location haben mir gesagt, sie hätten keine freien Daten für mich. Dann habe ich eine deutsche Freiberuflerin hingeschickt. Sie sollte die Location für dieselbe Veranstaltung, dasselbe Event buchen. Und siehe da: es ging ohne Probleme. Noch besser: Die Dame bekam vom Vermieter gesagt: "Gut, dass sie gekommen sind. Vor ein paar Tagen war so ein komischer Ausländer hier und wollte für Ihre Firma ein Event machen." Da hat sie dann nur gesagt: "Das war mein Chef, einer der größten Veranstalter in Deutschland."
Haben Sie weitere Beispiele?
Ich kaufe keine teuren Autos in Deutschland, sondern nur in Dubai, wo ich meinen Zweitwohnsitz habe. In Deutschland habe ich Angst, dass die Verkäufer von mir denken, ich sei ein Drogendealer. Und das geht Freundinnen und Freunden von mir auch so: Ein türkischstämmiger Chirurg kauft kein teures Auto. Eine Zahnärztin mit Migrationshintergrund kauft kein teures Auto. Ein Anwalt, wie ich ein gebürtiger Perser, kauft kein teures Auto. Die gehen auch nicht nach Sylt. Und das Traurige ist: sie haben recht.
Womit?
Wir alle haben auf Sylt nichts zu suchen. Das ist eine Insel für Deutsche. Es tut weh, wenn ich das so ausspreche.
Reicht Ihnen denn die Entschuldigung, die das "Pony" auf Instagram gepostet hat?
Nein. Ich verlange vom "Pony" keine Entschuldigung, denn sie haben ja nichts falsch gemacht. Aber ich verlange, dass sie die besten Staranwälte einschalten und jeden einzelnen Täter anklagen. Sie könnten damit werben, dass jede Art von Extremismus bei ihnen rigoros angezeigt wird. Aber ob sie sich das leisten können und wollen, ist eine andere Frage.
Beschäftigen Sie Vorfälle wie der auf Sylt?
Ja, weil sie mir die Alltäglichkeit des Rassismus in Deutschland aufzeigen. Aktuell bin ich in Hamburg, aber ich habe heute mit meinem Geschäftspartner Garen Mehrabian in Dubai telefoniert. Er ist bereits vor zwei Jahren dorthin ausgewandert, weil er der Meinung war, er würde nach 30 Jahren in Deutschland immer der Ausländer bleiben. Das wollte er seinen Kindern nicht antun und ist nach Dubai gegangen.
Garen meinte am Telefon zu mir: "Warum regst du dich so auf? Das ist doch normal in Deutschland." Und da ist bei mir der Knoten geplatzt. Ich habe aufgelegt und musste mit den Tränen kämpfen.
Glauben Sie, dass der Aufstieg der AfD solche Skandale in Zukunft begünstigen wird?
Definitiv. Die AfD agiert sehr klug, hat die Schwächen der Politik in den vergangenen Jahren erkannt und schürt die Angst vor Fremden. Sie hat die rechte Ideologie der Menschen gekitzelt, weshalb diese damit offensiver umgehen. Bisher war der Rassismus bei vielen Menschen nur versteckt – jetzt bricht er aus ihnen heraus. Und das macht mir Angst, ja. Es wird in den nächsten Jahren schlimmer werden.
- Videoanruf mit Ramin Seyed