Schicksal eines Jungen berührt ganzes Land "Er weint nicht, er lächelt nicht und er spricht nicht"
Die Bilder Tausender Bootsmigranten auf der Mittelmeerinsel Lampedusa gehen um die Welt. Vor allem das Schicksal eines kleinen Jungen berührt derzeit die Italiener.
"Er weint nicht, er lächelt nicht und er spricht nicht": So berichten italienische Medien über den kleinen Jungen, der am vergangenen Freitag allein auf einer Fähre am Pier von Favarolo auf Lampedusa ankam. Woher das Kind kommt, wie es heißt oder was es erlebt hat, ist unklar. Nicht einmal das Alter des Jungen kann bestätigt werden, aber er soll wohl etwa drei Jahre alt sein. Ein Schicksal, das in Italien gerade viele Menschen berührt.
Ganz allein war der Kleine nicht, als er auf der Mittelmeerinsel ankam. Ein Teenager hielt ihn an der Hand, als sie nach Italien einfuhren. Dieser erzählte den Behörden später, er habe den Jungen allein in der Wüste entdeckt. "Ich konnte ihn nicht allein in der Wüste sterben lassen, also nahm ich ihn mit und wir machten uns gemeinsam auf die Reise", wird der junge Migrant in italienischen Medien zitiert. "Aber er gehört nicht zu meiner Familie und ich weiß nicht, wie ich für ihn sorgen soll." Das Kind habe während der gemeinsamen Zeit nie ein Wort mit seinem Begleiter gesprochen.
"Es ist, als würde er in seiner eigenen Welt leben"
Nun kümmern sich Freiwillige sowie Psychologen des Roten Kreuzes und der Hilfsorganisation Save the Children um den Jungen. Sie versuchen, ihn zum Sprechen zu bringen, hatten aber bislang keinen Erfolg. "Es ist, als würde er in seiner eigenen Welt leben und sie nicht verlassen wollen", wurde ein Helfer im italienischen Fernsehen zitiert.
Giovanna Di Benedetto, Sprecherin von Save The Children, sagte zur italienischen Zeitung "Corriere della Sera": "Wir wissen immer noch nichts über das Kind und es wird nicht einfach sein, seine Vergangenheit in einem so schwierigen Kontext zu erfahren."
Der Junge sei kein Einzelfall, so Di Benedetto. "In den vergangenen Jahren haben wir einen stetigen Anstieg der Ankünfte unbegleiteter Minderjähriger verzeichnet, immer häufiger sind sie unter zehn Jahren."
"Der Kleine steht unter starkem emotionalen Stress"
Das Jugendgericht in Palermo soll binnen weniger Stunden über das Schicksal des Jungen entscheiden. Das Ziel ist es laut Hilfsorganisationen, ihn so schnell wie möglich aus dem Erstaufnahmelager "Imbriacola" herauszuholen. Sollten sich keine Angehörigen melden, dann ernennt das Gericht einen Vormund.
"Der Kleine steht unter starkem emotionalen Stress und kann sich nicht verbal ausdrücken", sagte Claudia Caramanna, die Staatsanwältin für Minderjährige in Palermo, dem italienischen Nachrichtensender Rai News 24. Bei Bedarf sei "auch eine dringende Intervention der Abteilung für Kinderneuropsychiatrie vorgesehen". Mehrere Familien aus Lampedusa haben sich den Medienberichten zufolge gemeldet und eine vorübergehende Betreuung des Jungen angeboten.
In den vergangenen Tagen landeten auf Lampedusa wieder mehrere Tausend Migranten mit Booten aus Nordafrika. Italien beschloss mit sofortiger Wirkung ein Bündel härterer Maßnahmen zur Eindämmung irregulärer Migration übers Mittelmeer – auch eine Verschärfung der Abschiebehaft.
Allein am vergangenen Dienstag kamen auf der kleinen Insel zwischen Sizilien und Nordafrika mehr als 5.000 Flüchtende an – so viele wie noch nie an einem Tag. Tausende wurden dann auf Fähren und Polizeischiffen nach Sizilien oder aufs italienische Festland gebracht. Im Lager der Insel halten sich nach Angaben der Nachrichtenagentur Ansa noch etwa 1.300 Menschen auf.
- rainews.it: "Bambino trovato solo nel deserto, più famiglie lampedusane per l'affido" (italienisch)
- corriere.it: "A Lampedusa è arrivato un bimbo di 3 anni. Solo nel deserto, è stato soccorso da un minorenne" (kostenpflichtig, italienisch)
- Mit Material der Nachrichtenagentur dpa