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Oppenau im Schwarzwald: Warum ist Yves R. nicht zu schnappen?


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Bewaffneter im Schwarzwald
Warum ist Yves R. nicht zu schnappen?


Aktualisiert am 15.07.2020Lesedauer: 6 Min.
Polizeiautos und Hubschrauber auf dem Sportplatz von Oppenau: Der 31-jährige Yves R. ist drei Tage nach seiner Flucht noch immer abgetaucht.Vergrößern des Bildes
Polizeiautos und Hubschrauber auf dem Sportplatz von Oppenau: Der 31-jährige Yves R. ist drei Tage nach seiner Flucht noch immer abgetaucht. (Quelle: Sdmg / Kohls/dpa)
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Der Fall des bewaffneten Mannes im Schwarzwald wirft Fragen auf: Seine Mutter hat sich geäußert, im Netz läuft eine Petition für den 31-Jährigen. Doch Yves R. bleibt verschwunden. Was wir wissen – und was nicht.

Im Ortenaukreis nahe dem Nationalpark Schwarzwald ist Yves R. noch immer auf der Flucht vor der Polizei. Die Ermittler werfen dem 31-jährigen Mann schwere räuberische Erpressung vor. Seit drei Tagen fehlt jede Spur von ihm. Zuvor hatte er vier Polizisten bei einer Kontrolle mit einer Pistole bedroht und ihnen die Dienstwaffen abgenommen. Damit ist er schließlich in den Wald verschwunden. Warum ist es so schwierig, ihn zu fangen?

Was wissen wir über den Mann?

Yves R. ist 31 Jahre alt. Seit Ende 2019 ist er wohnungslos und hält sich offenbar schon länger im Waldgebiet um Oppenau herum auf. Über seine Schulbildung ist nichts bekannt. Wie der Oppenauer Bürgermeister Uwe Gaiser sagte, hat R. zwar einen Beruf erlernt. Um welchen es sich handelt, sagte er aber nicht. Den Behörden in Oppenau war R. als "seltsame Person" bekannt.

Sein Vorstrafenregister ist lang: Bei der vermutlich schwersten Tat griff er 2010 eine Bekannte in Pforzheim mit einer Armbrust an. Ein Gericht verurteilte ihn deshalb wegen versuchten Totschlags zu einer Haftstrafe von drei Jahren und sechs Monaten. Bei der Tat hatte er die Frau laut dem Offenburger Oberstaatsanwalt Herwig Schäfer so schwer verletzt, dass sie mehrere Wochen im Koma gelegen haben soll. R. habe nach dem Angriff auf die Frau den Notarzt gerufen und sich um die Verletzte gekümmert. Im anschließenden Urteil wurde festgelegt, dass R. keine Waffen und Munition besitzen darf.

2017 wurde er mit einer Schreckschusspistole erwischt und deswegen zu einer Geldstrafe verurteilt. Im August 2018 wurde seine Wohnung im Oppenauer Gasthaus "Schlüssel" durchsucht. Dabei entdeckten die Beamten einen Schießstand unterm Dach sowie eine Pistole und Munition.

Im Mai 2019 wurde er wegen unerlaubten Besitzes von Sprengmitteln zu einer neunmonatigen Bewährungsstrafe verurteilt. Schon als Jugendlicher fiel R. mit verschiedenen Diebstahlsdelikten auf. Als die Polizei seine Wohnung durchsuchte, fand sie auf R.s Handy auch Bilder, die womöglich als sexualisierte Gewalt gegen Kinder gewertet werden könnten. Genauer kann die Staatsanwaltschaft das nicht mehr sagen – das Ermittlungsverfahren wurde eingestellt.

Zunächst gab es Spekulationen, ob R. zur Reichsbürgerszene oder ins rechtsradikale Milieu gehört. Darauf gibt es laut Staatsanwaltschaft keine Hinweise mehr. Allerdings müsse überprüft werden, ob R. 2004 im Alter von 16 Jahren rechtsextreme Schmierereien in Südbaden verbreitet habe. Im selben Jahr hatte er zwei Autos aufgebrochen.

Was sagt seine Mutter über ihn?

R.s Mutter hat sich in der lokalen Presse über ihren Sohn geäußert. Die 58-Jährige hält die öffentliche Darstellung des 31-Jährigen für falsch. "Er ist kein gewalttätiger Mensch und würde niemanden verletzen", sagte sie der "Mittelbadischen Presse".

Sie glaubt, er sei in der Polizeikontrolle in Panik geraten aus Furcht vor dem Gefängnis. Sie beschreibt ihren Sohn als sensiblen, hilfsbereiten Naturliebhaber, der "die Freiheit erleben will" und sich dafür in den Wald zurückzog. Das Bild eines Waffennarren teilt sie nicht. Bei der Hütte im Wald hatte R. Gemüse angebaut und Figuren aus Holz geschnitzt, um sie zu verkaufen. "Natürlich hat er dann ein Messer dabei", sagte die 58-Jährige.

Warum fällt es der Polizei so schwer, R. zu finden?

Der Offenburger Polizeipräsident Reinhard Renter sprach am Dienstagnachmittag von der schwierigen "Topografie" des Waldgebietes. "Man kann den Wald nicht durchsuchen", sagte er. Polizeisprecher Yannik Hilger präzisiert gegenüber t-online.de: "Wenn wir etwas durchsuchen, dann machen wir das sehr detailliert." Im Falle einer Wohnung etwa schaue man in jede Ecke. Es handle sich aber um ein sehr weitläufiges Gebiet, rund 8,5 Quadratkilometer groß.

300 Höhenmeter müssen überwunden werden, zahlreiche Steilhänge sind dabei und das mit der Spezialausrüstung der Polizei, die beim SEK rund 40 Kilogramm wiegt. Ein einzelner Mann mit wenig Gepäck, der sich noch zudem gut in der Gegend auskennt, hat gegenüber den Polizisten einen Heimvorteil. "Der Wald ist sein Wohnzimmer", sagte der Polizeipräsident am Dienstag über Yves R. Darauf deuten mehrere Hinweise aus der örtlichen Bevölkerung hin, die bei der Polizei eingegangen sind.

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Hinzu kommt: Das Gebiet geht direkt in den 6.000 Quadratkilometer großen Nationalpark Schwarzwald über. Gelangt R. dorthin, könnte es für die Beamten noch schwieriger werden, ihn aufzuspüren. Allerdings gehen die Ermittler davon aus, dass R. in der Gegend bleiben werde, die ihm vertraut ist.

Unterdessen warnt das Amt für Waldwirtschaft in Offenburg vor einem Katastrophentourismus. "Die Leute kommen und machen Fotos im Wald", sagte ein Sprecher gegenüber t-online.de. Das erschwere die Arbeit der Polizei.

Wie überlebt man im Wald?

Yves R. ist offenbar in eine Laube eingebrochen und hat sich dort eingerichtet. Der Hüttenbesitzer war es, der die Polizei gerufen hat. Wenn es stimmt, was die Mutter des 31-Jährigen der "Mittelbadischen Presse" sagte, hat er sich allerdings schon eine Weile dort aufgehalten: Er soll dort Gemüse angebaut haben. Auf einem Foto aus dem Inneren der Laube ist ein kleiner Gaskocher zu sehen, an der Wand hängt eine Pfanne. Auf einer improvisierten Wäscheleine hängen ein blauer Pullover, ein schwarzes T-Shirt und andere Kleidungsstücke. Es gibt eine Bank und einen Holztisch.

Bei watson.de:


R. ist demnach nicht der klassische "Waldläufer", wie er nun in manchen Medien genannt wird. Wer tatsächlich im Wald lebt, tut dies meist ohne feste vier Wände. Survival-Handbücher raten dazu, dann einen Schlafsack, eine Isomatte und ein Sonnensegel mitzunehmen. Kleidung soll im Zwiebel-Prinzip getragen werden. Es brauche eine Wasserflasche, ein festes Messer und Notnahrung wie Trockenobst und Nüsse. Es gibt viele essbare Wildpflanzen und Insekten. Allerdings könnte die Energiezufuhr daraus für jemanden, der auf der Flucht ist und sich körperlich anstrengt, zu gering sein. Ein weiteres Problem: die Wasserversorgung. Nur Wasser direkt aus der Quelle ist keimfrei. Wasser aus Bächen und Flüssen muss vor dem Trinken abgekocht werden.

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Es ist unbekannt, welche Gegenstände Yves R. auf seine Flucht mitgenommen hat – viele dürften es aber nicht sein, schließlich ist er am Sonntag sehr schnell im Wald abgetaucht.

Was hat es mit dem Manifest des Flüchtigen auf sich?

Die Polizei prüft ein Schriftstück, das möglicherweise von Yves R. stammt. Wie Polizeisprecher Yannik Hilger am Mittwoch sagte, sei daraus keine politische Richtung abzuleiten. Es handele sich um einen Hinweis unter vielen. Der Text bestätige in erster Linie die Affinität des Mannes zum Wald, sagte Hilger. Zuvor hatte die "Bild"-Zeitung über das Manifest berichtet, in dem es um Kritik an der Technisierung des Lebens und das einfache Leben im Wald geht. Medienberichten zufolge war der Text in einem Lokal hinterlegt.

Was steckt hinter der Online-Petition für Yves R.?

Auf der Plattform change.org haben bislang 230 Menschen (Stand: 15. Juli, 11.30 Uhr) eine Petition für den Flüchtigen unterschrieben. Die Petition richtet sich an das Bundesverfassungsgericht. Der Initiator fordert darin einen Straferlass oder eine Strafmilderung für R. "Yves R. hat niemandem etwas getan. Bevor die Polizei ihn erschießt oder es zu Schlimmerem kommt, fordern wir Amnestie für Yves R., damit er sich stellen kann, ohne dass ihm etwas passiert", heißt es in dem Text für die Petition.

Eine Unterzeichnerin schreibt: "Ich weiß das er keinem was Böses will. Meine Schwester hat ihm den letzten Winter über, als er in seinem Auto am Bolzplatz lebte, bei -10 Grad, warmen Mahlzeiten, Tee und Obst gebracht. Er hat sich ihr anvertraut." (Rechtschreibfehler im Original, Anm. d. Red.)

Eine andere schreibt: "Ich habe Yves als sehr liebenswerten Menschen kennen gelernt, der anderen hilft, wo er kann und immer ein offenes Ohr hat. Auch, wenn er in den letzten Tagen falsche Entscheidungen getroffen hat, hoffe ich, dass keiner zu Schaden kommt und die ganze Sache gut ausgeht!"

Wie will die Polizei jetzt weiter vorgehen?

Noch am Montag war die Polizei mit rund 440 Einsatzkräften in dem Waldgebiet unterwegs. Nun soll die Zahl der Beamten reduziert werden. "Den Wald werden wir nicht mehr durchkämmen", sagte der Polizeipräsident am Dienstag. Stattdessen werde die Polizei auf verdeckte Maßnahmen setzen und auch die Anzahl der Fahrzeuge an der Sammelstelle beim Oppenauer Sportplatz reduzieren.

Verwendete Quellen
  • Mit Material von dpa
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