Erschlagen, erstochen, stranguliert Wer ermordete Heike Rimbach in der alten Schäferei?
1995 wird die 19-jährige Heike Rimbach grausam auf einem Dachboden in Lüttgenrode umgebracht. Der Täter ist bis heute unbekannt. Ihre Eltern geben die Hoffnung auf Gerechtigkeit aber nicht auf.
Es muss das Schlimmste sein, was Eltern durchmachen können: Karl-Heinz Rimbach vermisste seine Tochter seit mehr als zwölf Stunden. Noch einmal suchte er im eigenen Haus. Die Katzen jaulten merkwürdig. Müllsäcke standen nicht dort, wo sie sonst standen. Dann fand er die 19-Jährige auf dem Dachboden. Heike trug ein T-Shirt und einen Slip. "Ich sah den Strick um ihren Hals. Blut habe ich keines gesehen. Aber ich wusste sofort, dass sie tot war. Ich habe sie nur kurz angefasst. Sie war eiskalt und blaugefroren. Kein Atem mehr." So schilderte er später dem Profiler Axel Petermann die Entdeckung seiner ermordeten Tochter.
Maria Rimbach ist die Mutter der Toten, seit 24 Jahren kämpft sie mit dem Erlebten. "Die meisten Familien zerbrechen daran", sagt sie. "Wir nicht. Wir halten bis heute zusammen. Mein Mann und ich sind nach wie vor verheiratet. Wir haben einen guten Kontakt zu unseren Kindern." Das Paar hat seinen Herzinfarkt und ihren Krebs überstanden. "Wir haben jede Situation in den Griff bekommen. Nur das eine nicht."
Zugezogen aus dem Westen
Das eine: Dass der Mörder ihrer Tochter nicht überführt werden kann. Dass kein Richter ihn verurteilt. Dass sie nicht nur nicht wissen, wer ihre Tochter tötete, sondern auch nicht, warum. Heike Rimbach starb in den letzten Augusttagen 1995. Die junge Frau war brutal gewürgt, erschlagen, erstochen und stranguliert worden. Doch nach einem Vierteljahrhundert gibt es dazu allenfalls Spekulationen und Gefühle, Ahnungen und einige Aktennotizen. Eine riesige Lücke klafft bis heute.
Lüttgenrode am Harz, Sachsen-Anhalt. Es ist der Sommer vor 24 Jahren. Maria und Karl-Heinz Rimbach leben mit ihrer Familie erst seit wenigen Wochen in dem 400-Seelen-Dorf an der früheren deutsch-deutschen Grenze. Sie haben einen Teil der Schäferei gemietet, ein großes, verfallenes Gehöft. Sie sind aus dem Westen zugezogen und wollen in der Nachbarschaft einen Baubetrieb aufbauen. Das Einleben fällt aber schwer.
Heike ist ihre Älteste. Sie hat zwei Brüder. Sportlich und hübsch sieht die 19-Jährige auf den Bildern aus, die es von ihr gibt, mit blonden Locken. Sie lernt in einer Metzgerei. In diesen Sommertagen ist sie frisch verliebt in einen jungen Mann aus Dessau. Mit dessen Vorgänger, einem 21-Jährigen, war sie zuvor zwar vier Jahre zusammen gewesen, für die Eltern schien er fast "wie ein dritter Sohn." Doch vor ein paar Wochen hat sie Schluss gemacht. Heike ist aus der von ihr zuletzt als eng empfundenen Beziehung ausgebrochen. Kontakt zu Heikes Familie hält er trotzdem.
Drei Tage im August 1995
Sonntagabend, 27. August: Die Rimbachs haben bis 22.30 Uhr zusammengesessen, als sich Heike in ihr Zimmer im Obergeschoss der Schäferei verabschiedet. Den nächsten Tag kann sie frei machen. Heike kann also lange schlafen, während die anderen zur Arbeit müssen. Sie verlassen das Haus am nächsten Morgen um 6.30 Uhr früh.
Montagabend, 28. August: Die Familie ist zurück. Heike ist nicht da, stellen ihr Bruder und ihre Mutter Maria fest. Ungewöhnlich. Aber doch erklärbar. Ist sie beim neuen Freund im 120 Kilometer entfernten Dessau? Dabei lag die Geldbörse in Heikes Zimmer, in das sie kurz hineinschauten. Die Blutflecken an der Bettkante, die zerbrochene Schale, ein nasser Boden: Bald werden sie befragt, warum ihnen das alles nicht aufgefallen sein soll.
Dienstagmorgen, 29. August: Maria Rimbach hat viel telefoniert. Von Heike keine Spur. Die Polizei vertröstet sie. Eine 19-Jährige, die verschwinde mal. Wo ist die Tochter? Von Unruhe getrieben, kehrt Karl-Heinz Rimbach nach kurzer Zeit von der Arbeit nach Hause zurück. Vielleicht ist sie mit dem Frühbus von irgendwoher gekommen. Er stellt das Gehöft auf den Kopf. Rimbach wundert sich, dass die Tür zum Partyraum offen steht, wird er viel später dem früheren Bremer Polizei-Fallanalytiker Axel Petermann erzählen, der sich den Tatort angesehen, die Geschichte nachermittelt und 2015 in seinem Buch "Der Profiler" dergestalt aufgeschrieben hat. Auf dem Speicher, der gebückt durch einen Durchgang zu erreichen ist, steht der Vater plötzlich vor seinem leblosen Kind. Auch t-online.de hat mit Petermann über den Mordfall gesprochen.
"Mehrfach todesursächlich"
Heike Rimbach, so stellt schließlich der Magdeburger Rechtsmediziner Rüdiger Schöning fest, ist durch massive Gewalt gestorben, die "mehrfach todesursächlich" gewesen ist: Durch Schläge auf den Kopf, wahrscheinlich mit einem Metallhaken. Durch Würgen, Fausthiebe und bis zu 30 Messerstiche, vor allem in den Halsbereich. Schließlich durch eine Strangulation des bereits bewußt- bzw. hilflosen Opfers mit einem Hanfseil in knieender Stellung. Die Tat hat sich über mehrere Räume verteilt abgespielt. Dass Heike mit dem Täter zu Beginn gekämpft habe, will der Gerichtsmediziner nicht ausschließen. Von einem "Overkill", einem "Übertöten", wird der Profiler Petermann sprechen und das Vorgehen des Mörders mit "wenig Planung, viel Wut" umschreiben.
Wie kam der Mörder in die Wohnung? Wie beschaffte er sich die Mordwerkzeuge? Wann trat bei Heike Rimbach der Tod ein? Was geschah wirklich zwischen Montagmorgen, 6.30 Uhr, und Dienstag in der Frühe in der alten Schäferei ?
Viele Fragen sind bei den Ermittlungen nach 1995 weitgehend offen geblieben. Dennoch: Die zuständige Kriminalpolizei aus Halberstadt war zunächst sicher, den Täter in der Familie zu finden. Der 16-jährige Bruder wurde in Handschellen zur Vernehmung abgeführt. Ein Halberstädter Ermittler, so erinnert sich der Vater, hat ihm gesagt: "Ich bin seit über 30 Jahren bei der Kripo. Sie machen mir nichts vor. Ich weiß genau, dass es einer von ihnen war."
"Jeder Ermittler sucht erst in der Nähe"
Dafür könnte es durchaus Anhaltspunkte geben. Die angeblich übersehenen Spuren im Zimmer. Das Wissen um Heikes freien Montag. Eine Information, wonach sie sich öfter – aus Angst wovor? – in ihrem Dachzimmer zum Schlafen eingeschlossen hat. Beim Gespräch mit dem Profiler Axel Petermann ist herauszuhören, dass auch er zunächst, schon berufsbedingt, Zweifel an der unbedingten Unschuld von Familienangehörigen hatte.
In Deutschland geschehen die meisten Morde in den eigenen vier Wänden, zumindest aber im Umkreis. "Jeder Ermittler sucht erst in der Nähe, dann nach draußen", sagt Petermann.
Nach wie vor ist der Experte davon überzeugt, dass "der Täter eine Heike nahestehende Person war." Nur: Er interpretiert Nähe weiter. Ihr verlassener Ex-Freund, der die Wohn- und Lebensverhältnisse in der Schäferei kannte, könnte danach genau so getötet haben wie ein Arbeitskollege aus der Fleischerei, mit einer wenig Vertrauen erweckenden Vita.
In den Jahren nach der Tat zerstreute sich der Verdacht gegen die Familie, die kurz nach dem Mord nach Bad Harzburg zurückgezogen ist. Die Staatsanwaltschaft versicherte, auch den Freundes- und Bekanntenkreis durchleuchtet zu haben. Vergeblich. Aber einiges deutet darauf hin, dass Spuren nur halbherzig gesichert wurden, die gesammelte DNA kaum brauchbar war. Petermann zu t-online.de: "Die DNA-Spuren waren nicht verwertbar, weil sie aus heutiger Sicht unsachgemäß behandelt worden waren." Die Erfahrung mit der neuen Art der Spurensicherung seien nicht groß gewesen.
Eine neue Spur?
Heikes Mutter denkt verbittert über diese Jahre. "Zuviel ist damals durch Polizei und Staatsanwaltschaft versaut worden", sagt sie, "so, wie die ermittelt haben. Alles rein in die blauen Säcke. Es gab genug Beweise. Aber sie haben von Anfang an die Familie in Verdacht gehabt und sich daran festgebissen. Wären sie mal in eine andere Richtung gegangen."
2005 zeichnet sich die erste Spur in eine andere Richtung plötzlich ab. In Bad Harzburg, rund 15 Kilometer vom Tatort in Lüttgenrode entfernt, bringt ein Freier eine Prostituierte aus Thailand um und verletzt eine zweite schwer. Brutale Schläge führten zum Tod. Wie in der Schäferei. Und des Prostituierten-Mordes verdächtig ist ausgerechnet der ehemalige Metzger-Kollege von Heike Rimbach, der ihr nachgestellt haben soll. Er wird verhaftet. Am Ende reichen die Indizien nicht, ihn wegen des Prostituierten-Mordes anzuklagen.
Ungeklärte Kriminalfälle schlagen Volten. Vierzehn Jahre nach dem Mord, 2009, haben Magdeburger Ermittler übernommen. Auf einem Foto vom Tatort entdecken sie Freizeitschuhe. Es sind die des ehemaligen und längerjährigen Partners von Heike, dem besagten 21-jährigen, dem sie kurz vor ihrem Tod den Laufpass gegeben hatte. Damals ist er Mitte 30, hat selbst Familie. Die Fahnder glauben, er könnte bei der Tat im Raum gewesen sein und aus Kränkung heraus seine Ex-Freundin getötet haben. Es folgen Haftbefehl – und der nächste Rückschlag. Das Landgericht in Magdeburg hebt den Haftbefehl auf. "Kein dringender Tatverdacht." Die Schuh-Spur ist nicht ausreichend, ein Bekannter hat ihm zudem für die Tatzeit ein Alibi attestiert.
Mord verjährt nicht
Dass es der Ex-Freund gewesen sein könnte, hat Maria Rimbach "schon immer im Gefühl gehabt", sagt sie. Andererseits: Auch beim Arbeitskollegen halte sie die Täterschaft nicht für "unwahrscheinlich". Anders als der 21-jährige Verflossene ("Er ist bei uns ein- und ausgegangen") hatte dieser aber offenbar nie einen Zutritt zur Wohnung. Nur schwer passt das zur Annahme, der Täter müsse sich im Haus ausgekannt haben.
Herbst 2019. Weil Mord nicht verjährt, sind Maria und Karl-Heinz Rimbach immer noch in Kontakt mit der Staatsanwaltschaft, erzählt Heikes Mutter im Gespräch mit t-online.de. Doch "weitere Hinweise", sagt sie, "gibt es nicht. Die letzten sind schon ein paar Jahre her." Hat sie noch Vertrauen in die Behörden und in den Rechtsstaat? "Nein. In dieses Land und in diese Paragraphen, die das Land hat, nicht mehr. Sie sind für Täter gemacht, nicht für Opfer."
- Alfred Herrhausen: Wer half der RAF bei seiner Ermordung?
- München: Wer erschlug die Parkhaus-Millionärin?
- Fall Ursula Herrmann: Büßt der Falsche für ihren Tod?
Der Vorwurf ist schwerwiegend. Wahr ist auch: Alle Verdachtsmomente sind nur privater Natur, offiziell und nach geltendem Recht sind sie unbewiesen. Dennoch begleiten und quälen sie die Rimbachs und beherrschen ihre Gefühle. Vielleicht lebt der Mörder keine acht Kilometer entfernt von ihnen? Heikes Eltern sind vor sieben Jahren erneut umgezogen. Mutter Maria: "Der Ex-Freund von Heike hat zwei Straßen weiter gewohnt. Das war mir zu viel. Er ist mir über die Füße gelaufen. Ich musste da weg."
- Eigene Recherche
- Gespräch mit Maria Rimbach
- Gespräch mit Axel Petermann
- Der Spiegel: Die lange Jagd nach dem Mörder
- RTL II: Ungeklärte Morde: Heike Rimbach", 2011
- Süddeutsche Zeitung: True Detective
- Axel Petermann: "Der Profiler: Ein Spezialist für ungeklärte Morde berichtet", München 2015