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Missbraucht, umgebracht, entsorgt: Wer tötete die sieben Teenager?


Der Frankfurter Kanalmörder
Missbraucht, umgebracht: Wer tötete die sieben Teenager?

Aktualisiert am 28.07.2019Lesedauer: 5 Min.
Bild eines der Mordopfer, so zu sehen im "Kriminalreport Hessen": Der Täter hatte es auf männliche Jugendliche abgesehen.Vergrößern des Bildes
Bild eines der Mordopfer, so zu sehen im "Kriminalreport Hessen": Der Täter hatte es auf männliche Jugendliche abgesehen. (Quelle: Screenshot/Kriminalreport Hessen)
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Zwei Leichen werden in einem Abstand von mehreren Monaten gefunden – von derselben Person. Fünf weitere Tote kommen über die Zeit hinzu. Wer ist der Frankfurter Kanalmörder? Bis heute ist die Mordserie unaufgeklärt.

Die Welt unter Straßendecken und Kellerböden hat ihre eigene Sprache. Es geht um Pumpensümpfe, Auffangrechen und Förderschnecken. Kanalmeister sorgen dafür, dass die zentralen Adern nicht verstopfen, die moderne Gesellschaften zur Beseitigung ihres flüssigen Unrats nutzen. Spülwasser, Urin und Exkremente werden so entsorgt. Nicht selten auch Chemie und Plastiktüten. Stoffe, die dort nicht hingehören. Aber Leichen?

Der Fund im Kanal

Herbst 1982. Peter Sauers Arbeitsplatz liegt im Landkreis Darmstadt. Der Kanalmeister ist zuständig für die kilometerlangen Abwasserrohre von Erzhausen und Wixhausen im Speckgürtel der Metropole Frankfurt und für die 350 Gulli-Einstiege der Ortschaften. Am 19. September wird der Mann die Kriminalpolizei auf die Spur einer der brutalsten deutschen Mordserien führen.

Sauer muss an diesem Sonntag Dienst schieben. Kurz nach Schichtbeginn um 7 Uhr früh quäkt das Alarmhorn. Der Wassertransport ist blockiert. "Wer hat da was im Gulli entsorgt?", denkt er. Noch am Vorabend, gegen 23 Uhr, war alles frei. Sauer startet den Kontrollgang – und stößt am Auffangrechen auf eine zerfetztes Bündel Mensch. Es hat sich im rotierenden Schneckengewinde verfangen, das Abwasser in Steigungen befördert. Der Kanalmeister wählt den Polizei-Notruf.

Die Beamten bergen einen toten jungen Mann. Unglück? Selbstmord? Verbrechen? Wie ist das zu ermitteln, wenn nicht einmal ein Name des Toten bekannt ist? Die Gerichtsmedizin diagnostiziert als prägendes Gesichtsmerkmal eine vorstehende Oberlippe: den Überbiss. Doch keiner mit Überbiss wird vermisst. Die Darmstädter Kripo legt den Fall nach erfolgloser Recherche in die Akten. Formal eine "ungeklärte Leichensache".

Wieder Sauer – wieder eine Leiche im Kanalsystem

Neun Monate später kommt es zur Überraschung. Wieder hat Sauer Dienst. Wieder quäkt das Alarmhorn. Sauer findet eine zweite Leiche. Anders als im Vorjahr stellen die Fahnder einen Hinweis auf einen Namen sicher. Im Hosenbund des Toten ist ein "M.H." eingenäht. Die Gerichtsmedizin schließt nicht aus, dass die Leiche von M.H. länger im Abwasser lag. Beide Tote könnten am gleichen Ort in den Kanal geschoben worden sein. Vor allem: Der zweite Tote war mit Handschellen gefesselt. Den Ermittlern dämmert, hier könnte ein Serienkiller unterwegs sein.

Frankfurt am Main in den Achtzigerjahren. Die lebendige Stadt ist die Spinne im Verkehrsnetz des alten Westdeutschlands. Hier liegt der riesige Rhein-Main-Flughafen. Straßen- und Bahnverbindungen kreuzen sich. Das Rotlichtviertel lockt Menschen aus allen Weltgegenden. Die Region ist aber – bis heute – auch Schauplatz spektakulärer Verbrechen.

1972 fiel in Kelkheim der achtjährige Olaf einem sadistischen Sexualtäter zum Opfer. 1990 wurden acht Obdachlose in der Frankfurter Wallanlage mit einem Hammer erschlagen. 1998 fand man den 13-jährigen Tristan mit aufgeschlitzter Kehle im Höchster Liederbach. Noch 2014 flogen die Taten des kurz vorher verstorbenen Hobby-Jazzmusikers Manfred Seel auf. Seine Morde an wohl neun Prostituierten reichten bis 1971 zurück.

Auch die Opfer aus dem Kanal von Erzhausen müssen in Frankfurts Bahnhofsviertel auf den unbekannten Mörder gestoßen sein – so, wie es fünf weiteren Jugendlichen ging, die zwischen 1976 und 1983 grausam starben. Unter ihnen Stricher der Mainmetropole rund um den Baseler Platz und Teenager, die es aus Abenteuerlust in die Großstadt verschlagen hatte. Einige wurden unbekleidet aufgefunden, einige gefesselt. Sie wurden missbraucht, erwürgt, erschlagen und unter der Oberfläche entsorgt wie Müll. Manche lebten da noch, ihre Leichen hatten Flüssigkeit in der Lunge, sie sind in Abwässern ertrunken oder in Faulgasen erstickt.

"Brutal" seien die Ermittlungen der Kanalmorde gewesen, erinnert sich 30 Jahre danach der leitende Kommissar Horst Kropp an die Arbeit seiner Sonderkommission. Und zäh. "Wir hatten große Schwierigkeiten, die Leichen zu identifizieren." Bald wurde ihnen klar, dass es schon lange vor Sauers Frühschicht am 19. September 1982 Opfer des gleichen Mörders gegeben haben musste: 1976 bei Gießen zum Beispiel, als rund um den Tatort das US-Militärmanöver "Gordian Shield" mit 30.000 eingeflogenen GIs begann. Ein Unteroffizier machte den Zufallsfund.

Wer dort abgelegt wurde? Das ist bis heute ein Rätsel. Außer Ringelsocken trug der Tote keine Kleidung. Sein Schädel war eingeschlagen. Ein Ausländer auf Durchreise? Möglich.

Alle Opfer haben kindliche Milchgesichter

Irgendwann nach 1976, so ergibt die Rekonstruktion der geheimnisvollen Verbrechensserie, muss der unbekannte Killer begonnen haben, in oder nahe Frankfurt seine Opfer zu suchen. Bei Erik, 17, sind Schädel und Becken zertrümmert und der Oberschenkel abgerissen, als sein stark verwester Leichnam nahe Dreieich in einem Schneckenzufluss gefunden wird.

Bernd (18) und der 17-jährige Markus sind die Toten aus dem Kanalnetz Erzhausen. Bernd stammt aus der Stricherszene, Markus aus dem Drogenmilieu.

Die Leiche des 14-jährigen Marokkaners Fuad blockiert im September 1983 die Kläranlage Niederrad. Er war von seinen Eltern neun Tage zuvor als vermisst gemeldet worden.

Einen Monat später wird an gleicher Stelle Oliver angeschwemmt, ein elfjähriger Blondschopf und Ausreißer. An seinem Körper entdeckt die Rechtsmedizin die Spuren von Fußfesseln.

Schließlich: Daniel. Knochen und die Kleidung tauchen im Sommer 1989 im Offenbacher Abwassernetz in 4,40 Meter Tiefe auf. Sein Schuh stört den Wasserabfluss. Man birgt ihn. Er wird schon seit 1983 vermisst. Da war er 14. Mit Daniels Bergung reißt die Serie ab.

Im Lauf der Jahre addieren sich Namen und Fundorte der Opfer zu einem kompletten Spurenbuch. Es gibt, mit einer Ausnahme, Fotos von ihnen. Einige haben lange, gelockte Haare. Alle zeigen kindliche Milchgesichter. Doch: Wer kann sie so brutal getötet haben? Haben sich je Hinweise ergeben, die zum Mörder führen?

DNA-Abgleiche gab es damals noch nicht

Die oft monatelange Liegezeit der Toten im fauligen Grund hat die Untersuchung möglicher Täter-Fährten erschwert. DNA-Abgleiche sind in jenen Jahren noch unbekannt. Aber der Kriminalpsychologe Rudolf Egg kann später den möglichen Typus des Kanalmörders beschreiben. Etwa 50 Jahre alt und alleinstehend. Möglicherweise wurde er in der Kindheit selbst missbraucht und hat eine "Hassliebe" gegenüber homosexuellen Strichern entwickelt. Er mochte sadistische Fesselspiele. Egg spricht von einem "tief verwurzelten Menschenhass" des Mannes.

Angst habe sie im Lauf der Zeit befallen, erinnert sich Soko-Chef Kropp, dass der Serientäter erneut zuschlägt, bevor sie ihn dingfest machen können. Dann schalteten sich Kollegen ein. Auffällige Parallelen zu den Taten eines festgenommenen 51-jährigen Lageristen aus Offenbach wurden erkannt. Er hatte männliche Jugendliche in seine Laube im Schrebergarten in Frankfurt-Riederwald gelockt und sich an ihnen vergangen.

Was die Beamten in diesem Moment elektrisierte: Die Methoden und sein Verhalten glichen denen des Kanalmörders. Die Fesseln. Der Sadismus. Der erzwungene Sex. Tatwerkzeuge wie Messer und Handschellen wurden in der Wohnung des Offenbachers gefunden. Anlaufpunkte im Frankfurter Bahnhofsviertel wie die Bar "Tivoli" waren dieselben. Der Mann musste einige der Mordopfer gekannt haben.

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Doch die sichergestellten Blutspuren stimmten nicht überein. Auch: Nie hatte der Inhaftierte eines der Riederwalder Laubenopfer getötet, sondern ihr Schweigen mit Geld erkauft. Zwischen bloßem Verdacht und Überführung eines Mörders liegt der konkrete Tatnachweis. An dem fehlte es. "Es ist schlimm", sagte der Ermittler Kropp später, "wenn man den Täter eigentlich hat, aber die Tat nicht nachweisen kann und es nicht zur Anklage kommt."


War es so? Vor vier Jahren, im "Kriminalreport" des Hessischen Rundfunks, sind Zuschauer noch einmal mit den Kanalmorden und den Fragen dazu konfrontiert worden: Wer hat etwas gesehen? Wer hat etwas gehört? Wer weiß von möglichen Zeugen – oder vom Täter selbst? Die Wiesbadener Telefonnummer des Landeskriminalamtes wurde eingeblendet. "Bitte melden!" Mord verjährt nicht. Aber vier Jahrzehnte sind eine lange Zeit, wenn es um belastbare Erkenntnisse geht.

Verwendete Quellen
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