Totes Mädchen in Wunsiedel Kinder als Täter: Häufen sich die Fälle?
Nur wenige Wochen nachdem zwei Mädchen die 12-jährige Luise erstochen haben, soll wieder ein Kind am Tod eines anderen beteiligt sein. Nehmen diese Fälle zu?
Eine Zehnjährige wird tot in einer Kinder- und Jugendhilfe-Einrichtung in Oberfranken gefunden. Der Fall schockiert, auch weil erneut ein fast Gleichaltriger im Fokus der Ermittler steht. Die Polizei geht aufgrund der Spurenlage davon aus, dass ein elf Jahre alter Junge tatbeteiligt ist – auch er wohnte in der Einrichtung. "Da der elfjährige Junge nicht strafmündig ist, wurde er in einer gesicherten Einrichtung präventiv untergebracht", heißt es in einer Mitteilung der Ermittlungsbehörden vom Karfreitag.
Es ist nicht der erste Fall dieser Dimension in jüngster Vergangenheit, bei dem die Tatverdächtigen minderjährig sind. Bundesweit für Entsetzen hatte zuletzt der gewaltsame Tod der 12-jährigen Luise aus Freudenberg in Nordrhein-Westfalen gesorgt, die durch zahlreiche Messerstiche starb. Zwei Mädchen im Alter von 12 und 13 Jahren haben die Tat gestanden.
Aber häufen sich solche Fälle tatsächlich? Belastbare Zahlen zur Kriminalität von strafunmündigen Kindern gibt es in der vor kurzem vorgelegten Polizeilichen Kriminalstatistik für das vergangene Jahr 2022.
Überwiegend Diebstähle und Sachbeschädigungen
Demnach stieg der Anteil von Kindern an der Zahl der Tatverdächtigen über alle Verbrechensbereiche hinweg. Zwar lebten 2022 – unter anderem wegen der Aufnahme von Geflüchteten aus der Ukraine – mehr Minderjährige im Deutschland als im Jahr zuvor. Doch das alleine erklärt den Trend nicht.
Mit dem Anstieg um 35,5 Prozent auf 93.095 tatverdächtige Kinder (0 bis unter 14 Jahre) wurde das Niveau des noch stark von Corona geprägten Vorjahres deutlich überschritten. Die Zahl lag auch um fast 28 Prozent höher als im Jahr 2019 (72.890).
BKA-Präsident Holger Münch wies bei der Vorstellung darauf hin, dass es sich bei den von Kindern verübten Taten ganz überwiegend um Ladendiebstahl, Sachbeschädigung, Beleidigung oder leichte Körperverletzung handelte.
Minderjährige während Pandemie hart getroffen
Münch sagte, hier könnten auch wirtschaftliche Aspekte wie Geldknappheit in den Familien als Folge der Inflation eine Rolle spielen. Auch lebten durch die Zuwanderung von Geflüchteten aktuell viele Kinder und Jugendliche in Deutschland, die in jungen Jahren in Kriegsgebieten Gewalt erlebt hätten.
Ein weiterer Faktor sei Stress, betonte Münch und erinnerte daran, dass Minderjährige während der Corona-Pandemie durch Schulschließungen besonders hart getroffen waren. Kinder müssten gewaltfrei und in einem Umfeld aufwachsen, "in dem sie sich auch entwickeln können und eine reelle Chance haben, in der Leistungsgesellschaft anzukommen".
Diskussion um Strafmündigkeit von Kindern
Mit dem aktuellen Fall aus Wunsiedel dürfte nun auch die Diskussion um die Strafmündigkeit von Minderjährigen wieder aufflammen. Kinder unter 14 Jahren sind grundsätzlich schuldunfähig – selbst bei einem so schlimmen Verbrechen wie Mord oder Totschlag. Denn es wird davon ausgegangen, dass sie die Folgen ihres Handelns noch nicht ausreichend überblicken.
Zumindest aus Baden-Württemberg kamen bereits Rufe der Politik, das Strafrecht anzupassen. Landesinnenminister Thomas Strobl und Justizministerin Marion Gentges wollen die Altersgrenze für Minderjährige im Strafrecht überprüfen lassen. Die beiden CDU-Politiker schrieben einen entsprechenden Brief an ihre Amtskollegen in der Bundesregierung. In dem Schreiben fordern Strobl und Gentges, die Regel, wonach Kinder erst ab 14 Jahren als strafmündig gelten, zu überprüfen. Strobl und Gentges verweisen in dem Brief auch auf den Fall aus Freudenberg.
Buschmann: Debatte "mit kühlem Kopf" führen
Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) hatte kürzlich in der "Bild am Sonntag" gemahnt: "Jede Debatte über Anpassungen im Strafrecht sollte man mit kühlem Kopf führen." Die deutsche Rechtsordnung halte jenseits des Strafrechts Mittel bereit, um auch auf schwere Gewalttaten von Kindern unter 14 Jahren zu reagieren. "Das reicht bis hin zu einer geschlossenen Heimunterbringung und auch einer Unterbringung in der Kinder- und Jugendpsychiatrie", sagte Buschmann.
Wissenschaftliche Erkenntnisse zur Kinder- und Jugendkriminalität zeigten klar, dass in der Entwicklung befindliche Kinder eine andere Behandlung als Jugendliche oder Erwachsene bräuchten. Er betonte: "Strafunmündigkeit bedeutet aber eben nicht, dass derlei Taten für Kinder keine Folgen haben." Nach Auskunft einer Sprecherin seines Ministeriums hat sich an dieser Haltung Buschmanns auch durch die Ermittlungen zu dem Fall in Wunsiedel nichts geändert.
- Nachrichtenagentur dpa