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Experte nach Reichsbürger-Razzia: "Auch ein Putschversuch kann Terror sein"


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Razzia gegen Reichsbürger
"Auch ein Putschversuch kann Terror sein"

  • Lars Wienand
InterviewVon Lars Wienand

Aktualisiert am 09.12.2022Lesedauer: 5 Min.
Zum Generalbundesanwalt: Einer der Verdächtigen auf dem Weg vom Polizeihubschrauber.Vergrößern des Bildes
Zum Generalbundesanwalt: Einer der Verdächtigen auf dem Weg vom Polizeihubschrauber. (Quelle: Michael Probst/ap)

Eine skurrile Terrorgruppe wollte die Regierung stürzen – mit wenig Aussicht auf Erfolg. Experte Josef Holnburger erklärt, warum sie trotzdem gefährlich ist.

Wie kommen pensionierte Soldaten, ein adeliger Immobilienmakler und eine Ex-Bundestagsabgeordnete auf die Idee, sie könnten mit einem Putsch Erfolg haben? Josef Holnburger kann das erklären. Er ist Geschäftsführer des gemeinnützigen Centers für Monitoring, Analyse und Strategie (CeMAS), analysiert seit Langem die Entstehung und Verbreitung von Verschwörungsideologien und Desinformationen und ist ein Kenner der "Reichsbürger"-Szene.

t-online: Die Anführer der Gruppe, die am Mittwoch bei einer Großrazzia festgenommen wurden, sollen ein älterer Prinz und frühere Soldaten jenseits der 70 Jahre gewesen sein. Wie gefährlich war diese Gruppe tatsächlich?

Josef Holnburger: Wir sehen gerade, dass vor allem die rechte Szene Witze über das Alter einiger Beteiligter macht – vor allem, um die terroristische Bedrohung aus der rechtsextremen und verschwörungsideologischen Szene kleinzureden. Einer der angesprochenen früheren Soldaten hatte eine Führungsposition beim Kommando Spezialkräfte KSK, er wurde an der Waffe ausgebildet und weiß, wie man Einsätze leitet. Außerdem wissen wir ja vielleicht noch nicht alles darüber, wen sie hätten anführen wollen. Laut den zuständigen Behörden waren Pläne auch weit fortgeschritten, so soll es Schießübungen und Ablaufpläne gegeben haben.

Aber bei allem, was man bisher weiß, hatte die Truppe kaum Chancen, einen Umsturz tatsächlich herbeizuführen.

Auch ein Putschversuch kann Terror sein. Menschen können auch dabei sterben, und für die ist es dann egal, ob der Putsch erfolgreich war oder nicht. Wer auf Todeslisten steht und konstanter Bedrohung aus der Szene ausgesetzt ist, denkt darüber ohnehin anders. Und wir sollten nicht vergessen: Donald Trump war auch 74, als er seine Anhänger angestachelt hat, das Kapitol zu stürmen. Die hatten dann sogar Galgen für den Vizepräsidenten dabei. Es sind fünf Menschen an jenem Tag gestorben.

Mal angenommen, es gelänge einer solchen Gruppe, in den Bundestag einzudringen und Politiker in ihre Gewalt zu bringen: Was würden sie danach tun?

Das geht schon einen Schritt zu weit. So logisch denken viele in der Szene nicht. Es gibt keinen Plan, was sie dann machen, weil in der verschwörungsideologischen Vorstellung irgendeine wichtige Person dann ein Papier unterschreibt und wie von Zauberhand plötzlich alles anders ist. Der Glaube ist ja, dass es nur den Funken brauche, und das Feuer sei dann entfacht. Der nächste Schritt ist für sie nicht mehr so wichtig. Sie denken, sie müssten nur ein Zeichen setzen, auf das das Volk gewartet hat, und dann beugten sich die Regierenden. Das könnte auch ein brennender Reichstag sein. So funktioniert Terror. Der norwegische Rechtsextremist Anders Breivik hat 2011 mit seinen Anschlägen in Oslo und auf der Insel Utøya 77 Menschen getötet, weil er glaubte, dann werde sein Manifest gelesen und die Politik würde sich ändern.

Jene Verschwörer, die sogenannten Tag X-Gruppen angehören, behaupten allerdings meistens, der Umsturz solle möglichst friedlich ablaufen.

In einem Video, das einer der am Mittwoch verhafteten ehemaligen Soldaten vor ein paar Wochen veröffentlicht hat, relativiert er selbst solche Aussagen: "Das kann friedlich, gewaltfrei passieren, wenn die Entscheidungsträger ein Einsehen haben", sagt er darin. In ihrer Vorstellung verläuft es friedlich, wenn passiert, was die Putschisten möchten. Was passiert, wenn sich Politiker wehren, lässt er offen. Und den zuständigen Behörden zufolge hatte die Gruppe wohl auch Pläne, die mit Gewalt verbunden waren. Es soll ja auch eine Todesliste gegeben haben. Durch den Einsatz von Gewalt lässt sich eine große Medienpräsenz erreichen und ein prägendes Schlüsselereignis "auslösen", das etwas in Gang setzt. Bei den "Vereinten Patrioten"....

... einer Gruppe rund um eine antisemitische Theologin jenseits der 70 Jahre, die auch einen Umsturz plante und in diesem April aufgeflogen war ....

Ja. Bei denen war der Gedanke, einen Doppelgänger von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier auftreten und etwas verkünden zu lassen. Danach sollte ein Blackout ausgelöst werden. Das passt auch noch zu einer Erzählung der QAnon-Bewegung, dass nach zehn Tagen der Dunkelheit ein goldenes Zeitalter beginnt und die Menschen "befreit" sind.

Nur warten die meisten Menschen ja nicht auf eine "Befreiung".

Der Glaube daran ist der Grund, wieso sich solche Ideen entwickeln. Die Anhänger dieser Bewegungen sind überzeugt, dass das Volk denkt wie sie. Wenn Meinungsumfragen zum Schluss kommen, dass 90 Prozent anders denken als sie, dann ist die Umfrage eben vom System gefälscht. Sie denken, sie sind die Vorkämpfer einer heimlichen Mehrheit und dass sie sehr viel Rückendeckung haben. Justiz und Politik sind aber mitverantwortlich dafür, dass bei diesen Menschen so ein Bild entstehen kann.

Warum?

Weil viel zu lange nichts passiert ist. Wenn niemand auf ihr Treiben reagiert, dann ist das für diese Leute ein Signal, dass es heimlichen Zuspruch gibt, dass sie bei Polizei und Justiz Unterstützer haben. Man findet hierfür leider viele bekannte Beispiele in der Szene. Ein ganz aktuelles ist Johannes M. aus Bayern.

Ein berüchtigter "Reichsbürger" und QAnon-Anhänger, der in seinem Telegram-Kanal mit 30.000 Abonnenten fast täglich "Todesstrafen" verkündet ...

... und das seit langer Zeit. Er war mal in der Psychiatrie, aber er macht weiter. Und er präsentiert freudig Schreiben der Justiz, als seien es Freisprüche, etwa wenn ein Verfahren gegen ihn eingestellt wurde. Er erwähnt nicht, dass es dabei um Verfahren am Rande geht, mit weniger schwerwiegenden Vorwürfen. Die Schreiben sind dabei so formuliert, dass die Anhänger das auf den ersten Blick nicht erkennen. Das bedeutet aber nur: Die Verfahren mit den schwerwiegenden Vorwürfen werden unnötig in die Länge gezogen, und es dauert zu lange, bis es zu einem Urteil kommt.

Aber wir leben nun mal in einem Rechtsstaat.

Ja, aber wer geblitzt wird, bekommt vier Wochen später Post und muss zahlen und hält sich dann hoffentlich erst mal ein wenig daran. Und auch bei den Klimaprotesten sehen wir doch aktuell, wie schnell es zu Urteilen kommen kann und Menschen präventiv weggesperrt werden. Das ist rechtsstaatlich sehr fragwürdig und problematisch, wird bei dieser Szene aber gemacht. Bei denen, die unseren Staat zerstören wollen, hat das mehr als zwei Jahre lang kaum Konsequenzen gehabt. Da haben die sich immer weiter radikalisiert. Es muss eine Lehre sein, dass der Staat in solchen Fällen schneller reagiert.

Muss eine Lehre auch sein, dass solche Razzien wie am Mittwoch besser geheim gehalten werden sollten? Viele Journalisten wussten vorab von ihr. Deshalb wird jetzt diskutiert, ob das die Aktion gefährdet hat. Wusste die Szene von dem Einsatz?

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Die große Mehrheit war überrascht – erst um 8 Uhr morgens am Mittwoch verbreiteten sich allmählich in Telegram-Gruppen die Informationen, dass es Hausdurchsuchungen bei Kanalbetreibern und Gruppenmitgliedern gab. Seitdem sind auch einige Telegram-Kanäle stumm – etwa weil die Person, die den Kanal betrieb, zum Kreis der Verhafteten gehörte. Es könnten einzelne vorher Bescheid gewusst haben, in der Masse herrschte aber bis zum Übergriff Unkenntnisse über die Planung einer Razzia.

Vielen Dank für das Gespräch.

Verwendete Quellen
  • Telefonat mit Josef Holnburger
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